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ExpertInnengespräch zum Weltkrebstag

„Wir brauchen dringend ein klinisches Krebsregister“

Ute Ganswindt, Direktorin der Univ.-Klinik für Strahlentherapie-Radioonkologie und Dominik Wolf, Direktor der Univ.-Klinik für Innere Medizin V an der Medizinischen Universität Innsbruck, berichten als SprecherInnen des Innsbrucker Krebszentrums CCCI* anlässlich des Weltkrebstags am 4. Februar unter anderem über den Zugang zur Krebsmedizin für Menschen in Österreich und schließen sich den Forderungen von ExpertInnen nach einem österreichweiten klinischen Krebsregister an.

Pressebilder frei zum Download :

Bild links: Ute Ganswindt, Direktorin der Univ.-Klinik für Strahlentherapie-Radioonkologie ((c) Flo Lechner)
Bild rechts: Dominik Wolf, Direktor der Univ.-Klinik für Innere Medizin V ((c) Flo Lechner)

Bild unten: Am CCCI werden individuell maßgeschneiderte und hocheffiziente Krebstherapien angeboten. ((c) tirolkliniken/Berger)

Innsbruck, 01.02.2022:

Mit dem diesjährigen Slogan des Weltkrebstags „Close The Care Gap“ soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass es weltweit große Unterschiede beim Zugang zur Krebstherapie gibt. Stellen Sie innerhalb Österreichs noch eine Versorgungskluft fest?

Dominik Wolf: In Tirol gibt es aus meiner Sicht durch die Vernetzung vom Zentrumskrankenhaus mit den Partnern in die Peripherie, wie beispielsweise die Schwerpunktkrankenhäuser in Zams und Kufstein, aber auch den KollegInnen in Feldkirch keine Versorgungslücken. Über ein virtuelles Tumorboard besprechen und dokumentieren wir beispielsweise gemeinsam Patientinnen und Patienten, die – falls erforderlich – dann auch bei uns in Innsbruck vorgestellt werden, um Zentrums-spezifische Therapien, wie eine Blutstammzell-Transplantation oder eine CAR T Zelltherapie zu bekommen. Allerdings gestalten die Bundesländer den Genehmigungsprozess für neue hochpreisige Medikamente unterschiedlich. In Tirol läuft dieser Prozess für die intramurale Versorgung über die ärztliche Direktion und die Arzneimittelkommission der Klinik. Meine Wahrnehmung ist, dass unsere Patientinnen und Patienten dadurch sehr früh zu modernen, innovativen Medikamenten kommen. Wir müssen uns aber Gedanken machen, wie wir die zunehmenden Kosten hochspezialisierter Medizin zukünftig schultern können.

Ute Ganswindt: Die flächendeckende auch radioonkologische Versorgung in Österreich ist mittlerweile gut, in den letzten Jahren wurden Kapazitäten vor allem im Osten Österreichs erweitert. Die Genehmigungsprozesse innovativer Medikamente oder Therapieansätze unterscheiden sich gelegentlich zwischen den Bundesländern, was man sicher homogenisieren sollte. Dennoch, weltweit betrachtet befinden wir uns in einer privilegierten Situation. Es gibt immer noch ganze Kontinente, die eine adäquate onkologische Versorgung nicht gewährleisten können. Es gibt gleichzeitig aber auch Schwellenländer, welche mittlerweile erheblich aufgeholt haben.

Wolf: Noch etwas: Um die Qualität eines Versorgungssystems sinnvoll beurteilen zu können, benötigen wir dringend ein österreichweites klinisches Krebsregister, in dem die Behandlungs- und Outcome-Daten erfasst werden. Wir müssen zeitnah detaillierter auswerten können, wie lange Patientinnen und Patienten nach der Diagnose leben und wie sie therapiert worden sind. Das Tiroler Krebsregister ist sehr gut, informiert aber als rein epidemiologisches Register hier nur über Teilaspekte.

