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Analyse von 167 internationalen Studien mit über 500.000 TeilnehmerInnen

Erstmals berechnete Referenzwerte für Pulswellengeschwindigkeit erleichtern Vorhersage und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Das Risiko für Schlaganfall sowie Herz- und Nierenerkrankungen erhöht sich mit zunehmender Steifigkeit der Gefäße. Die Pulswellengeschwindigkeit (Pulse Wave Velocity, PWV) hat sich als Marker für die Gefäßsteifigkeit etabliert, doch bislang fehlten Vergleichsdaten, um die Messwerte richtig einordnen zu können. Eine neue Metaanalyse aus Innsbruck liefert nun erstmals globale Referenzwerte für die Pulswellengeschwindigkeit und damit die Grundlage für eine gezielte Risikoabschätzung.

Bilder frei zum Download:


BU: Die Pulswellengeschwindigkeit variiert stark zwischen verschiedenen Ländern. Während sie in Polen, Russland, Island, Frankreich und China am höchsten ist, ist sie in Spanien, Belgien, Kanada, Finnland und Argentinien am niedrigsten. Quelle: EBioMedicine. 2023 May 23;92:104619.

Die Neurologen Stefan Kiechl (li.) und Raimund Pechlaner legen erstmals Referenzwerte für die Pulswellengeschwindigkeit vor. Bild: MUI / C. Simon

 

Innsbruck, am 1. Juni 2023: Im Lauf des Lebens lässt die Elastizität unserer Gefäße nach. Verschiedenste Faktoren tragen dazu bei, neben Risikofaktoren wie dem Rauchen, Übergewicht, Bluthochdruck oder Bewegungsmangel auch Gefäßverkalkung und der natürliche Alterungsprozess.

„Werden die Gefäße steifer, dann steigt auch die Ausbreitungsgeschwindigkeit der vom Herzschlag ausgelösten Welle entlang der Aorta und der Arterien an. Die Pulswellengeschwindigkeit ist also ein direkter Indikator für die Gesundheit und Elastizität unseres Gefäßsystems“, weiß Stefan Kiechl, Direktor der Univ.-Klinik für Neurologie an der Medizin Uni Innsbruck und wissenschaftlicher Leiter des Forschungszentrums VASCage.

Gezieltere Risikovorhersage

Dem großen Nutzen der PWV als Marker für das Risiko von Gefäßerkrankungen stand bislang jedoch das Fehlen geeigneter Referenzwerte gegenüber. „Die PWV kann sehr unterschiedlich sein und wird nicht nur durch Alter und Geschlecht, sondern auch durch geografische Faktoren, sozio-ökonomischen Hintergrund und Genetik bestimmt“, so der Innsbrucker Neurologe Raimund Pechlaner, der gemeinsam mit Stefan Kiechl bereits vor zwei Jahren nachweisen konnte, dass die Gefäßsteifigkeit bei Frauen nach der Menopause schnell zunimmt, sodass Frauen im hohen Lebensalter sogar steifere Gefäße als Männer aufweisen.

Um die Variabilität der PWV darstellen und valide Referenzwerte berechnen zu können, führten die Innsbrucker Neurologen gemeinsam mit Sophia Kiechl (VASCage) sowie KollegInnen in London und Changsha, China eine Metaanalyse durch. Dafür wurden weltweit alle verfügbaren PWV-Messungen kombiniert. Insgesamt wurden 167 Studien aus 34 Ländern mit gemeinsam über 500.000 TeilnehmerInnen, darunter die VASCage-Studien EVA und EVA4You, zusammengeführt. Erfasst wurden jeweils Messergebnisse der Oberarm-Knöchel- oder Karotis-Femoral-PWV (baPWV oder cfPWV) bei für die Gesamtbevölkerung repräsentativen StudienteilnehmerInnen.

„Unsere Daten belegen etwa, dass in China und anderen Ländern des asiatischen Raums höhere Pulswellengeschwindigkeiten gemessen werden, was das gehäufte Auftreten von Kleingefäß-Schlaganfällen und Hirnblutungen in China und anderen asiatischen Ländern erklären könnte“, berichtet Kiechl über Ergebnisse der aktuellen Arbeit, die Länder-spezifische Referenzwerte für die Pulswellengeschwindigkeit bietet und im renommierten Fachjournal eBioMedicine, einem Mitglied der Lancet-Journalfamilie, veröffentlicht wurde.

Der Neuwert der nun berechneten Schwellenwerte liegt in der verbesserten Vorhersage des individuellen kardiovaskulären Risikos. „Damit lassen sich in der Folge gezieltere Therapieentscheidungen treffen, zumal die Gefäßsteifigkeit durch die Änderung des Lebensstils beeinflussbar ist. Schon kurze Zeit nach einem Rauchstopp etwa werden Gefäße wieder elastischer“, betont Kiechl.

Nachdem die Messung der PWV eine einfache, nicht invasive und gut reproduzierbare Methode zur Bestimmung der Gefäßsteifigkeit ist und nun erstmals weltweite Referenzwerte vorliegen, wollen Stefan Kiechl und Raimund Pechlaner im nächsten Schritt untersuchen, ob sich die PWV besonders auch für HochrisikopatientInnen als standardisierter Vorhersagewert eignet.

Zu den Personen:

Stefan Kiechl ist Direktor der Univ.-Klinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Innsbruck. Er ist Chief Scientific Officer von VASCage, demResearch Centre on Vascular Ageing and Stroke, das auf Gefäßalterung und Schlaganfall fokussiert und verbesserte Strategien zur Vorbeugung, Diagnose, Therapie und Rehabilitation von Gefäßerkrankungen entwickelt. Er ist Past Präsident der Österreichischen Schlaganfallgesellschaft und Chair of the Congress Planning Group der Weltschlaganfallorganisation und hat bis dato mehr als 400 Publikationen (H-Faktor = 94) veröffentlicht. 2016 hat Kiechl den Research Excellence Award der Europäischen Schlaganfallorganisation erhalten.

Raimund Pechlaner ist Oberarzt und Leiter der Schlaganfall-Station an der Univ.-Klinik für Neurologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Nach dem Medizinstudium in Innsbruck und Besançon (Frankreich) dissertierte er bei Stefan Kiechl, wofür er den „Award of Excellence“ der Republik Österreich erhielt, ehe er als PostDoc an das King’s College London wechselte (Cardiovascular Proteomics group, Manuel Mayr). Raimund Pechlaner ist Autor von 51 Publikationen (H-Faktor = 20), darunter führende Autorenschaften in Journal of the American College of Cardiology und Circulation.

 

Zur Forschungsarbeit: https://doi.org/10.1016/j.ebiom.2023.104619