Medieninformation
Abwasseranalysen der Gerichtsmedizin Innsbruck: keine Zunahme des Drogenkonsums im Jahresvergleich, Cannabis wird am häufigsten konsumiert
- Abwässer von zehn Kläranlagen in Österreich und Südtirol auf Drogenrückstände untersucht
- Keine weitere Zunahme des Kokainkonsums in Innsbruck
- Bewährte Kooperation mit Innsbrucker Kommunalbetriebe AG (IKB) und ÖWAV-Kanal- und Kläranlagen-Nachbarschaften
Das Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck (GMI) ist Teil des europaweiten Netzwerkes SCORE, das in Zusammenarbeit mit der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) jährlich die Mengen einzelner verbotener Substanzen in den Abwässern europäischer Städte untersucht. 2019 wurden europaweit die Abwässer von 100 Kläranlagen in 86 Städten bzw. Regionen analysiert, darunter auch die Abwässer von acht österreichischen und zwei Südtiroler Kläranlagen. Seit heute liegen die Ergebnisse vor.
Pressebilder zum Download: (c)MUI/D. Bullock
BU: v.l.: Herbert Oberacher (GMI), Helmuth Müller (IKB) und Stefan Wildt (ÖWAV, Land Tirol)
BU: Übersicht über die im Rahmen der SCORE-Studie untersuchten Regionen
BU: Studienverantwortlicher Herbert Oberacher, Leiter des forensisch-toxikologischen Forschungslabors an der Innsbrucker Gerichtsmedizin.
BU: Probengewinnung im Labor der Kläranlage Innsbruck.
Innsbruck, 12.03.2020: Im Jahr 2019 analysierte die GMI den Drogenkonsum anhand der Abwässer aus acht österreichischen und zwei Südtiroler Regionen. Damit lassen sich valide Aussagen über den Drogenkonsum von über 920.000 Menschen treffen. Bezogen auf die EinwohnerInnenzahl waren Graz, Innsbruck und Bozen mit jeweils über 100.000 BewohnerInnen die größten untersuchten Gemeinden. Mit der Analyse durch die GMI nimmt Österreich seit 2016 am europäischen Drogen-Monitoring teil. Seit Beginn an sind die Innsbrucker Kommunalbetriebe (IKB) Projektpartner der GMI. Durch Unterstützung von Seiten der Kläranlagen-Nachbarschaften des Österreichischen Wasser- und Abfallwirtschaftsverbandes (ÖWAV) konnten die Untersuchungen nun auf insgesamt 10 Kläranlagen ausgeweitet werden, was zusätzliche Vergleichsmöglichkeiten schafft.
GMI: Kompetenzzentrum für Drogen- und Abwasseranalytik
Federführend für die Untersuchungen zeichnet Herbert Oberacher, Leiter des forensisch-toxikologischen Forschungslabors an der von Richard Scheithauer geführten Innsbrucker Gerichtsmedizin. Aufgrund der vorhandenen Expertise und Qualität darf das Innsbrucker Labor als einzige Einrichtung Österreichs am SCORE-Programm teilnehmen. „Besonders stolz sind wir auf den Umstand, dass die Ergebnisse unserer chemischen Analysen von der Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) in Lissabon für den europäischen Drogenbericht verwertet werden“, berichtet Oberacher. Mit hochmodernen und entsprechend nachweisempfindlichen Analyseverfahren kann die Zusammensetzung von Abwässern im GMI-Labor exakt entschlüsselt werden. Mit den vorliegenden Ergebnissen ist es somit möglich, den Drogenkonsum von zumindest 9% der österreichischen, 30% der Tiroler, 29% der Steirer, 18% der Vorarlberger, 8% der Kärntner, 1% der Niederösterreicher und 40% der Südtiroler Bevölkerung abzubilden.
Abwasser-Profis unterstützen Spurensuche
Für die Durchführung der Abwasseranalytik, die sich als zunehmend Information bringende Monitoringmethode zur Erhebung von Trends und Entwicklungen am Drogenmarkt erweist, ist die GMI auf die Zusammenarbeit mit den Kläranlagen angewiesen. In Innsbruck gibt es dazu eine Partnerschaft mit der Innsbrucker Kommunalbetriebe AG (IKB) „Wir betreiben die Kläranlage Innsbruck, in der die Abwässer von Innsbruck und 14 Umlandgemeinden zusammenfließen“, meint dazu IKB-Vorstandsvorsitzender Helmuth Müller. „Gerne stellen wir der GMI Abwasserproben zur Verfügung, die wichtige Informationsquellen für deren Analyse sind“, so Müller weiter.
MitarbeiterInnen der Kläranlage entnehmen über jeweils 24 Stunden Proben vom Abwasser, das über die Kanalisation aus dem gesamten Einzugsgebiet zur Kläranlage fließt. „Die korrekte Technik der Probenahme lernen die Abwasser-Profis im Rahmen ihrer Ausbildung zum Klärfacharbeiter beim Österreichischen Wasser- und Abfallwirtschaftsverband. Auf Fortbildungsveranstaltungen für das Betriebspersonal der Kläranlagen konnten wir Interesse an dieser gemeinsamen ‚Spurensuche‘ wecken“, berichtet Stefan Wildt, Leiter dieser Aus- und Fortbildung beim ÖWAV.