Hat die Corona-Pandemie die Krebsforschung zurückgeworfen?

Wolf:  Nein, ich glaube nicht – im Gegenteil. Es ist beeindruckend, wie viel Power Wissenschaft hat, wie schnell die SARS-COV2 Impfung an die Menschen gebracht wurde - das ist ein glühendes Beispiel dafür. Ich sehe auch, dass viele der Wirkstoffe, die gegen COVID-19 eingesetzt werden, aus der Krebsforschung kommen. Gleichzeitig hat sich auch gezeigt, wie wichtig schnelles Data Sharing ist. Viele Studien werden jetzt bereits als Pre-Print –  wenn sie noch nicht in einem Wissenschaftsjournal publiziert sind – von den Medien zitiert. Die Daten sind offen verfügbar und können so diskutiert werden. Das alles gibt auch der Krebsforschung einen großen Schub, nicht zuletzt auch weil die mRNA-Impfstrategie gegen SARS-CoV2 ursprünglich aus der Krebsforschung kommt. Das wird letztlich das gesamte Feld substanziell voranbringen und den Patientinnen und Patienten helfen. 

Ganswindt: Ich glaube auch, dass die Pandemie einige Dinge innerhalb der Krebsforschung beschleunigen wird. Zu Beginn mit dem ersten Lockdown Anfang 2020 bestand die Befürchtung, dass sich viele Projekte verzögern werden. Mittlerweile gehen wir eher davon aus, dass der Kampf gegen die Pandemie im Endeffekt ein positiver Trigger sein könnte. In Innsbruck gab es im vergangenen Jahr einen Rekord bei der Anzahl der Studien-Einreichungen an die Ethikkommission. Es war sicher nicht alles negativ.

Gab es Auswirkungen auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten?

Ganswindt: Operationen mussten teilweise erheblich verschoben werden, auch onkologische. Auch in den vergangenen drei Monaten gab es keinen Normalbetrieb in den operativen Fächern. Wenn nicht genügend Intensivbetten verfügbar sind, müssen planbare Eingriffe verschoben werden. Zu Pandemie-Beginn konnte man feststellen, dass in der gegebenen damaligen Unsicherheit viele Patientinnen und Patienten einen Arztbesuch von sich aus aufgeschoben haben, was gelegentlich zu verzögerten Diagnosen führte. Mittlerweile können und müssen wir ganz klar formulieren, dass keine Vor- oder Nachsorgeuntersuchung verschoben werden sollte – dies ist in der Öffentlichkeit auch zunehmend angekommen.

Wolf: Bei einer akuten Leukämie oder nach einer Knochenmarkstransplantation ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Betroffenen auf die Intensivstation kommen. Die internistische Intensivstation, die eigentlich für diese Patientinnen und Patienten vorgesehen ist, war aber mit COVID-19-Infizierten voll belegt. In der letzten Welle war es daher gar nicht einfach, ein Intensivbett zu bekommen. Die Zusammenarbeit war aber sehr gut. Neben der Intensivmedizin haben vor allem Vor- und Nachsorge gelitten. Die Vorsorge wird generell viel zu wenig in Anspruch genommen wird – auch schon vor Corona. Krankheiten zu vermeiden oder früh zu erkennen ist jedoch die beste Strategie, die Krebs-Sterblichkeit zu vermindern.

Wie haben Ihre Patientinnen und Patienten die Pandemie erlebt?

Ganswindt: Wir haben mit Pandemie-Beginn gemeinsam die Lebensqualität und das psychische Befinden unserer Patientinnen und Patienten untersucht und waren fast überrascht, wie resilient sie zu sein scheinen. Wir haben eigentlich keine/n einzige/n Patientin oder Patienten verloren, weil er/sie Angst gehabt hätte und deshalb nicht mehr gekommen wäre. Unser Eindruck ist, dass die Betroffenen eine Krebsdiagnose natürlich als viel dominierender wahrnehmen als COVID-19. Die größte Angst von Patientinnen und Patienten war, dass Behandlungstermine verschoben werden könnten.

