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Gemeinsame Medieninformation von Eurac Research und der Medizinischen Universität Innsbruck

Wenn die Psyche nicht zur Ruhe kommt

Forschungsteam untersuchte posttraumatische Belastung nach Bergunfällen

Der Traumtag am Berg kann schnell mit einem Trauma enden – ein Unfall, auch wenn er glimpflich ausgeht, setzt Betroffenen mitunter noch lange schwer zu. 20 Prozent der unfallchirurgisch behandelten PatientInnen, die befragt wurden, leiden sechs Monate nach einem Alpinunfall unter einzelnen Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Das hat ein interdisziplinäres Team der Med Uni Innsbruck unter der Leitung von Katharina Hüfner mit Unterstützung des Bozner Forschungszentrums Eurac Research erstmals erhoben.

Pressebilder zum Herunterladen:

BU: Ein Unfall am Berg kann eine posttraumatische Belastungsstörung nach sich ziehen. (Foto: Eurac Research/Annelie Bortolotti)

BU: Ein Unfall am Berg kann eine posttraumatische Belastungsstörung nach sich ziehen. (Foto: Eurac Research/Annelie Bortolotti)

BU: Knapp 60 Prozent der Unfälle passierten auf gesicherten Skipisten. (Foto: Eurac Research/Ivo Corrà)

BU: Knapp 60 Prozent der Unfälle passierten auf gesicherten Skipisten. (Foto: Eurac Research/Ivo Corrà)

BU: Katharina Hüfner von der Univ.-Klinik für Psychiatrie II

BU: Katharina Hüfner von der Univ.-Klinik für Psychiatrie II

BU: Alpinmediziner Hermann Brugger

BU: Alpinmediziner Hermann Brugger

Innsbruck, 11. Juni 2024: Der Begriff posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) fällt oft in Zusammenhang mit Kriegserlebnissen und Gewalterfahrungen. Doch auch ein Sturz auf der Skipiste oder ein Fahrradunfall am Berg kann eine PTBS nach sich ziehen. Erstmals ist ein interdisziplinäres Team um Katharina Hüfner von der Univ.-Klinik für Psychiatrie II (Direktorin: Barbara Sperner Unterweger) dem unter anderen KollegInnen der Univ.-Klinik für Orthopädie und Traumatologie (Direktor: Rohit Arora), und die Alpinmediziner Hermann Brugger (Eurac Research, Bozen) und Peter Paal (Anästhesist und Präsident des Kuratoriums für Alpine Sicherheit, ÖKAS) angehören, dem Auftreten von PTBS nach Alpinunfällen nachgegangen. Das Fachjournal European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience publizierte nun die Untersuchung.

Die ForscherInnen luden erwachsene, deutschsprachige PatientInnen einige Monate nachdem diese aufgrund eines Alpinunfalls an der Univ.-Klinik für Orthopädie und Traumatologie Innsbruck behandelt worden waren, zur Teilnahme an einer Online-Befragung ein. Die insgesamt 307 StudienteilnehmerInnen hatten leichte (37 Prozent), moderate (35 Prozent) und schwere (28 Prozent) Verletzungen erlitten. Die meisten dieser Unfälle waren beim Skifahren oder Snowboarden auf gesicherten Pisten (knapp 60 Prozent), gefolgt von Fahrradfahren und Wandern passiert. Ziel der Befragung war es, herauszufinden, wie diese PatientInnen das Ereignis psychisch verarbeitet haben.

