Risikofaktor Lipoprotein(a)-Konzentration: Neue Einsichten in die genetische Regulation
Der sportliche, nicht-rauchende und stets gesund wirkende 45jährige, der plötzlich an den Folgen eines Herzinfarkts stirbt, gehört sehr häufig zu jenen 20 Prozent der Bevölkerung, die genetisch bedingt eine erhöhte Lipoprotein(a)-Konzentration und damit ein doppelt so hohes Risiko für Herzkreislauferkrankungen haben. Zur bislang mit vielen Fragen behafteten Regulation der Lp(a)-Konzentrationen gibt es nun neue Erkenntnisse aus der Sektion für Genetische Epidemiologie.
An der Sektion für Gentische Epidemiologie der Medizinischen Universität Innsbruck (Direktor: Univ.-Prof. Dr. Florian Kronenberg) wird Lp(a) – 1963 erstmals beschrieben und bereits vor Jahren als einer der wichtigsten kardiovaskulären Risikofaktoren erkannt – bereits seit vielen Jahren intensiv beforscht. Schon vor 30 Jahren veröffentlichte der ehemalige Vorstand der Sektion für Humangenetik, em. Univ.-Prof. Dr. Gerd Utermann, mit seinem Team die grundlegendsten Arbeiten zur Lp(a)-Genetik.
Mit der aktuellen Forschungsarbeit, in der erstmals eine neue, weit verbreitete und für niedrige Lp(a)-Konzentrationen verantwortliche Genvariante beschrieben wird, schaffte es das Forschungsteam um Florian Kronenberg nun im „fast track“-Verfahren in das renommierte European Heart Journal.
„Lp(a)-Konzentrationen werden fast ausschließlich durch ein einziges Gen namens LPA kontrolliert. Dieses Gen beinhaltet eine schon lange bekannte ‚copy number variation‘ (großer Genom-Abschnitt, der in unterschiedlichen Personen unterschiedlich oft vorhanden ist – hier in bis zu 70 Kopien) namens KIV-2. „In diesem bisher weißen Fleck der genetischen Landkarte konnten wir, neben zahlreichen weiteren Mutationen, auch eine Genvariante identifizieren, die zu niedrigen Lp(a)-Konzentrationen führt und damit zu einem verringerten kardiovaskulären Risiko beiträgt. Und das, obwohl diese Personen aufgrund ihrer restlichen genetischen Ausstattung eigentlich hohe Konzentrationen aufweisen sollten“, so Kronenberg. Dieser Erkenntnis des Innsbrucker Teams ging ein langer und technologisch herausfordernder Prozess voraus.
Langer Atem, innovative Technologie und optimale Zusammenarbeit
Sogenannte kleine Lp(a) Isoformen (eine Isoform ist eine Proteinvariante) mit wenigen KIV-2-Wiederholungen gehen üblicherweise mit erhöhten Lp(a)-Konzentrationen und in Folge mit einem stark erhöhten Herzinfarkt-Risiko einher. Bis zu 20 Prozent der Bevölkerung haben erhöhte Lp(a)-Konzentrationen. In den vergangenen zehn Jahren wurden an der Sektion für Genetische Epidemiologie mittels ELISA und Western Blot die Lp(a) Isoformen und Konzentrationen von mehr als 24.000 Menschen gemessen. Dabei stellte sich überraschend heraus, dass eine beträchtliche Anzahl der untersuchten Menschen von diesem, eigentlich gut etablierten Zusammenhang abwich, also niedrige Lp(a)-Konzentrationen trotz kleiner Isoform aufwies. Damit standen die ForscherInnen vor der Herausforderung, im technologisch schwer zugänglichen und deshalb kaum beleuchteten KIV-2-Bereich nach Antworten für diese Beobachtung zu suchen.