Die Analyse der einzelnen Konsummarker (Drogen bzw. deren Stoffwechselprodukte) erfolgt schließlich im Labor der GMI. Im Fokus standen die Suchtgifte Tetrahydrocannabinol (THC, Wirkstoff in Cannabis), Kokain, Amphetamin (Wirkstoff in Speed), 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin (MDMA, Wirkstoff in Ecstacy) und Methamphetamin (Wirkstoff in Crystal Meth).
Regionale Unterschiede und zeitliche Trends
In jeder der untersuchten Regionen war Cannabis die dominierende Droge, wobei in den Städten tendenziell mehr Cannabis konsumiert wird, als im ländlichen Raum. Der höchste Pro-Kopf-Verbrauch an THC war dabei in Innsbruck zu messen. Im Gegensatz dazu wiesen Graz und Bozen vergleichsweise niedrigere THC-Pro-Kopf-Konsummengen auf. Das meistkonsumierte Stimulans war Kokain. „Bei Kokain sahen wir eine jährliche Steigerung der im Abwasser gefundenen Mengen in den Jahren 2016 bis 2018. Aber wie bei Cannabis und den anderen Suchtmitteln verzeichnen wir nun auch bei Kokain keinen weiteren Anstieg mehr im Jahresvergleich“, beschreibt Oberacher eine nachgewiesene Trendumkehr. Der Kokainkonsum ist jedoch in Westösterreich sowie in Südtirol – hier liegt Bozen mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch vorne – höher als im Osten. Bei Amphetamin ist das Bild genau umgekehrt: Im Osten wird mehr Amphetamin als im Westen Österreichs und Südtirol konsumiert. Der höchste Pro-Kopf-Verbrauch an Amphetamin wurde in Kapfenberg beobachtet. „Diese Ost-West-Gefälle dürften mit der geographischen Lage Österreichs erklärbar sein. Auf Gesamteuropa bezogen wird Kokain bevorzugt im Süd-Westen und Amphetamin im Nord-Osten konsumiert. Österreich liegt genau dazwischen“, kommentiert Oberacher diesen Trend.
In allen Regionen war der MDMA-Konsum 2019 niedriger als jener von Kokain und Amphetamin, relevante Mengen an Methamphetamin werden de facto nicht umgesetzt.
Nachdem die Mitarbeiter der Kläranlagen die Abwasserproben jeweils exakt für einzelne Tage entnehmen, kann aus der Abwasseranalyse auch ein Wochenverlauf für das Konsummuster nachgezeichnet werden. „In den meisten Regionen lassen sich für das Wochenende höhere Kokain-, Amphetamin- und MDMA-Konzentrationen nachweisen, als an anderen Wochentagen. Daraus lässt sich schließen, dass diese Substanzen vor allem als Partydrogen Verwendung finden“, so Oberacher.
Die Ergebnisse aus Österreich und Südtirol wurden im Rahmen der SCORE Studie mit jenen von weiteren 77 europäischen Städten bzw. Regionen verglichen. Dabei zeigte sich, dass die von der GMI untersuchten Abwässer bei allen analysierten Substanzen Plätze im internationalen Mittelfeld einnahmen. Für die Qualität der Untersuchung spricht auch, dass die Ergebnisse der Abwasseranalyse weitgehend mit anderen Kennzahlen des Drogenmarktes, etwa Anzeigen im Rahmen des Suchtmittelgesetzes oder Sicherstellungen von illegalen Substanzen korrelieren.
Mehrwert für Drogenpolitik
Durch ein kontinuierliches Monitoring von Drogenwirkstoffen im Abwasser lassen sich einfach, kostengünstig, schnell, zeitnah und mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung Trends und Entwicklungen am Drogenmarkt erkennen. Die erhobenen Daten liefern den staatlichen Behörden und den politisch Verantwortlichen Entscheidungshilfen, um geeignete Maßnahmen für eine nachhaltige Drogenpolitik ausarbeiten und umsetzen zu können. „Die Erfahrungen, die wir über die letzten Jahre mit dem Abwasser basierten Drogenmonitoring gesammelt haben, zeigen, welch großes Potenzial in der Methode steckt. Daher hoffen wir auf die notwendige politische Unterstützung, um das Monitoring in Zukunft auf noch mehr österreichische Regionen ausdehnen zu können“, schließt Oberacher.
Aktuelle Ergebnisse im Detail: http://www.emcdda.europa.eu/activities/wastewater-analysis
Links:
Medizinische Universität Innsbruck
Innsbrucker Kommunalbetriebe AG (IKB)
Österreichischer Wasser- und Abfallwirtschaftsverband
Kanal- und Kläranlagen-Nachbarschaften beim ÖWAV (Seite in Arbeit)
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Für Rückfragen:
Assoz. Prof. Priv.-Doz. Mag.Dr.rer.nat. Herbert Oberacher
Institut für Gerichtliche Medizin
Medizinische Universität Innsbruck
Tel.: +43 512 9003 70639
E-Mail: Herbert.Oberacher@i-med.ac.at
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