Medizinische Universitäten Österreich
Die Unterfinanzierung der Medizinischen Universitäten und die Konsequenzen für Forschung, Lehre und Patientenversorgung
Innsbruck, 13.12.2010: Um die weitreichenden Konsequenzen für die medizinische Ausbildung, Versorgung und Wissenschaft vor dem Hintergrund eines drohenden Wettbewerbsnachteils für Österreich zu diskutieren, luden die Rektoren der Medizinischen Universitäten Österreichs am Montag, 13.12.2010 zu einem Pressegespräch ein.
Rektor der Medizinischen Universität Innsbruck, Univ.-Prof. Dr. Herbert Lochs: Diese Regierung zerspart die Zukunft Österreichs!
Der lange erbetene Uni-Gipfel zwischen Unirektoren und Bundesregierung am 22.11.2010 verlief mehr oder weniger ohne Ergebnis, finanzielle Mittel wurden trotz einhelliger Darstellung der prekären Situation der Universitäten, im Besonderen der Medizinischen Universitäten, nicht zugesagt. Es ist unbestreitbar, dass die Zukunft Österreichs in der Entwicklung und im Ausbau der Wissensgesellschaft liegt, aber diese wird durch die defacto Kürzungen im Wissenschaftsbudget nicht nur gefährdet sondern zerspart!
In der Medizin, die ein wirtschaftlich besonders wichtiger Wissenschaftszweig ist, kommen dramatische Konsequenzen des „Sparbudgets“ auf uns zu: Mit den Budgeteinschnitten befürchten wir, dass die Qualität in allen essentiellen Bereichen leiden wird.
- Dem Bereich der Forschung werden die Mittel fehlen, um neue Therapien und Arzneimittel im Kampf gegen Krankheiten zu entwickeln, es werden sogar wahrscheinlich Forschungseinrichtungen geschlossen werden müssen.
- Die österreichischen Medizinischen Universitäten werden ihre Attraktivität als Partner für die Wirtschaft verlieren. Gemeinsam entwickelte Zentren sind gefährdet.
- In der Lehre und Ausbildung werden wir mit den uns jetzt zur Verfügung stehenden Mitteln die Qualität nicht halten und erst recht nicht steigern können. Studenten werden weniger praxisorientiert ausgebildet werden.
- Die Medizinischen Universitäten tragen die Hauptverantwortung für die Ausbildung von FachärztInnen. Da die Zahl der Ärztestellen an den Universitäten reduziert werden muss, werden wir in Zukunft womöglich zu wenige Fachärzte in allen Gebieten haben. Die Medizinische Versorgung des Landes wird in wenigen Jahren ernsthaft gefährdet sein.
- In der PatientInnenversorgung müssen wir aufgrund der schlechteren Ausbildungsbedingungen unserer FachärztInnen mit drastischen Einschnitten rechnen. Ein Szenario wäre, dass gewisse Facharztausbildungen nur noch von einer der drei Universitätskliniken angeboten werden können.
Daneben verliert der Forschungsstandort Österreich an Attraktivität und internationaler Reputation. 2012 wird die Leistungsvereinbarungsperiode enden, bis zur Fixierung des Bundesfinanzrahmengesetzes im April 2011 muss es also Klarheit über jene Mittel geben, die uns ab 2013 zur Verfügung stehen werden. Österreichs Universitäten fehlen rund 600 Millionen Euro, um den laufenden Betrieb aufrecht zu erhalten. Wir wollen jetzt bereits auf die drohenden Folgen aufmerksam machen, die eine solche de facto Kürzung der Wissenschaftsbudgets im Bereich Medizin verursachen wird. Wir alle, Sie alle werden die Folgen sehr bald spüren.
Kann die Bundesregierung das wirklich verantworten?
