Intrazellulärer Immunkontrollpunkt NR2F6: neuer Lichtblick in der Krebstherapie
Krebs ist vor allem eine Immunerkrankung. Erst wenn das Immunsystem versagt, wird ein Tumor klinisch relevant. Damit Tumorzellen der Zerstörung durch das Immunsystem nicht mehr länger entkommen können, setzt der Innsbrucker Zellgenetiker Gottfried Baier auf eine vielversprechende Strategie: die Umschulung des Immunsystems durch die Hemmung von intrazellulären Immunkontrollpunkten als Krebsimmuntherapie. Der Kernrezeptor NR2F6 könnte sich dabei als besonders lohnendes Krebstherapieziel erweisen.
Innsbruck, 1.10.2015: Ein Forschungsteam der Sektion für Translationale Zellgenetik der Medizinischen Universität Innsbruck hat mit dem DNA-bindenden Protein NR2F6 einen neuen Angriffspunkt für die Weiterentwicklung der Krebsimmuntherapie gefunden. Mit der Hemmung dieses zentralen Immunregulators könnte die Kontrolle des Tumorwachstums durch das patientInneneigene Immunsystem wieder hergestellt werden.
Impuls für Krebsimmuntherapie
Die immunonkologische Forschung versucht seit einigen Jahren, körpereigene Abwehrmechanismen für die Krebstherapie nutzbar zu machen. Die Aufgabe eines funktionierenden Immunsystems ist es, Krebszellen abzutöten, ohne körpereigene Strukturen langfristig zu schädigen. Im Krankheitsverlauf können Krebszellen aber mittels Mutationen Eigenschaften erwerben durch die das Immunsystem diese solcherart veränderten Krebszellen nicht mehr eliminieren kann. Im komplexen Zusammenspiel von Tumorzellen, Immunzellen und deren Signalwegen spielen sogenannte Immun-Checkpoints, die eine überschießende Immunreaktion wie z.B. bei einer Autoimmunitätserkrankung verhindern, eine relevante Rolle. Es handelt sich dabei um immunregulierende Proteine wie PD-1 und CTLA-4, die auf der Oberfläche von T-Zellen oder wie Cbl-b und NR2F6, die in T-Zellen exprimiert werden. „Diese Mechanismen nützt die Tumorzelle für sich, indem sie Checkpoint-Proteine hochreguliert und das Immunsystem damit gleichsam ausbremst. So kann der Tumor weiter wachsen“, erklärt Gottfried Baier, der an der Medizinischen Universität Innsbruck die Sektion für Translationale Zellgenetik leitet und in der aktuellen Ausgabe des Online-Journals Cell Reports vielversprechende Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Krebsimmuntherapie liefert.
Therapiepotenzial durch intrazelluläre Feinabstimmung
Gemeinsam mit Natascha Kleiter und Victoria Klepsch konnte er in vivo und in Zellkultur die Tauglichkeit von NR2F6 (Nuclear receptor subfamily 2, group F, member 6) als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer innovativen immunstimulierenden Strategie mit Anti-Tumor Wirkung belegen. „Wird NR2F6 genetisch unterdrückt, bleiben die T-Zellen auch im Tumormikromilieu aktiv und halten so den Tumor in Schach“, unterstreichen Natascha Kleiter und Victoria Klepsch das therapeutische Potenzial des Proteins. Die Anti-Tumor Immunantwort bei den bereits klinisch zugelassenen Inhibitoren – CTLA-4 und PD-1 inhibierende monoklonale Antikörper – hat den Preis von starken Autoimmunphänomenen in verschiedenen Organsystemen, zum Beispiel in Form von Hypophysitis (Entzündung der Hirmanhangsdrüse) oder Enteritiden (Darmentzündungen).
Im Unterschied zur Blockade dieser CTLA-4 und PD-1 Checkpoint-Moleküle auf der Zelloberfläche, die das gesamte Immunsystem ankurbelt, wirkt ein NR2F6-Hemmstoff als Signalverstärker nur in aktivierten Immunzellen in unmittelbarer Tumornähe – ein Umstand, der eine systemische Autoimmunität als unerwünschte Nebenwirkung verhindert.
