Fortschritt in der Suchtforschung: Wie das Suchtgedächtnis beeinflusst werden kann
An der Medizinischen Universität Innsbruck wurden erneut wichtige Ansatzpunkte zur Therapie drogenabhängiger Menschen gefunden: Im Rahmen ihrer vorklinischen Studien hat die Suchtforschungsgruppe von Prof. Gerald Zernig und Prof. Alois Saria an der Abteilung für Experimentelle Psychiatrie eine Möglichkeit entdeckt, das Suchtgedächtnis positiv zu beeinflussen. Im renommierten interdisziplinären Online Journal PLoS ONE wurden die Ergebnisse kürzlich veröffentlicht.
Drogenabhängige Menschen könnten schon bald von der erfolgreichen Grundlagenforschung an der Medizinischen Universität Innsbruck profitieren: Bereits seit mehreren Jahren beschäftigen sich WissenschafterInnen der Abteilung für Experimentelle Psychiatrie mit den Strukturen im Gehirn, die für die Abhängigkeit von Suchtmitteln verantwortlich sind. Auf Basis der neuesten Erkenntnisse könnte eine pharmakologische Suchttherapie entwickelt werden, die es ermöglicht, das Suchtgedächtnis von abhängigen Menschen entsprechend zu beeinflussen. Die zu entwickelnden Medikamente sollen die in der Psychotherapie von Abhängigen angestrebte Veränderung medikamentös unterstützen. Dabei handelt es sich um eine der größten Herausforderungen bei der Therapie von drogenabhängigen Menschen: Auch Jahre nach Beendigung des Drogenmissbrauches ist die Abhängigkeit der Betroffenen im so genannten Suchtgedächtnis gespeichert. Das bedeutet es, besteht nach einer erfolgreichen Entzugstherapie die Gefahr eines Rückfalles.
Gezielte Beeinflussung des Suchtzentrums im Gehirn
2006 hatten die Innsbrucker WissenschafterInnen am Tiermodell zeigen können, dass bei beginnendem Interesse für eine Droge der „Lernbotenstoff“ Azetylcholin und nicht wie angenommen das als „Glücksbotenstoff“ bekannte Dopamin vermehrt freigesetzt wird. „2008 haben wir dann die Hirnregion und das betroffene Neurotransmittersystem weiter eingegrenzt“, erklären die Studienleiter Prof. Zernig und Prof. Saria den Verlauf ihrer bisherigen Forschungsarbeit. Maßgeblich beteiligt an diesen Erkenntnissen war damals bereits Dr. Jose A. Crespo. Der spanische Postdoc kam aus den USA (Baltimore) an die Medizinische Universität Innsbruck und fungierte auch bei der aktuellen Veröffentlichung der Suchtforschungsgruppe als Erstautor. Gemeinsam mit seinen KollegInnen hat Dr. Crespo herausgefunden, dass durch Verabreichung selektiver Inhibitoren die lokalen Azetylcholin-Rezeptoren im Nucleus accumbens, dem Suchtzentrum im Gehirn, entsprechend beeinflusst werden können. „Rezeptoren im Suchtzentrum des Gehirns binden das Acetylcholin und aktivieren eine spezielle Form der Proteinkinasen, die so genannte Proteinkinase C zeta (PKCzeta) und deren molekulares Bruchstück, Proteinkinase M zeta (PKMzeta). Werden diese atypischen Proteinkinasen-Aktivitäten durch einen selektiven Inhibitor blockiert, entwickelt das Versuchstier kein Drogensuchtverhalten mehr“, erklärt Dr. Crespo den komplexen Prozess. „Unsere Ergebnisse eröffnen ein neues pharmazeutisches Target für die Entwicklung einer effektiven Therapie von Langzeit-Suchtabhängigen.“
Internationale Anerkennung: „Unerwartete Wendung“
In der internationalen Scientific Community findet die Forschungsarbeit der Tiroler WissenschafterInnen bereits Anklang. In dem bekannten Journal „Neuroscience and Biobehavioral Reviews“ bewerten Peter Finnie und Karim Nader, beide Experten auf dem Gebiet der Gedächnisforschung, die von Crespo und seinen KollegInnen veröffentlichten Forschungsergebnisse als „unerwartete Wendung“ („unexpected twist“) in der Erforschung der Funktion des Gedächtnisses.
(hof)
Links:
• PLoS ONE Artikel: „Activation of PKCzeta and PKMzeta in the Nucleus Accumbens Core Is Necessary for the Retrieval, Consolidation and Reconsolidation of Drug Memory”
AutorInnen: Jose A. Crespo, Petra Stöckl, Florian Ueberall, Marcel Jenny, Alois Saria, Gerald Zernig
• Neuroscience and Biobehavioral Reviews: “The role of metaplasticity mechanisms in regulating memory destabilization and reconsolidation”
Autoren: Peter S.B. Finnie, Karim Nader
• Abteilung für Experimentelle Psychiatrie