Rektor der Medizinischen Universität Graz Univ.-Prof. Dr. Josef Smolle: Thema Lehre und Studium
Der ärztliche Beruf ist einer der anspruchsvollsten und gesellschaftlich relevantesten. Dementsprechende Bedeutung hat auch die Ausbildung in den Studiengängen Humanmedizin und Zahnmedizin. Die Medizinischen Universitäten Österreichs haben in den letzten 10 Jahren große Anstrengungen unternommen, ihre Studiengänge den aktuellen Herausforderungen anzupassen. Statt der früher weitgehend theoretisch und rein naturwissenschaftlich orientierten Ausbildung bieten nun die Curricula frühen und intensiven Patientenbezug und vermitteln bereits im Grundstudium vielfältige Praxiserfahrung als Grundlage für die spätere ärztliche Tätigkeit. Insbesondere sind fächerübergreifendes Lernen und Lehren, Training ärztlicher Fertigkeiten, ethische Aspekte und Arzt-Patient-Kommunikation als neue Schwerpunkte zu nennen. Diese Fortschritte gehen mit vermehrtem Kleingruppenunterricht in Form interaktiver Seminare und praktischer Übungen einher, die einen hohen Betreuungsaufwand erfordern. Unsere Kolleginnen und Kollegen tragen diese intensive Ausbildung mit hohem Engagement zusätzlich zu den stetig steigenden Forschungsleistungen und der tragenden Rolle in der Gesundheitsversorgung und in der Spitzenmedizin.
Dieses Niveau kann nur bei entsprechender finanzieller Bedeckung gehalten und weiterentwickelt werden. Die zusätzlichen Gelder, die die Bundesregierung für die Universitäten beschlossen hat, sind ein erster, kleiner Schritt in die richtige Richtung. Es wird notwendig sein, einen entsprechenden Anteil davon den Medizinischen Universitäten zukommen zu lassen. Zugleich appellieren wir an die Länder als Verantwortliche für die Krankenanstalten, die Gesundheitsversorgung ausreichend zu dotieren, sodass die Universitätsbudgets gesetzeskonform der Lehre und Forschung zugutekommen können.
Rektor der Medizinischen Universität Wien Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Schütz: Zugangsbeschränkungen lösen die Uni-Misere nicht!
Kürzungen bei Uni-Budgets gefährden medizinische Forschung an den Universitätskliniken
Die Medizinischen Universitäten haben seit 2005 kontingentierte Studienplätze für die Diplomstudien und einen Eignungstest zum Einstieg. Trotzdem werden die angekündigten Kürzungen der Uni-Budgets die MedUnis ganz besonders treffen. Aber nicht in der Zukunft, sondern schon heute. Bereits in der laufenden Leistungsvereinbarung (2010‑2012) muss Vorsorge getroffen und damit Personalabbau eingeleitet werden!
Personalabbau begonnen
Auch ein ab 2013 bloß fortgeschriebenes Budget würde bedeuten, dass an den Medizinischen Universitäten sofort mit massivem Personalabbau begonnen werden muss. Die MedUni Wien hat damit schon begonnen. Das Personalbudget macht an Medizinischen Universitäten mehr als 80% der öffentlichen Mittel aus und ist massiv durch Valorisierungen und Biennalsprünge belastet. Eine Gehaltssteigerung um 2% wäre an der MedUni Wien mit einem jährlichen Mehrbedarf von € 6 Mio. verbunden, rechnet man die Biennalsprünge für die Beamten sowie die allgemeine Teuerung bei Mieten, Sachausgaben und Investitionen (nur für Ersatzanschaffungen) hinzu, werden der MedUni Wien für 2013 allein zum Fortbestand des Status quo und auf heutiger Preisbasis € 10 Mio. fehlen. Bis zum 1.1.2013 müssen also zumindest 180 Personalstellen abgebaut sein, um danach den Status quo zu finanzieren; für 2014 und 2015 müsste sich derselbe Vorgang wiederholen.
