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Florian Kronenberg, Hansi Weißensteiner, Sebastian Schönherr, Lukas Forer (von li. nach re., Foto: Gen. Epidemiologie)

Risikoscores als modernes Orakel von Delphi?

An der Genetischen Epidemiologie (Direktor: Univ.-Prof. Florian Kronenberg) wird sehr intensiv an Risikovorhersagen für Erkrankungen gearbeitet. Dies hat vor allem bei Hochrisikogruppen wie DialysepatientInnen zur Entwicklung von vier, international beachteten Risikoscores geführt. Zur leichteren Handhabung sind diese nun auch als Web-Applikation verfügbar. Das renommierte Forschungsjournal „Kidney International“ informiert über die Entwicklungen im aktuellen Editorial.

Ein verlässlicher Blick in die Glaskugel war schon immer ein Menschheitstraum. Das Orakel von Delphi ist wohl die berühmteste institutionalisierte antike Vorhersage und war oftmals derartig zweideutig, dass jedes Outcome möglich war, ohne dass die Pythia Unrecht hatte. „Heutige Vorhersagemöglichkeit im medizinischen Bereich sollten deutlich treffsicherer sein, sind aber nicht auf alle Personen- und Patientengruppen gleich anwendbar“, erklärt Florian Kronenberg, Direktor der Innsbrucker Sektion für Genetische Epidemiologie. "One size fits all" stimmt einfach nicht. Aus diesem Grund sind auch weit verbreitete Risikoscores wie der Framingham Risk Score nicht auf Patientengruppen wie NierenpatientInnen anwendbar, die ein besonders hohes kardiovaskuläres Risiko haben. „Aus diesem Grund haben wir uns im Rahmen des ARO-Konsortiums [Analyzing Data, Recognizing Excellence and Optimizing Outcomes] der Vorhersage von Zwischenfällen bei Hämodialysepatienten angenommen, indem wir vier Risikoscores entwickelt haben, die besonders für diese Patientengruppe wichtig sind", erklärt Florian Kronenberg, der als Epidemiologe intensiv an diesem Projekt gearbeitet hat. Die Scores sollten zur Vorhersage folgender Risiken verwendet werden:

  • Risiko im ersten Beobachtungsjahr zu versterben unabhängig von der Ursache
  • Risiko in den ersten beiden Beobachtungsjahren zu versterben unabhängig von der Ursache
  • Risiko für einen tödlichen kardiovaskulären Zwischenfall in den ersten beiden Beobachtungsjahren
  • Risiko für einen nicht-tödlichen oder tödlichen kardiovaskulären Zwischenfall in den ersten beiden Beobachtungsjahren

 

HochrisikopatientInnen sind anders

An den kurzen Beobachtungszeiten von ein bzw. zwei Jahren kann man schon erkennen, dass bei diesen HochrisikopatientInnenen eine sehr kurzfristige Vorhersage erforderlich ist im Gegensatz zur allgemeinen Bevölkerung, bei der die Vorhersage in der Regel auf zehn Jahre abzielt.

Diese Risikoscores wurden in ungefähr 10.000 HämodialysepatientInnen aus 14 europäischen Ländern entwickelt und validiert und dann zusätzlich extern in weiteren 10.000 PatientInnen validiert. Dabei zeigt sich, dass diese Scores das Risiko deutlich besser vorhersagen als alle bisher angewandten anderen Scores. „Das Interessante an diesen Risikoscores ist sicherlich, dass keine Spezialuntersuchungen durchgeführt werden müssen, sondern dass nur Routineparameter eingehen, die bei diesen Patientinnen und Patienten ohnedies regelmäßig erhoben werden. Dadurch entstehen keine zusätzlichen Kosten oder Belastungen", stellt Kronenberg fest. „Natürlich waren wir sehr gespannt, ob diese Risikoscores vom Feld aufgenommen werden oder ob sie in der breiten Nische der akademischen Vergesslichkeit ein Schattendasein fristen.“ Nun wurden diese Scores erstmals von unabhängigen Gruppen in einer Publikation in einer italienischen und einer französischen Kohorte überprüft und sogar mit den deutlich zeitaufwendigeren echokardiografischen Untersuchungen verglichen, wobei die Risikoscores sogar besser abgeschnitten haben als die damaligen echokardiografischen Methoden. Aus diesem Grund wurde Kronenberg auch zu einem Editorial in „Kidney International“ eingeladen, einer der führenden nephrologischen Zeitschriften.

Web-Applikation erleichtert den Einsatz in der Klinik

Nun ging es in einem nächsten Schritt darum, diese Risikoscores möglichst einfach für die Anwendung zu berechnen. „Wir mussten nämlich feststellen, dass die Berechnung mit Tabellen im klinischen Alltag sehr unpraktisch und fehleranfällig war. Hier war wiederum eine anwenderfreundliche informatische Lösung gefragt“, stellt Lukas Forer aus dem Askimed-Team der Genetischen Epidemiologie fest.  „Wir haben daher eine web-basierte Applikation entwickelt, die die sich zum Teil erheblich überschneidenden Parameter zwischen den vier Risikoscores abfragt, und in einem Durchgang alle vier Risikoscores berechnet und mit einem farblichen Ampelsystem sehr übersichtlich darstellt“, fügt sein Kollege Sebastian Schönherr hinzu. „Diese Applikation ist sowohl am Computer, als auch Smartphone oder Tablet durchführbar und trägt auch den hohen Anforderungen des Datenschutzes Rechnung, da vermieden wird, Daten zu übertragen", erklärt Hansi Weißensteiner, der wie seine Kollegen an der Genetischen Epidemiologie als Informatiker tätig ist. Diese Applikation ist nun weltweit für jedermann kostenfrei zugänglich unter http://aro-score.askimed.com/.

„Risikoscores sind nie perfekt und können den Erfahrungsschatz von Klinikerinnen und Klinikern nicht ersetzen. Aber die ARO Risikoscores sind auf der Basis dieser klinischen Erfahrungen mit epidemiologischen Hilfsmittel entwickelt worden und sind um Lichtjahre besser als der Blick in die Glaskugel oder das Horoskop“, meint Kronenberg zwinkernd.

(Redaktion/ B. Hoffmann-Ammann)

 

Publikationen:

Kronenberg F, Schwaiger JP:  Risk scores - The modern oracle of Delphi?  Kidney Int. 91:536-538, 2017.

Anker SD, Gillespie IA, Eckardt KU, Kronenberg F, Richards S, Drueke TB, Stenvinkel P, Pisoni RL, Robinson BM, Marcelli D, Froissart M, Floege J:  Development and validation of cardiovascular risk scores for haemodialysis patients.  Int. J. Cardiol.  216:68-77, 2016.

Floege J, Gillespie IA, Kronenberg F, Anker SD, Gioni I, Richards S, Pisoni RL, Robinson BM, Marcelli D, Froissart M, Eckardt KU:  Development and validation of a predictive mortality risk score from a European hemodialysis cohort.  Kidney Int. 87:996-1008, 2015.

 

Weitere Informationen:

- Sektion für Genetische Epidemiologie 

- ARO Risikoscore Applikation

- Askimed Website

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