Aufgeklärt: Krankheitsrelevante Mechanismen der lebensbedrohlichen Durchfallerkrankung MVID
Die Medizinische Universität Innsbruck ist ein führendes Zentrum für die Erforschung der Mikrovillus Einschlusserkrankung (MVID) und hat bereits wegweisende Erkenntnisse zu Ursache und Diagnose dieser lebensbedrohlichen Durchfallerkrankung geliefert. Neue Erkenntnisse des interdisziplinären ForscherInnenteams um den Zellbiologen Univ.-Prof. Dr. Lukas A. Huber und den Pädiater ao.Univ.-Prof. Dr. Thomas Müller vervollständigen das molekulare Verständnis dieser bislang unheilbaren Erkrankung.
Bei PatientInnen mit der 1978 erstmals identifizierten Mikrovilli Einschlusserkrankung MVID ist der Bürstensaum im Darm (sog. Mikrovilli) entweder schon bei der Geburt nicht vorhanden oder verloren gegangen, sodass Flüssigkeit und Nährstoffe nicht über den Darm aufgenommen werden können. Die PatientInnen sind durch den enormen Flüssigkeitsverlust oft in akuter Lebensgefahr und verlieren in den ersten Lebenstagen bis zu 20 Prozent ihres Körpergewichts. Die Lebensqualität der PatientInnen und ihrer Familien ist durch häufige Spitalsaufenthalte und eine tägliche 20-stündige Infusionstherapie massiv beeinträchtigt. Weltweit wurden bislang etwa 80 Krankheitsfälle nachgewiesen, bei Einrechnung der Dunkelziffer dürfte sich diese Zahl um 50 erhöhen. In Österreich gilt ein einziger Fall als nachgewiesen. Die Erkrankung ist bislang nicht heilbar, derzeit stehen nur lebenslange Infusionen oder eine Darmtransplantation zur Wahl.
Als Auslöser für die angeborene, sehr seltene Krankheit konnte ein interdisziplinäres Innsbrucker ForscherInnenteam um Univ.-Prof. Dr. Lukas A. Huber (Biozentrum Innsbruck) und ao.Univ.-Prof. Dr. Thomas Müller (Universitätsklinik für Pädiatrie I) 2008 das Motorprotein MYO5B identifizieren. Mit der Entwicklung eines spezifischen Gentests zur einfachen und schnellen Diagnose etablierte sich Innsbruck zudem als weltweit einziges Zentrum für die genetische Testung auf MVID. Nachdem bei den Analysen einige Gewebeproben auf Grund des fehlenden Bürstensaums auf MVID schließen ließen, im Gentest allerdings keine MYO5b-Mutation nachgewiesen werden konnte, suchten die ForscherInnen nach weiteren Ursachen und identifizierten den Gendefekt im Protein Syntaxin 3 als zweites krankheitsauslösendes Motiv. Ohne die richtige Funktion dieser Gene ist die Epithelzelle der Darmschleimhaut nicht in der Lage, sich richtig auszurichten, wodurch, zum Beispiel die Mikrovilli innerhalb der Zelle eingeschlossen werden, statt an der Zelloberseite auszuknospen.
Molekulare Entschlüsselung mit Zellkultur- und Mausmodell
Nun liefert das interdisziplinäre Forschungsteam weitreichende Einsichten in die Pathologie von MVID durch eine soeben im renommierten Journal of Cell Biology veröffentlichten Arbeit, die zudem mit einem Editorial und dem Titelfoto gewürdigt wird. „Uns ist es gelungen, ein einzigartiges Zellkulturmodell zu etablieren, das die krankheitsrelevanten Proteine im zellulären Kontext zeigt“, erklärt Erstautor Dr. Georg-Friedrich Vogel. Mithilfe einer Enterozytenzelllinie – Enterozyten sind als die häufigsten Zellen des Dünndarmepithels für die Resorption unterschiedlicher Stoffe aus der Nahrung zuständig – wurden die zellulären Krankheitsmuster, durch Editierung des Genoms, gleichsam nachgebaut, sodass alle phänotypischen Merkmale abgebildet werden konnten. In darauffolgenden Experimenten gelang es, die intrazelluläre Signal-Kaskade im Detail darzustellen bzw. auch die Funktion des Motorproteins Myo5B im Kontext mit der Funktion anderer Proteine zu zeigen. „So ließ sich nachweisen, dass sowohl Myo5B als auch Syntaxin3 eine zentrale Rolle beim Eiweiß-Transport an die apikale Membran, also die Zelloberfläche, spielen. Ist dieser Signalweg gestört, werden bestimmte Proteine, wie etwa das auch bei anderen Durchfallerkrankungen gestörte Protein NHE3, nicht mehr an die Zelloberfläche transportiert“, so Zellbiologe Lukas Huber. „Wir vermuten, dass noch weitere unbekannte Gendefekte eine Rolle bei dieser Erkrankung spielen könnten“, ergänzt Prof. Müller.
Zeitgleich half das Innsbrucker MVID-Team bei der Charakterisierung des MVID Mausmodells von KollegInnen der Universität Utrecht, das unlängst im Journal Proceedings of the National Adacemy of Sciences of the United States of America (PNAS) publiziert wurde. In detaillierten Vergleichen zwischen dem Mausmodell und MVID PatientInnen konnte die Übereinstimmung mit MVID und die Relevanz für zukünftige Forschung aufgezeigt werden.
Erfolgreich im Team
Neben diesen umfassenden Erkenntnissen liefert diese Forschungsarbeit nicht nur einen Beitrag zur vollständigen molekularen Entschlüsselung der MVID und damit die Grundlage für die Entwicklung erster Therapieansätze, sondern stellt vor allem auch ein Best-Practice-Beispiel gelungener, anwendungsorientierter Zusammenarbeit von klinischen und grundlagenwissenschaftlichen Disziplinen am Campus dar.
(D.Heidegger)
Links:
Sektion für Histologie und Embryologie
NEWS-Archiv: Neuer Schnelltest nach Gen-Identifikation [11.11.2008]