Aufwärtstrend bei Forschung für PatientInnen massiv gefährdet
Der Personalabbau wird sich zuerst und unmittelbar auf die Grundlagenforschung, in der Folge aber auch auf die translationelle Forschung auswirken, bei der Ergebnisse rasch in Therapien umgesetzt werden. Denn die Medizinische Universität stellt in Wien dem AKH das gesamte ärztliche Personal zur Verfügung (in Graz und Innsbruck den jeweiligen Landeskliniken immerhin 50%). Bereits heute hat es aber überwiegend Aufgaben der reinen Krankenversorgung zu verrichten, so dass für Forschung und Lehre wenig Zeit bleibt. Die laufende Leistungsvereinbarung bis 2012 hätte hier eine gewisse Erleichterung geschaffen, da der Medizinischen Universität Wien nun erstmals genügend Mittel zur Verfügung stünden, das ärztliche Personal zumindest in einigen kritischen Bereichen zu erhöhen. Diese erfreuliche Entwicklung ist nun innerhalb der nächsten zwei Jahre nicht nur von einem Stopp bedroht, sondern das Personal wird unter den Stand vor 2010 zurückgefahren werden.
Es ist den Medizinischen Universitäten gelungen, seit ihrer Ausgliederung zu Beginn 2004 in der Grundlagenforschung gewaltig aufzuholen. Nicht nur der starke Anstieg an Publikationen in prestigeträchtigen Fachzeitschriften, sondern auch die um ein Vielfaches gestiegenen Mittel, die aus der nationalen (FWF) und internationalen Forschungsförderung (EU-Projekte) akquiriert werden konnten, geben ein eindrucksvolles Bild. Der Drittmittelanteil der MedUni Wien betrug vor der Ausgliederung (2003) € 34 Mio und zuletzt (2009) € 73 Mio. Hier droht den Medizinischen Universitäten ein markanter Einbruch, wenn sie nicht länger in wissenschaftliches Personal und Infrastruktur (zur erfolgreichen Akquirierung von kompetitiven Fördermitteln unbedingt notwendig!) investieren können.
Versorgung der PatientInnen auch unmittelbar betroffen
Neben der Grundlagen- und der translationellen Forschung wird auch die Patientenversorgung im AKH direkt betroffen sein. Sollte die Stadt Wien hier nicht kompensatorisch einspringen, was ihre Aufgabe ist, könnte die derzeitige Qualität der Versorgung nicht mehr aufrecht erhalten werden. Denn neben der Reduktion an Ärztinnen und Ärzten zur Kernarbeitszeit, wird zur Einhaltung des Krankenanstalten-Ärztearbeitszeitgesetzes die Vorhaltung an ärztlichem Personal in der Nacht und an Wochenenden im derzeitigen Ausmaß nicht mehr möglich sein.
Die Aufforderung der Politik an die Universitäten, unter diesen Bedingungen vermehrt private Mittel zu lukrieren, ist auch nicht zielführend, denn:
- die Einnahmen nahezu aller öffentlichen Universitäten sind seit deren Ausgliederung aus der Bundeshoheit ohnehin bereits um ein Vielfaches mehr gestiegen als die Einnahmen in Form öffentlicher Mittel;
- private Mittel fließen zum Großteil in reine Auftragsforschung, die private Förderung von Grundlagenforschung hat – im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern – in Mitteleuropa wenig Kultur;
- weder Auftragsforschung noch private Forschungsförderung finanziert Stammpersonal und Infrastruktur; und
- der Staat darf sich nicht vor der Priorität, Grundlagenforschung zu fördern, drücken. Gerade sie sichert langfristig den Wohlfahrtsstaat, nur für sie besteht die Verpflichtung zur Offenlegung aller Ergebnisse, nur sie garantiert letztlich angewandte Forschung auf hohem Niveau. Denn auch dort haben die besten Köpfe in der Grundlagenforschung das Forschen gelernt.
Bilder im Medienservice;
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Medizinische
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