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Medizin-Historische ExpertInnenkommission präsentiert Bericht zur Kinderbeobachtungsstation von Maria Nowak-Vogl

Seit Ende Februar 2012 hat sich eine interdisziplinäre ExpertInnenkommission mit dem an der Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation geschehenen Unrecht auseinandergesetzt. Die Fürsorgeärztin, Psychiaterin und Heilpädagogin Maria Nowak-Vogl leitete die Einrichtung von ihrer Gründung 1954 bis zu ihrer Pensionierung 1987. Der Bericht der Medizin-Historischen ExpertInnenkommission zeigt die Unangemessenheit ihrer Behandlungsmethoden und ihre autoritäre Praxis.

 

Innsbruck, 18.11.2013: Im Rahmen einer Pressekonferenz präsentierte die Medizin-Historische ExpertInnenkommission ihren Bericht. Die Kommission war Anfang 2012 von der Medizinischen Universität Innsbruck mit dem Ziel eingerichtet worden, Fragen über Hintergrund und Ausmaß des Unrechts der Behandlungsmethoden von Maria Nowak-Vogl zu beleuchten. Den Vorsitz hatte der Pharmakologe Univ.-Prof. i. R. Dr. Günther Sperk, der diese Funktion als damaliger Vizerektor für Forschung übernommen hatte. Darüber hinaus waren die Erziehungswissenschaftlerin ao. Univ.-Prof.in Dr.in Michaela Ralser, die Historikerin ao. Univ.-Prof.in Dr.in Elisabeth Dietrich-Daum, der Zeithistoriker Univ.-Doz. Mag. Dr. Horst Schreiber, der Kinder- und Jugendpsychiater Univ.-Prof. Dr. Ernst Berger aus Wien sowie die Leiterin der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der Sigmund-Freud Klinik Graz, Prim.a Dr.in Anna Katharina Purtscher-Penz und die PatientInnenanwältin Dr.in Patricia Gerstgrasser Mitglieder der Medizin-Historischen ExpertInnenkommission.

 

Der detaillierte Bericht der Medizin-Historischen ExpertInnenkommission dokumentiert die Unangemessenheit der Behandlungsmethoden und die autoritäre Praxis von Maria Nowak-Vogl. Die Fürsorgeärztin, Psychiaterin und Heilpädagogin leitete die Kinderbeobachtungsstation von ihrer Gründung 1954 bis zu ihrer Pensionierung 1987. 3.650 Krankengeschichten von KinderpatientInnen sind aus diesem Zeitraum dokumentiert. Die Kinder kamen aus Tirol, Vorarlberg, Südtirol, Salzburg, aus Bayern und vereinzelt aus anderen Regionen, beispielsweise aus der Schweiz.

Maria Nowak-Vogl hatte über Jahrzehnte eine Macht- und Schlüsselstellung innerhalb der regionalen Fürsorgeerziehung und Kinderpsychiatrie: Sie war exklusive Gutachterin und Behandlerin der als schwierig geltenden Heim- und Pflegekinder ebenso wie jener Kinder und Jugendlichen, bei denen von diversen Agenturen der Jugendwohlfahrt eine Fürsorgeerziehungsmaßnahme ins Auge gefasst wurde.

„Ich bedaure, dass vielen Kindern und Jugendlichen großes Leid angetan worden ist.“ erklärte die Rektorin der Medizinischen Universität Innsbruck, o. Univ.-Prof.in Dr.in Helga Fritsch. „Ich habe den nun vorliegenden Bericht mit großer Betroffenheit zur Kenntnis genommen und danke den Kommissionmitgliedern für ihre engagierte und ehrenamtliche Arbeit. Wir wissen, dass wir das Unrecht nicht ungeschehen machen können. Die Medizinische Universität Innsbruck hat sich dieses Themas angenommen und wird auch in Zukunft einen Beitrag leisten.“

 

