Neue Vorzeichen für die MSA-Ursachenforschung
Auch wenn die neurodegenerative Erkrankung Multisystematrophie (MSA) zu den Synucleinopathien zählt, dürfte sich der Fokus der Ursachenforschung von Synuclein wegbewegen. Geht es nach einer neuen, von der Europäischen (EMSA-SG) bzw. der UK MSA Studiengruppe durchgeführten Genomweiten Assoziationsstudie, spielt das Alpha-Synuclein Gen vermutlich keine kausale Rolle. „Das Konzept der Synuclein-Pathologie muss umgeschrieben werden“, weiß Mitautor und EMSA-SG Begründer Univ.-Prof. Gregor Wenning.
Die rasch fortschreitende und tödlich verlaufende MSA gehört zu den seltenen Erkrankungen. Das Nicht-Ansprechen auf die Parkinson-Therapie und die Aggregation von Alpha-Synuclein in Oligodendrozyten (gliale Einschlusskörperchen, GCI) sind spezifisch für die MSA. Bis heute bleibt ungeklärt, warum die Fehlfaltung und Ansammlung des Proteins gerade in diesen spezifischen Gliazellen des Zentralnervensystems stattfindet.
Nun liefert eine erste und auch in dieser Größe erstmals zu MSA durchgeführte, kürzlich im Fachmagazin Neurology publizierte genomweite Assoziationsstudie (GWAS) mit einer Stichprobe von knapp 1.000 sporadischen MSA-Fällen aus der ganzen Welt wichtige Ergebnisse für die Ursache der neurodegenerativen Erkrankung. Unter der Federführung der europäischen MSA Studiengruppe – EMSA-SG (Koordinatoren: o.Univ.-Prof. Dr. Werner Poewe, Univ.-Prof. DDr. Gregor Wenning MSc) sowie der UK MSA-Study Group mit dem Neurogenetiker Prof. Henry Houlden und den National Institutes of Health mit Prof. Andrew Singllton und Dr. Sonja Scholz – die Neurologin leitet nach Forschungsaufenthalten an der Medizinischen Universität Innsbruck und anderen Einrichtungen in Europa derzeit an den NIH eine Arbeitsgruppe für Neurodegenerative Erkrankungen – konnten vier neue Genvarianten mit der MSA in Verbindung gebracht werden.
Neue MSA-abhängige Genorte und keine Synuclein-Assoziation
FBXO47, ELOVL7, EDN1 und MAPT heißen die Genorte, in denen mittels Manhatten Plot der Defekt eines Allels (1. hit) ersichtlich wurde und somit eine Assoziation mit MSA hergestellt werden kann. FBXO47 auf Chromosom 17 fördert den Abbau (Degradation) und die Markierung von Zielproteinen (Ubiquitinierung) und ist bereits mit dem Papillären Nierenzellkarzinom assoziiert, ELOVL7 auf Chromosom 5 aktiviert das Enzym Transferase und steht im Zusammenhang mit dem Fettstoffwechsel, EDN1 auf Chromosom 6: gehört zur Endothelin-Familie und betrifft die sog. Vasokonstriktion, deren Versagen zur orthostatischen Hypotonie [mit Schwindel- und Sturzsymptomatik wie im Rahmen von Parkinson] führt. Eine vierte, MSA-assoziierte Genvariante wurde im MAPT-Gen nachgewiesen. Weder das Protein Synuclein noch die in einer vormaligen japanischen Studie belegte Genmutation QN7Q2 konnten in der GWAS als hit ausgewiesen werden.
„Mit der Aufdeckung der neuen genetischen Assoziationen muss die bisherige Schlüsselrolle von Alpha-Synuclein für die Ursachenforschung überdacht werden“, erklärt Prof. Wenning, der 1999 gemeinsam mit o.Univ.-Prof. Dr. Werner Poewe (Direktor der Univ.-Klinik für Neurologie) die EMSA-SG in Innsbruck eingerichtet hatte. Mit dem Fokus auf der Entwicklung krankheitsmodifizierender Therapien durch eine intensive translationale Forschungsausrichtung konnte das Konsortium bereits zahlreiche international beachtete Beiträge leisten.
Anerkennung für MSA-Forschung
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wurde MSA-Experte Gregor Wenning kürzlich eingeladen, an der University of Maryland in Baltimore die „Inaugural Steven Myers Lecture“ – eine, der ersten, von einem MSA-Patienten gestiftete Vortragsreihe – zu halten. Dazu kommen drei MSA-Grants mit einer Gesamtdotation von 130.000 Euro, die an ForscherInnen der Univ.-Klinik für Neurologie verliehen wurden.
Ein von der USA MSA Coalition vergebener Preis ging an die Leiterin des Neurobiologischen Forschungslabors, Assoz. Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in Nadia Stefanova, für eine Arbeit über eine neue MSA-Therapie mit sogenannten Tweezers, einer neuen Substanzklasse, die von Stefanovas Projektpartner Prof. Gal Britan entwickelt worden ist und die Oligomerisierung von Synuclein verhindern soll.
Ein weiterer Preis ging an das Projekt „eGAIT - embedded Gait Analysis using Intelligent Technology“, in dem Dr.in Cecilia Raccagni von der Univ.-Klinik für Neurologie mit PD Dr. Jochen Klucken von der Universitätsklinik Erlangen zusammenarbeitet. Im Fokus steht die Entwicklung einer innovativen Sensortechnologie zur automatisierten Bewegungsanalyse, um Gangstörungen, wie sie im Rahmen von Parkinson und MSA auftreten, objektiv betrachten und als Outcome-Parameter für Therapiestudien nutzen zu können.
Für eine Kollaboration mit Prof.in Lucy Norcliffe-Kaufmann (New York University) erhielt der Innsbrucker Neurologe Dr. Florian Krismer PhD mit seinen Kolleginnen Dr.in Sabine Eschlböck und Dr.in Alessandra Fanciulli den MSA Research Grant der MSA Coalition. Die Auszeichnung würdigt die Etablierung des ersten globalen MSA-Registers für die Erfassung weltweiter PatientInnendaten.
(D. Heidegger)
Links:
A genome-wide association study in multiple system atrophy. Sailer A, Scholz SW, Nalls MA, Schulte C, Federoff M, Price TR, Lees A, Ross OA, Dickson DW, Mok K, Mencacci NE, Schottlaender L, Chelban V, Ling H, O'Sullivan SS, Wood NW, Traynor BJ, Ferrucci L, Federoff HJ, Mhyre TR, Morris HR, Deuschl G, Quinn N, Widner H, Albanese A, Infante J, Bhatia KP, Poewe W, Oertel W, Höglinger GU, Wüllner U, Goldwurm S, Pellecchia MT, Ferreira J, Tolosa E, Bloem BR, Rascol O, Meissner WG, Hardy JA, Revesz T, Holton JL, Gasser T, Wenning GK, Singleton AB, Houlden H; European Multiple System Atrophy Study Group and the UK Multiple System Atrophy Study Group.Neurology. 2016 Sep 14. [Epub ahead of print]
NIH – Neurodegenerative Diseases research Unit, Sonja W Scholz, M.D., Ph.D.
Abteilung für Neurobiologie, Prof. Wenning