„Um eine bisher kaum durchführbare umfangreiche Mutationsanalyse in großen Kollektiven zu ermöglichen, mussten wir erst ein ganz spezielles Next Generation Sequencing (NGS) Protokoll mit hoher Sensitivität erarbeiten“, berichtet Dr. Stefan Coassin, Molekularbiologe an der Sektion für Genetische Epidemiologie und Erstautor der neuen Forschungsarbeit. Auch die bioinformatische Auswertung musste erst auf die speziellen Sequenzeigenschaften der KIV-2-Region zugeschnitten und mittels rekombinanter KIV-2 Klone kalibriert werden. Das war mit dem Know-How der an der Sektion beschäftigen Bioinformatiker Hansi Weissensteiner, Sebastian Schönherr und Lukas Forer und deren Erfahrung im Bereich der mitochondrialen DNA-Analyse schließlich möglich. Um die Relevanz der Variante in der allgemeinen Bevölkerung zu überprüfen, musste schließlich auch eine spezifische Methode etabliert werden, um kostengünstig tausende Menschen zu untersuchen. Die von Assoz. Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in Claudia Lamina durchgeführte statistische Analyse zeigte, dass 22 Prozent der Bevölkerung eine Genmutation tragen, die niedrige Lp(a)-Konzentrationen trotz kleiner Isoform hervorruft. Diese Mutation war aufgrund ihrer Lage im Genom bisher nicht identifizierbar gewesen.
Genmutation schützt vor Herzerkrankungen
Dank dieser innovativen, datenintensiven Methodik und der konstruktiven Zusammenarbeit mit weiteren Instituten am Standort – für die Durchführung der funktionellen Assays schloss man sich mit Teams aus der Sektion für Zellbiologie (Univ.-Prof. Dr. Lukas Huber, Dr.in Mariana Eca Guimarães de Araújo) und der Sektion für Genomik und RNomik (Univ.-Prof. Dr. Alexander Hüttenhofer) zusammen – gelang schließlich das „Meisterstück“: Nachdem Gertraud Erhart (Genetische Epidemiologie) mit Unterstützung von Eca Guimarães de Araújo die notwendigen Methoden in kürzester Zeit etablieren und einen Splicing Defekt zeigen konnte, gelang der Nachweis, dass die in der KIV-2-Region gefundene Mutation die Lp(a)-Konzentrationen in der klinisch relevanten Gruppe mit kleinen Isoformen um rund 70 Prozent verringert. Somit sind TrägerInnen dieser Mutation, trotz der genetisch ansonsten ungünstigen kleinen Lp(a) Proteinvariante, vor Herzerkrankungen geschützt. Im Rahmen eines MUI-START-Projektes etablierte Coassin nun eine Zusammenarbeit mit der Univ.-Klinik für Innere Medizin I (Dr. Armin Finkenstedt, Ao. Univ.-Prof. Dr. Heinz Zoller) und der Universitätsklinik für Radiologie (Ao. Univ.-Prof. Dr. Reto Bale), um auch erste Untersuchungen in Gewebeproben von PatientInnen durchzuführen.
„Nachdem wir jetzt die Mutation kennen, verstehen wir eine ganze Reihe an außergewöhnlichen Eigenschaften der Lp(a)-Konzentrationen, die bisher nicht oder nur teilweise erklärbar waren – etwa der große Unterschied in den Lp(a)-Konzentrationen selbst bei gleicher Isoform. Die neu entdeckte Genmutation trägt entscheidend zum Verständnis bei“, so die Autoren Kronenberg und Coassin.
Neue Therapiemöglichkeiten
Mit einem besseren Verständnis der Eigenschaften der Lp(a)-Konzentrationen rückt auch die Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten einen Schritt näher. Zwar existieren heute bereits Medikamente wie PCSK9-Inhibitoren, die Cholesterin um bis zu 60 Prozent und als Nebeneffekt auch Lp(a) um 30 Prozent senken können. Vor dem Hintergrund der damit verbundenen hohen Kosten und der, im Sinne einer präventiven kardiovaskulären Therapie, nur ungenügenden Senkung der Lp(a)-Konzentration, kommt der weiteren Erforschung der Lp(a)-Genetik bzw. der regulierenden Mechanismen zur Lp(a)-Konzentration jedoch besondere Bedeutung zu.
(D. Heidegger)
Links:
A novel but frequent variant in LPA KIV-2 is associated with a pronounced Lp(a) and cardiovascular risk reduction. S. Coassin et al., European Heart Journal
https://academic.oup.com/eurheartj/article-lookup/doi/10.1093/eurheartj/ehx174
Lipoprotein(a): there's life in the old dog yet. Kronenberg F., Circulation 129:619-621, 2014.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24515955
Lipoprotein(a) - resurrected by genetics. Kronenberg F, Utermann G, J. Intern. Med. 273:6-30, 2013.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22998429
Sektion für Genetische Epidemiologie
http://www3.i-med.ac.at/genepi/
myPoint-Archiv: Auszeichnung für Stefan Coassin
https://www.i-med.ac.at/mypoint/thema/695358.html