Das Ergebnis: Nur 1,3 Prozent der StudienteilnehmerInnen entwickelten das Vollbild einer PTBS. 20 Prozent zeigten sechs oder mehr Monate nach dem Alpinunfall einzelne Symptome einer PTBS. „Unmittelbar nach dem Unfall spricht man von einer akuten psychischen Belastungsreaktion. Es ist normal, unruhig zu sein, sich wie betäubt zu fühlen oder schlecht zu schlafen. Das hört nach ein paar Tagen meist wieder auf. Von einer posttraumatischen Belastungsstörung ist die Rede, wenn die Symptome bestehen bleiben oder erst einige Wochen bis Monate später auftreten“, erklärt Katharina Hüfner. Wer Flashbacks hat – das heißt, das Geschehene immer wieder durchlebt und sich etwa durch Sinnesreize, wie Gerüche oder Stimmen sofort wieder in die Unfallsituation versetzt fühlt –, wer alles vermeidet was an die Situation erinnern könnte, Stimmungsschwankungen hat, oder Stressreaktionen wie Reizbarkeit oder Schlafstörungen zeigt, könnte laut der Expertin Symptome haben, die auf eine PTBS hindeuten. „Die bei dem Unfall durchlebte Angst und Hilflosigkeit wird nicht als Erinnerung abgespeichert, sondern bleibt im Jetzt.“

Ein Drittel geht aus dem Unfall gestärkt hervor

Mit einem Machine Learning Algorithmus, den die WissenschafterInnen verwendeten, um die Fragebögen auszuwerten, konnten die StudienteilnehmerInnen drei Gruppen von psychischen Reaktionsmustern zugeordnet werden:

Ein Drittel der PatientInnen zeigte keinerlei Symptome einer PTBS und war auch sonst psychisch gesund. Ein weiteres Drittel der PatientInnen, das im Schnitt jünger war als die restlichen TeilnehmerInnen, zeigte Symptome, die auf eine PTBS hindeuten können und gleichzeitig Symptome von Depression, Panik und Angst. Diese Personen berichteten auch von einer schlechten Lebensqualität und litten oft noch unter körperlichen Folgen des Unfalls. Viele von ihnen hatten schon einmal psychische Beschwerden in der Vergangenheit, wie depressive Episoden oder Anzeichen eines „Burn-Outs“. Das charakteristische Merkmal der dritten Gruppe war das so genannte posttraumatische Wachstum: „Das bedeutet, dass man nach einem schlimmen Ereignis, eine gewisse Kraft für sein Leben ziehen und sich daraus positiv entwickeln kann. Man sieht beispielsweise, dass man gute Freunde hat, sich unterstützt fühlt oder bestimmte Dinge mehr schätzt, die man zuvor als selbstverständlich angesehen hatte“, sagt Hanna Salvotti, Erstautorin der Studie.

Verstärkte Sensibilisierung durch Information

In einem künftigen Projekt soll es darum gehen, prognostische Werkzeuge zu ermitteln, die es ermöglichen, das Risiko der PatientInnen für eine PTBS einzuschätzen, um ihnen von vornherein gezielt Unterstützung anbieten zu können. Der Einfluss der Schwere der Verletzung darauf ist offenbar nicht so wichtig: „Man kann auch unverletzt aus einer Lawine geborgen werden und trotzdem eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln“, sagt Hermann Brugger. Der Alpinmediziner, Mitbegründer des Instituts für Alpine Notfallmedizin von Eurac Research in Bozen, hat bereits vor einigen Jahren das Auftreten von PTBS bei Lawinenopfern untersucht und die Innsbrucker Forschungsgruppe bei der Konzeption der Fragebogenstudie unterstützt.

In der Zwischenzeit wird gemeinsam mit den KollegInnen an der Univ.-Klinik für Orthopädie und Traumatologie noch mehr Augenmerk auf die Aufklärung der PatientInnen über psychische Symptome nach einem Unfall gelegt. „Wichtig ist es, Informationen bereitzustellen und dafür zu sensibilisieren, welche Symptome nach einem Alpinunfall ,normal‘ sind, was man selber beitragen kann damit es einem bald wieder besser geht und wann man sich Hilfe holen sollte. Die posttraumatische Belastungsstörung ist jedenfalls eine Erkrankung, die behandelt werden kann“, betont Hüfner.

Das Projekt wurde mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin durchgeführt.

Forschungsarbeit:

Salvotti, H.V., Tymoszuk, P., Ströhle, M. et al. Three distinct patterns of mental health response following accidents in mountain sports: a follow-up study of individuals treated at a tertiary trauma center. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci (2024). https://doi.org/10.1007/s00406-024-01807-x

Links:

Universitätsklinik für Psychiatrie II 
Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie
Eurac Research Bozen 

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