Teil eines landesweiten Systems

Auch der Kommissionsvorsitzende der Medizin-Historischen ExpertInnenkommission brachte seine Betroffenheit über dieses dunkle Kapitel Tiroler Geschichte zum Ausdruck. „Besonders entsetzt bin ich, dass Maria Nowak-Vogl Teil eines landesweiten Systems war, das schutzlosen Kindern Gewalt antat“, erklärt Univ.-Prof. Sperk. „Mit dem Bericht haben wir die Vorkommnisse öffentlich gemacht und damit auch den Betroffenen Öffentlichkeit gegeben.“ Wichtiges Ziel soll es sein, allen mit der Versorgung von Kinder- und Jugendlichen betrauten Berufsgruppen ihre Vergangenheit bewusst zu machen. Ein wichtiges Anliegen der Kommissionsmitglieder war es, die Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, einen Beitrag dafür zu leisten, alles verfügbare Wissen und die dafür benötigten Ressourcen für die Begleitung und Unterstützung der jetzt lebenden Kinder und Jugendlichen bereit zu stellen sowie ihre Rechte zu stärken.

Erzählungen der Betroffenen offenbaren Gewalt

Eine der ersten Aufgaben der Medizin-Historischen ExpertInnenkommission bestand in der Ermittlung und Erweiterung des Forschungsstandes. Entsprechend ihrer jeweils ausgewiesenen Expertise, befassten sich die einzelnen Kommissionmitglieder mit Detailfragen. Mit der Kinderbeobachtungsstation aus Sicht der Betroffenen hat sich insbesondere der Innsbrucker Zeithistoriker Univ.-Doz. Horst Schreiber auseinandergesetzt. Der Experte beschäftigt sich bereits seit mehreren Jahren mit den Vorkommnissen in Tiroler Heimen und der Kinderbeobachtungsstation. „Die Erzählungen der Betroffenen offenbaren, dass sich psychische, physische, sexualisierte und strukturelle Gewalt in den alltäglichen Abläufen der Station vollzog“, erklärte Horst Schreiber. „Die Betroffenen erinnern sich kaum an Therapien, umso mehr an Beobachtung und Testung, Beschämung und Demütigung, Schläge und medikamentöse Ruhigstellung.“

 

Wechselhafte Verortung

„Die Kinderbeobachtungsstation war in den 1950er bis 1970er Jahren neben den Agenturen der Jugendwohlfahrt und dem Komplex der Erziehungs- und Kinderheime die dritte wesentliche Säule des lokalen Fürsorgeerziehungsregimes“, erklärte die Erziehungswissenschaftlerin ao. Univ.-Prof.in Michaela Ralser. Sie hat sich insbesondere mit der strategischen Machtposition und den wissenschaftstheoretischen sowie ideologiepolitischen Hintergründen der Kinderbeobachtungsstation beschäftigt. Die Rolle der Kinderbeobachtungsstation innerhalb der Universitätskliniken war sehr wechselhaft: 1954 erfolgte die Gründung außerhalb des Klinikgeländes und der damaligen Psychiatrisch-Neurologischen Universitätsklinik. Diese Ausgliederung ermöglichte Maria Nowak-Vogl weitgehende Unabhängigkeit in der PatientInnenversorgung. Dies änderte sich 1979. Nach dem Umbau des Vinzenzhauses im Klinikareal wurde die Kinderbeobachtungsstation in die Innsbrucker Univ.-Klinik für Psychiatrie eingegliedert. „Das bedeutete einen Autonomieverlust für Maria Nowak-Vogl. Obwohl in Folge des Fernsehberichtes von Kurt Langbein die Missstände auf der Kinderbeobachtungsstation einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden sind, führte dies nicht zur Absetzung ihrer Leiterin, sondern lediglich zu einer Anpassung: Der damalige Direktor der Univ.-Klinik für Psychiatrie, Kornelius Kryspin-Exner, etwa verbot infolge die Verabreichung von Epiphysan und setzte die repressive Hausordnung außer Kraft“, erklärte Michaela Ralser. „Das System Kinderpsychiatrie blieb aber noch lange unangemessen, unter anderem auf Grund mangelnder Ressourcen und einer räumlichen wie personellen Unterausstattung.“

 

