SARS-CoV-2 & Verdauung: „Covid-19 ist eine entzündliche Erkrankung, die den Organismus überfährt“
Covid-19 hinterlässt deutliche Spuren in den Verdauungsorganen. Daher gilt Durchfall als ein mögliches Symptom für eine Infektion mit SARS-CoV-2. Viele PatientInnen entwickeln jedoch nicht nur eine Darmentzündung, sondern zeigen auch krankhaft erhöhte Leberwerte. Die sensible Keimwelt im Darm, die Mikrobiota, verändert sich massiv. Über aktuelle Erkenntnisse, was Betroffene mit Durchfall jetzt tun sollten und warum es wichtig ist, Vorsorgetermine nicht abzusagen, erklärt der Tiroler Internist und Gastroenterologe Herbert Tilg, Direktor der Univ.-Klinik für Innere Medizin I.
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Herbert Tilg, Direktor Univ.-Klinik Innere Medizin I
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Innsbruck, am 01.12.2020: Durchfall, Übelkeit, Erbrechen – das sind Symptome, die nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 gerade in der Anfangsphase bei rund 10 bis 20 Prozent der Betroffenen auftreten. In verschiedenen Publikationen hat der Tiroler Experte Herbert Tilg bereits auf verschiedenste Symptome und Phänomene aufmerksam gemacht. Noch ist vieles ungewiss, aber die Verdauungsorgane scheinen nicht dauerhaft geschädigt zu werden.
Was passiert nach einer Sars-CoV-2 Infektion im Darm?
Wir sehen bei unseren Patientinnen und Patienten, dass der Verdauungstrakt entzündlich mitbeteiligt ist. So konnten wir beispielsweise nachweisen, dass im Stuhl das Entzündungseiweiß Calprotectin deutlich erhöht ist. Dabei handelt es sich um einen Biomarker für eine Darmentzündung. Wir wissen also, dass Covid-19 nicht nur eine Entzündung in der Lunge verursacht, sondern wahrscheinlich auch im Dünn- und Dickdarm.
Was haben Sie von Ihren Covid-19 PatientInnen in den ersten Monaten gelernt?
Wir haben gelernt, dass diese Erkrankung ein sehr breites klinisches Bild zeigt. Das heißt, es können verschiedene Organe beteiligt sein. Es gibt keine andere Virusinfektion, die in einem so großem Ausmaß Entzündungen im Körper verursacht. Covid-19 ist also eine entzündliche Erkrankung, die den Organismus „überfährt“. Die Behandlung mit Cortison ist zu einer wirklichen Therapie geworden. Früher galt es als absurd, eine Infektion so zu behandeln. Jetzt ist es bei schweren Verläufen ein Standardverfahren. Da haben wir in der Medizin schon viel gelernt.
Durchfall kann ein Symptom für eine Covid-19 Erkrankung sein. Sollen Betroffene jetzt besser zu Hause bleiben, ähnlich wie das bei Erkältungskrankheiten geraten wird?
Jetzt, da das Virus so häufig ist: ja. Mit Fieber und Magen-Darm-Beschwerden sollte ich allerdings primär zu Hause bleiben, denn es könnte ja auch eine andere Viruserkrankung vorliegen. Eine weitere Verbreitung sollte jedenfalls vermieden werden, unabhängig davon, um welchen Erreger es sich handelt. Im Moment sehen wir beispielsweise kaum Fälle von Norovirusinfektionen - die intensiven Hygienemaßnahmen dürften hier einen günstigen Einfluss haben. Aktuell können Symptome wie Durchfall oder Erbrechen daher jedenfalls Anzeichen für eine Covid-19 Erkrankung sein. Gerade in der Frühphase sind es manchmal die einzigen Symptome. Später kommen meist weitere hinzu. Nur in Einzelfällen dominiert die Infektion der Verdauungsorgane das Geschehen.
Sie haben verschiedene wissenschaftliche Artikel zu Covid-19 publiziert. Was sind neue Erkenntnisse?
Wir haben zum Beispiel gezeigt, dass sehr viele der Betroffenen, fast 50 Prozent, krankhaft erhöhte Leberwerte haben. Das Ausmaß der Leberwerte korreliert mit der Entzündung im Körper. Die Leber ist damit ein weiteres Organ, das von den entzündlichen Prozessen einer Covid-19 Erkrankung betroffen ist.
