Neuer Subtyp einer erblichen Bindegewebserkrankung enthüllt erstmals genetisch-immunologischen Zusammenhang
Mit der vollständigen Charakterisierung eines neuen Subtyps des Ehlers-Danlos-Syndroms demonstrieren der Humangenetiker Johannes Zschocke, die Zahnmedizinerin Ines Kapferer-Seebacher und der Virologe Heribert Stoiber in gelungener interdisziplinärer Zusammenarbeit erstmals den Zusammenhang einer erblichen Bindegewebserkrankung mit dem klassischen Komplementweg.
Bereits mehrere Unterformen des Ehlers-Danlos-Syndroms, einer angeborenen Bindegewebsschwäche mit Überstreckbarkeit der Gelenke, Veränderungen der Haut und anderer Organe sowie einem oft erhöhten Risiko für Organ- und Gefäßrupturen, wurden in den letzten Jahren in Innsbruck genetisch geklärt.
Das parorodontale Ehlers-Danlos Syndrom
Gemeinsam mit Ass.-Prof.in PDin Dr.in Ines Kapferer-Seebacher MSc. (Universitätsklinik für Zahnersatz und Zahnerhaltung) und ao.Univ.-Prof. Mag.Dr. Heribert Stoiber (Sektion für Virologie) konnte Univ.-Prof. Dr. Johannes Zschocke PhD, der Direktor der Innsbrucker Sektion für Humangenetik, nun als Koordinator einer internationalen Forschungskooperation die genetischen Grundlagen und klinischen Merkmale des parodontalen Ehlers-Danlos Syndrom (pEDS) klären. Diese autosomal-dominant erbliche Bindegewebskrankheit ist durch eine rasch fortschreitende Parodontitis mit Zahnverlust im frühen Erwachsenenalter sowie verschiedene Gelenks- und Hautsymptome charakterisiert. Die typische Kombination von Symptomen wurde in den vergangenen Jahrzehnten bei verschiedenen PatientInnen bzw. Familien beschrieben, jedoch erst jetzt durch die Erkenntnisse der Innsbrucker Arbeitsgruppe als umschriebenes Krankheitsbild eindeutig belegt.
Die Zusammensetzung des Forschungsteams geht auf ein zufällig geführtes Gespräch über eine Häufung von Parodontitis in einer Tiroler Familie zurück. „Parodontitis im Allgemeinen ist weltweit die sechsthäufigste Erkrankung, betrifft jedoch eher Menschen in höherem Alter. In der an unserer Abteilung behandelten Familie gab es jedoch in fünf Generationen 19 Fälle von schwerer Parodontitis, die sich durch rasche Progredienz und ein junges Manifestationsalter mit Zahnverlust vor dem 20. Lebensjahr auszeichnete“, weiß Parodontitis-Expertin Ines Kapferer-Seebacher. Diese Konstellation wurde im humangenetischen Institut über eine Koppelungsanalyse, die Sequenzierung aller Eiweiß-kodierenden Gene des Erbguts sowie umfangreiche funktionelle Analysen aufgearbeitet. „Nachdem wir in der Tiroler Familie die wahrscheinlich krankheitsauslösende Mutationen gefunden hatten, gelang es uns durch eine internationale Kollaboration noch 18 weitere Familien mit insgesamt 107 betroffenen Personen in die Studie aufzunehmen. In nahezu allen Familien waren Mutationen in zwei eng verbundenen Untereinheiten von Komplement 1 (C1) als Ursache des parodontalen Ehlers-Danlos Syndroms nachweisbar. Dieser überraschende Befund weist auf eine bislang nicht bekannte Verbindung von Bindegewebe und immunologischen Prozessen hin“, kommentiert Prof. Zschocke das Forschungsergebnis, das kürzlich im Fachjournal The American Journal of Human Genetics veröffentlicht wurde.
Optimale interdisziplinäre Zusammenarbeit
„Das Komplementprotein C1 besteht aus den drei Untereinheiten C1q, C1r und C1s und steht am Beginn des klassischen Komplementaktivierungswegs und damit einem wichtigen Arm der unspezifischen Immunantwort. Dass es auch mit der Prozessierung von Kollagen, einem Strukturprotein des Bindegewebes, in Zusammenhang steht, war bislang unentdeckt“, umschreibt Heribert Stoiber die neue Erkenntnis, die nicht zuletzt durch das breite Wissensspektrum aus Genetik, Bindegewebsstoffwechsel, Immunologie und Zahnmedizin an der Medizinischen Universität Innsbruck gewonnen werden konnte. Die sorgfältige klinische Untersuchung führte zur erstmaligen Beschreibung der spezifischen Krankheitsmerkmale in der Mundhöhle und über eine systematische Erfassung von fast 100 betroffenen Personen zur genauen Aufstellung des Manifestationsspektrums. Aufgrund dieser Erkenntnisse wird das parodontale Ehlers-Danlos-Syndrom 2017 als eigene Krankheitsentität in die neue EDS-Klassifikation aufgenommen.
In einem bereits vom FWF bewilligten internationalen Joint Project sollen nun die Interaktion zwischen Komplementproteinen und der Einfluss der Mutationen auf das Bindungsverhalten und die funktionelle Aktivität des C1-Komplexes untersucht werden. „Der Beweis, dass veränderte Eigenschaften des C1-Komplexes für strukturelle Bindegewebsauffälligkeiten verantwortlich sein können, eröffnet neue Einblicke in die Funktionen von C1 und die Pathogenese von Bindegewebsstörungen“, resümiert Johannes Zschocke, der auch in diesem Forschungsprojekt mit Ines Kapferer-Seebacher und Heribert Stoiber zusammenarbeiten wird.
Humangenetik Innsbruck
Die genetische Charakterisierung erblicher Krankheiten des Kindesalters ist ein langjähriger Schwerpunkt der seit 2008 von Univ.-Prof. DDr. Johannes Zschocke geleiteten Sektion für Humangenetik. Als einziges Zentrum für medizinische Genetik im Westen Österreichs leistet die Innsbrucker Humangenetik wichtige ärztliche Aufgaben als klinisch-genetischer Ansprechpartner für Tirol, Vorarlberg und darüber hinaus. Das umfangreiche Sprechstundenangebot wird ergänzt durch ein sehr breites Angebot an zytogenetischen und molekulargenetischen Laboranalysen auf methodisch neuestem Stand, Aufgrund der engen Verbindung von Patientenversorgung und Grundlagenforschung an der Sektion können ungeklärte genetische Fragestellungen sehr rasch zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen führen. Von zentraler Bedeutung ist dabei die enge, kollegiale Zusammenarbeit mit allen relevanten Kliniken sowie grundlagenwissenschaftlichen Sektionen an der Medizinischen Universität Innsbruck.
(D. Heidegger)
Links:
Periodontal Ehlers-Danlos Syndrome Is Caused by Mutations in C1R and C1S, which Encode Subcomponents C1r and C1s of Complement. Ines Kapferer-Seebacher, et al., The American Journal of Human Genetics. Volume 99, Issue 5, 3 November 2016, Pages 1005–1014
http://dx.doi.org/10.1016/j.ajhg.2016.08.019
Sektion für Humangenetik
http://www.humgen.at/
Univ.-Klinik für Zahnersatz und Zahnerhaltung
https://www.i-med.ac.at/patienten/ukl_zahnerhaltung.html
Sektion für Virologie
http://www3.i-med.ac.at/virologie/
News-Archiv: Innsbrucker Forscherteam entdeckt neue angeborene Bindegewebskrankheit
https://www.i-med.ac.at/mypoint/news/652843.html