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Forensische Aspekte des Therapeutischen Drug Monitoring (TDM) in der Psychiatrie

Heute Nachmittag findet im Kongresshaus Igls ein internationaler Workshop statt, dessen Ziel es ist, Richtlinien für die Bewertung von Blutplasmaspiegelwerten in Gerichtsverfahren zu erarbeiten. Es werden Teilnehmer aus Deutschland, der Schweiz und Österreich erwartet.

Das Behandlungsprinzip „Eine Tablette pro Tag und dann einfach nur schauen was passiert“, das leider noch viel zu oft praktiziert wird, ist mittlerweile nicht nur veraltet, sondern ist eigentlich  – zumindest im Bereich der Behandlung von Patienten mit seelischen Problemen und psychiatrischen Erkrankungen – als Kunstfehler zu beurteilen“ meinen Prof. Gerald Zernig und Prof. Alois Saria, die lokalen Organisatoren des internationalen Workshops „Forensische Aspekte des Therapeutischen Drug Monitoring (TDM) in der Psychiatrie“, der heute im Kongresspark Igls statt findet. 

Zernig weiter: „So hat sich gezeigt, dass bei der Gabe der üblich empfohlenen Dosis eines gebräuchlichen Antidepressivums die Plasmaspiegel bei verschiedenen Patienten teilweise um das Vierundzwanzigfache variierten. Viele der Patienten hatten einen zu niedrigen Plasmaspiegel, bei anderen waren die Plasmaspiegel so hoch, dass das Risiko an Nebenwirkungen drastisch erhöht war.  Man kann Menschen einfach nicht über den Selben Kamm scheren.  Wir alle verstoffwechseln Medikamente ganz individuell. Frauen verstoffwechseln anders als Männer, Jugendliche und Erwachsene anders als ältere Menschen, schwangere Frauen anders als nichtschwangere.  Dazu kommt, dass mindestens 50% der mit Antidepressiva oder Neuroleptika behandelten Patienten die Medikamente weniger häufig, oder in niedrigeren Dosen als verschrieben einnehmen.  Die Therapietreue, auch Compliance genannt, ist bei Psychopharmaka notorisch schlecht.  Entscheidend für die Wirkung eines Psychopharmakons ist also nicht die geschluckte – und noch weniger die verschriebene Tablettenmenge entscheidend, sondern – als bestes Maß für den Wirkspiegel im Gehirn – der Blutspiegel des Medikaments, auch Plasmaspiegel oder Serumspiegel genannt.“

„Wer also seine Patienten mit Psychopharmaka behandelt, keine ausreichende klinische Wirkung erkennen kann und dann trotzdem keinen ausreichend hohen Plasmaspiegel durch entsprechende Messung und Therapieoptimierung anstrebt, begeht unserer Meinung nach einen Kunstfehler.“ so die Veranstalter des TDM-Workshops.
 
Einer der im Workshop diskutierten Fälle:  Eine psychiatrische Patientin wird mit einem Neuroleptikum behandelt. Tragischerweise stürzt sie sich, trotz massiven Helferaufgebotes und vierstündigen nervenzerreibenden Verhandlungen, von einer Brücke.  Wurde sie ausreichend behandelt?  Trägt die behandelnde Ärztin Schuld am tragischen Tod der Patientin?  Glücklicherweise konnte der Neuroleptikum-Spiegel im Blut der Verstorbenen bestimmt werden.  Kann er die Ärztin entlasten oder weist er ihre mangelnde therapeutische Umsicht nach?  Dieser und andere Fälle werden von GerichtsmedizinerInnen, PsychiaterInnen und TDM-ExpertInnen in diesem Workshop diskutiert und bewertet.

Zernig: „Ziel des Workshops ist es, Experten im Rechtswesen – RichterInnen, StaatsanwältInnen, GerichtsmedizinerInnen, GutachterInnen und AnwältInnen – sowie ÄrztInnen, PatientInnen und auch  Arzneimittelherstellern – Richtlinien zur Verfügung zu stellen, die im Streitfall Orientierung bieten können.“


Für weitere Gespräche steht Prof. Zernig heute um 14:15 Uhr im Foyer des Kongresshaus Igls zur Verfügung.


Arbeitsgruppe Therapeutisches Drug Monitoring (TDM) der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie (AGNP)
Verein für Experimentelle Psychiatrie, Psychotherapie und Pharmakologie (VEPPP)

 
Kontakt:
 
Gerald Zernig, Ao. Univ.-Prof. Dr. med., TDM-Prozessverantwortlicher, Bereich Experimentelle Psychiatrie, Universitätsklinik für Psychiatrie, Medizinische Universität Innsbruck, Innrain 66 a, A-6020 Innsbruck, Österreich. Email: gerald.zernig@i-med.ac.at <mailto:gerald.zernig@i-med.ac.at> , Tel. 0512 / 504 - 23711