Wolf: Für mich gab es auch sehr traurige Verläufe, da manche Betroffenen nach bestimmten Krebstherapien keinen Impfschutz aufbauen konnten und dann trotz Impfung teils nach überstandener Krebskrankheit an den Folgen der Corona-Infektion verstorben sind. Das haben wir aber vor allem in der Deltawelle und vor der 3. Impfung gesehen.

Dürfen sich alle Patientinnen und Patienten mit Krebs gegen COVID-19 impfen lassen?

Wolf: Wir haben allen empfohlen, sich frühzeitig impfen zu lassen. Patientinnen und Patienten mit bestimmten Krebstherapien haben wir auch vor der offiziellen Empfehlung den 3. Stich empfohlen, derzeit sogar die 4. Impfung für Risikogruppen. Es gibt ganz wenige und seltene Kontraindikationen gegen die Impfung und ich kenne kaum Krebspatientinnen und -patienten, die sich nicht impfen lassen dürfen. Daher plädiere ich nachhaltig dafür, sich so früh wie möglich komplett durchimpfen zu lassen.

Personalisierte Krebstherapie, Immuntherapie und Krebsimpfung sind in aller Munde. Welchen Stellenwert haben Chemo- und Strahlentherapie noch?

Ganswindt: Chemo- und Strahlentherapien werden nicht abgelöst, sondern es kommt etwas Neues dazu. Die große Kunst dabei ist, die optimale zeitliche und inhaltliche Kombination zu finden, also: Wann und in welcher Reihenfolge wendet man bei welchen Patientinnen und Patienten welche Therapie an? Welche Reihenfolge wird bei bestmöglicher Wirksamkeit am besten vertragen? Es hilft auch schon, wenn man weiß, welcher Patient und welche Patientin nicht von einer Therapie profitiert. Personalisierung heißt: Die Patientinnen und Patienten richtig selektieren und ihnen das Richtige anzubieten. Das ist komplexer geworden.

*Comprehensive Cancer Center Innsbruck (CCCI):

Das Comprehensive Cancer Center Innsbruck ist die Einrichtung, in der KrebspatientInnen der Innsbrucker Universitätskliniken ihre Chemotherapie verabreicht bekommen können. Es ist aber auch als interdisziplinärer Zusammenschluss aller klinisch tätigen OnkologInnen und GrundlagenforscherInnen zu verstehen, die das Ziel verfolgen, universitäre Spitzenmedizin in allen Bereichen der Krebsmedizin anzubieten: von der Forschung und Teilnahme an (frühen) Studien, über Diagnostik, Therapie und Schmerzbehandlung bis zur Nachsorge.

Steckbriefe:

Der gebürtige Bayer Dominik Wolf ist seit 2018 Direktor der Univ.-Klinik für Innere Medizin V (Hämatologie und Onkologie). Bereits zuvor war der Internist, der in Erlangen-Nürnberg Medizin studierte und ab 2011 eine Professur in Bonn innehatte, viele Jahre an der Medizinischen Universität Innsbruck als Oberarzt tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Immunregulation und Entzündung bei Krebs.

Nach Stationen an der Eberhard Karls-Universität Tübingen (2001-2008) und der Ludwig-Maximilians-Universität München (2008-2017) folgte Ute Ganswindt dem Ruf an die Medizinische Universität Innsbruck, wo sie seit Oktober 2017 der Univ.-Klinik für Strahlentherapie-Radioonkologie als Direktorin vorsteht. Ganswindts Forschungsschwerpunkt liegt in der Optimierung von bildgeführten Bestrahlungs- und Hochpräzisionstechniken. Die interdisziplinäre Vernetzung sowie die Umsetzung translationaler Ansätze sind ihr besondere Anliegen.

Eine ungekürzte Version des ExpertInnengesprächs finden Sie hier: https://www.i-med.ac.at/mypoint/news/759899.html