Darüber hinaus haben die Patientinnen und Patienten einen erhöhten Neopterinspiegel im Stuhl. Dieser Marker zur Erfassung der Immunaktivität wurde in den 1980iger Jahren an der damaligen Medizinischen Fakultät in Innsbruck entdeckt. Damit haben wir einen weiteren Baustein zum Verständnis der Erkrankung geliefert. Voraussichtlich kommt es zu einer Entzündungsreaktion in der Darmwand.
Welche Rolle spielt die „Keimwelt im Darm“, die Mikrobiota?
Covid-19 führt zu einer massiven Veränderung der Keimwelt. Die tausenden von Bakterienfamilien in der Mikrobiota ändern sich total. Es gibt erste Hinweise, dass diese Verschiebung etwas mit dem Schweregrad der Erkrankung zu tun hat. Die Keimwelt wird durch die Infektion verändert und trägt letztlich auch zur Ausbreitung der Entzündung im Körper bei. Das hat natürlich einen nachhaltigen Effekt auf das Krankheitsgeschehen und die Mikrobiota ist damit auch ein mögliches Target für die Behandlung.
Was wissen Sie über die Langzeitfolgen im Verdauungstrakt?
Hierzu laufen natürlich noch Forschungsarbeiten, aber wir wissen, dass sich im Schnitt die Symptomatik der Verdauungsorgane bei Covid-19-PatientInnen nach Tagen oder Wochen wieder legt. Auch die Entzündungen der Leber, die wir in der Akutphase sehen, legen sich wieder. Bei schweren Verläufen einer Covid-19 Erkrankung kommt es zu der bereits häufig beschriebenen totalen Überreaktion des Immunsystem. Dieser Zytokinsturm fährt in alle Organe hinein. Zum Glück sehen wir auch in der Leber aktuell keine chronischen Schädigungen, aber hier wird von uns weiterhin genau hingeschaut.
Herausforderung Vorsorge: Kommen noch genügend Personen zur Darmkrebsvorsorge?
Das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben gelernt, dass unsere Patientinnen und Patienten nicht nur während des Lock-Downs, sondern auch danach oft nicht zu wichtigen Vorsorgeuntersuchungen kommen. Es gibt bereits Hochrechnungen, die besagen, dass wir rund zehn Prozent der Darmkrebserkrankungen später und in einem fortgeschrittenerem Stadium diagnostizieren werden. Das bedeutet einen grundlegenden Nachteil für die Betroffenen. Also ich appelliere daher ganz deutlich: Bitte gehen Sie weiterhin zur Vorsorge! Das hat wirklich einen signifikanten Effekt auf Heilungschancen und an der Universitätsklinik Innsbruck sind auch aktuell Endoskopien möglich.
Details zur Medizinischen Universität Innsbruck
Die Medizinische Universität Innsbruck mit ihren rund 2.000 MitarbeiterInnen und ca. 3.300 Studierenden ist gemeinsam mit der Universität Innsbruck die größte Bildungs- und Forschungseinrichtung in Westösterreich und versteht sich als Landesuniversität für Tirol, Vorarlberg, Südtirol und Liechtenstein. An der Medizinischen Universität Innsbruck werden folgende Studienrichtungen angeboten: Humanmedizin und Zahnmedizin als Grundlage einer akademischen medizinischen Ausbildung und das PhD-Studium (Doktorat) als postgraduale Vertiefung des wissenschaftlichen Arbeitens. An das Studium der Human- oder Zahnmedizin kann außerdem der berufsbegleitende Clinical PhD angeschlossen werden.
Seit Herbst 2011 bietet die Medizinische Universität Innsbruck exklusiv in Österreich das Bachelorstudium „Molekulare Medizin“ an. Ab dem Wintersemester 2014/15 kann als weiterführende Ausbildung das Masterstudium „Molekulare Medizin“ absolviert werden.
Die Medizinische Universität Innsbruck ist in zahlreiche internationale Bildungs- und Forschungsprogramme sowie Netzwerke eingebunden. Schwerpunkte der Forschung liegen in den Bereichen Onkologie, Neurowissenschaften, Genetik, Epigenetik und Genomik sowie Infektiologie, Immunologie & Organ- und Gewebeersatz. Die wissenschaftliche Forschung an der Medizinischen Universität Innsbruck ist im hochkompetitiven Bereich der Forschungsförderung sowohl national auch international sehr erfolgreich.