„Feinmodulation der lokalen Tumorimmunität ist in diesem Fall also mehr“, betont Grundlagenforscher Gottfried Baier, der sich nun gemeinsam mit Pharmaunternehmen auf die Suche nach einem entsprechenden NR2F6-Hemmstoff macht. „NR2F6 ist ein intrazellulärer Checkpoint und dazu ein Transkriptionsrepressor mit Ligandenbindungsdomäne. Damit haben wir eine biologische Zielstruktur, die direkt von niedermolekularen Medikamenten pharmakologisch beeinflussbar ist“. Neben geringer Autoimmuntoxizität punktet die von den Innsbrucker ZellgenetikerInnen angestrebte Immunmodulation, im Vergleich zu den CTLA-4 und PD-1 inhibierenden Antikörper-Therapieformen, daher auch mit einer wesentlichen Kostensenkung mittels pharmakologischer Arzneimittel.
Die drängende Frage ist, ob die Hemmung von NR2F6 in Zukunft für definierte Krebsentitäten allein oder in Kombination mit etablierten Therapieverfahren eine therapeutische Option werden wird. Gemäß der Devise „from bench to bedside“ ist die Forschungsarbeit jedenfalls schon auf einem guten Weg in Richtung klinischer Prüfung.
Hintergrund
Der Biologe und Zellgenetiker Gottfried Baier ist seit 2011 Direktor der Sektion für Translationale Zellgenetik an der Medizinischen Universität Innsbruck. Als Post-Doc in den USA identifizierte er 1992 erstmals das Enzym PKC-theta, das für die Aktivierung der T-Zellen essentielle Bedeutung hat. Cbl-b und NR2F6 sind dabei die direkten Effektormoleküle dieses PKC-theta Signalweges in der T-Zelle. Gemeinsam mit Josef Penninger (Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) steht er für den „österreichischen Weg“ in der Krebsimmuntherapie, der sich auf intrazelluläre Immun-Checkpoints fokussiert. Natascha Hermann-Kleiter hat in Salzburg Biologie studiert und forscht bereits seit 10 Jahren im Team von Gottfried Baier. Seit über drei Jahren ist auch die frisch promovierte Biologin Victoria Klepsch mit im Team.
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Details zur Medizinischen Universität Innsbruck
Die Medizinische Universität Innsbruck mit ihren rund 1.400* MitarbeiterInnen und ca. 3.000 Studierenden ist gemeinsam mit der Universität Innsbruck die größte Bildungs- und Forschungseinrichtung in Westösterreich und versteht sich als Landesuniversität für Tirol, Vorarlberg, Südtirol und Liechtenstein. An der Medizinischen Universität Innsbruck werden folgende Studienrichtungen angeboten: Humanmedizin und Zahnmedizin als Grundlage einer akademischen medizinischen Ausbildung und das PhD-Studium (Doktorat) als postgraduale Vertiefung des wissenschaftlichen Arbeitens. An das Studium der Human- oder Zahnmedizin kann außerdem der berufsbegleitende Clinical PhD angeschlossen werden.
Seit Herbst 2011 bietet die Medizinische Universität Innsbruck exklusiv in Österreich das Bachelorstudium „Molekulare Medizin“ an. Seit dem Wintersemester 2014/15 kann als weiterführende Ausbildung das Masterstudium „Molekulare Medizin“ absolviert werden.
Die Medizinische Universität Innsbruck ist in zahlreiche internationale Bildungs- und Forschungsprogramme sowie Netzwerke eingebunden. Schwerpunkte der Forschung liegen in den Bereichen Onkologie, Neurowissenschaften, Genetik, Epigenetik und Genomik sowie Infektiologie, Immunologie & Organ- und Gewebeersatz. Die wissenschaftliche Forschung an der Medizinischen Universität Innsbruck ist im hochkompetitiven Bereich der Forschungsförderung sowohl national auch international sehr erfolgreich.
*vollzeitäquivalent
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Ein T-Lymphozyt (in gelb) attackiert eine Melanoma Tumorzelle (in orange). Foto: MUI/Kristian Pfaller
v.l.: Die Erstautorinnen Assistenzprofessorin Priv.-Doz.in Mag.a Dr.in Natascha Veronika Kleiter und Bakk.biol. Victoria Franziska Klepsch MSc. mit dem Leiter der Sektion für Zellgenetik, Univ.-Prof. Dr. Gottfried Baier. Foto: MUI
Für inhaltliche Rückfragen:
Univ.-Prof. Dr.rer.nat Gottfried Baier
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Tel.: +43 512 9003 70514
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Ein T-Lymphozyt (in gelb) attackiert eine Melanoma Tumorzelle (in orange). Foto: MUI/Kristian Pfaller
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