Verabreichung von Epiphysan

Der Kinder- und Jugendpsychiater Univ.-Prof. Ernst Berger hat sich gemeinsam mit dem Pharmakologen Univ.-Prof. Günther Sperk unter anderem mit der Verabreichung des Präparates Epiphysan auseinandergesetzt. Maria Nowak-Vogl verabreichte dieses Extrakt aus tierischem Gewebe zur Behandlung von so genannter „Hypersexualität“. „Maria Nowak-Vogl ging es darum, das Verhalten – insbesondere das sexuelle Verhalten – der Kinder und Jugendlichen zu kontrollieren, unter anderem durch den völlig sinnlosen Einsatz von Epiphysan. Ihre Publikationen dazu waren von wissenschaftlichen Standards weit entfernt, “

erklärt Univ.-Prof. Berger. „Wesentlich schwerer allerdings wiegt der Vorwurf, dass sie die Verabreichung als Studie mit ihr anvertrauten, schutzlosen Kindern durchgeführt hat“, sagt Univ.-Prof. Sperk. „Die Verabreichung erfolgte zwar im Rahmen eines der Anwendungsgebiete, für welches Epiphysan zugelassenen war.“ Aus heutiger Sicht sei die Gabe des tierischen Extrakts abzulehnen, so der Pharmakologe.

 

Empfehlungen der Kommission

Am Ende des Berichtes (Kapitel 13.2) hat die Medizin-Historische ExpertInnenkommission Empfehlungen und Konsequenzen zusammengestellt. „Das Beispiel der Kinderbeobachtungsstation soll die Psychiatrie und die Kinder- und Jugendhilfe darin bestärken, ihre Arbeit einer ständigen kritischen Reflexion und Kontrolle zu unterziehen“, erklärt Univ.-Prof. Günther Sperk. Unter anderem empfiehlt die ExpertInnenkommission darüber hinaus eine weitere konsequente Forschungsarbeit zum Thema. „Wir haben ein Konzept für ein Forschungsprojekt erstellt und stehen derzeit in Kontakt mit öffentlichen Fördergebern. Das Land Tirol, die Medizinische Universität Innsbruck und die Universität Innsbruck werden sich daran beteiligen.“

 

 

Details zur Medizinischen Universität Innsbruck

Die Medizinische Universität Innsbruck mit ihren rund 1.400* MitarbeiterInnen und ca. 3.000 Studierenden ist gemeinsam mit der Universität Innsbruck die größte Bildungs- und Forschungseinrichtung in Westösterreich und versteht sich als Landesuniversität für Tirol, Vorarlberg, Südtirol und Liechtenstein. An der Medizinischen Universität Innsbruck werden folgende Studienrichtungen angeboten: Humanmedizin und Zahnmedizin als Grundlage einer akademischen medizinischen Ausbildung und das PhD-Studium (Doktorat) als postgraduale Vertiefung des wissenschaftlichen Arbeitens. An das Studium der Human- oder Zahnmedizin kann außerdem der berufsbegleitende Clinical PhD angeschlossen werden.

Seit Herbst 2011 bietet die Medizinische Universität Innsbruck exklusiv in Österreich das BachelorstudiumMolekulare Medizin“ an. Ab dem Wintersemester 2014/15 kann als weiterführende Ausbildung das Masterstudium „Molekulare Medizin“ absolviert werden.

Die Medizinische Universität Innsbruck ist in zahlreiche internationale Bildungs- und Forschungsprogramme sowie Netzwerke eingebunden. Schwerpunkte der Forschung liegen in den Bereichen Onkologie, Neurowissenschaften, Genetik, Epigenetik und Genomik sowie Infektiologie, Immunologie & Organ- und Gewebeersatz. Die wissenschaftliche Forschung an der Medizinischen Universität Innsbruck ist im hochkompetitiven Bereich der Forschungsförderung sowohl national auch international sehr erfolgreich.

*vollzeitäquivalent

PR & Medien

Fotos zur freien Verwendung:

VS PK Medizinisch-Historische ExpertInnenkommission

v.l.n.r.: Ao. Univ.-Prof.in Dr.inMichaela Ralser, Univ.-Doz. Mag. Dr. Horst Schreiber, Univ.-Prof. Dr. Günther Sperk, Rektorin o. Univ.Prof.in Dr.in Helga Fritsch
(c) Medizinische Universität Innsbruck

 

Weitere Infos:

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Presseinformation zum Download

Medienkontakt:

Mag.a Amelie Döbele
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Medizinische Universität Innsbruck
Innrain 52, 6020 Innsbruck, Austria
Telefon: +43 512 9003 70080
Mobil: +43 676 8716 72080

public-relations@i-med.ac.at,
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