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Alois Saria: „Universitäten brauchen mehr Mut zur Vision“

Wenn berufene Professorinnen und Professoren der Medizinischen Universität Innsbruck in den Ruhestand treten, hat man schon Einiges, aber längst nicht alles über sie erfahren. Lesen Sie hier, was Sie immer schon von und über Alois Saria wissen wollten.

Wenn Sie auf Ihre Zeit an der MUI zurück denken, würden Sie dann Vieles noch einmal so machen?
Das Meiste schon. Die Ziele, die ich mir in Innsbruck gesteckt habe, konnte ich weitgehend erreichen. Allerdings konnte ich zur Zeit meiner Berufung zum Professor meine Vorstellungen von der Entwicklung der Grundlagenforschung in der Psychiatrie nicht umsetzen. Ich denke, Grundlagenforschung sollte im Sinne einer gezielten Schwerpunktsetzung immer fokussiert und thematisch klar strukturiert sein. Mit meinem Vorschlag, die Psychiatrie in diese Richtung zu optimieren, war ich damals aber nur teilweise erfolgreich.

Woran lag das?
Das lag an strukturellen Schwächen und betraf auch die Klinikstrukturen. Es hing aber auch an einzelnen Personen in Schlüsselpositionen. Mangelnde Schwerpunktsetzung ist immer eine strukturelle Schwäche, der man mit Veränderung begegnen muss und dazu müssen die Schlüsselpersonen mitspielen. Wir haben an der MUI einen Neuroscience Schwerpunkt, der sich seit den 90er Jahren sehr gut entwickelt hat und in dem die wesentlichen Fachrichtungen abgebildet sind. Doch seit mindestens zehn Jahren stagniert dieser Schwerpunkt. Es ist uns nicht gelungen, die nötigen strukturellen Veränderungen herbeizuführen. Ich denke aber, der Neuroscience Schwerpunkt besitzt noch immer genügend Potenzial, eine Weiterentwicklung erfordert aber radikale Veränderungen. Man müsste etwa die produktiven Arbeitsgruppen aus den institutionellen Strukturen herausreißen. Das ist uns damals nicht gelungen. Auch eine Stärkung der fehlenden Disziplinen von der Berufungsseite her wäre wichtig. Und dann braucht es natürlich Visionen, um den gesamten Standort zu stärken. Ich denke dabei auch an Visionäre wie den Investor Hermann Hauser, der im August eine Summerschool on Entrepreneurship zum Thema Artificial Intelligence veranstaltet hat. Ich war eingeladen, einen Key Note Vortrag zu halten. Zwar fehlt es in Tirol an umfassenden Grundlagen für Artificial Intelligence, doch mit dem Neuroscience Schwerpunkt, der Beteiligung am Human Brain Project (HBP) und auch mit der Physik-Expertise an der LFU können wir schon etwas vorweisen – davon müsste man auch die Politik überzeugen.

Es gab aber doch sicher auch Glücksmomente und Erfolge?
Es gab viele Glücksmomente und zwar immer dann, wenn ich das Gefühl hatte, etwas bewegt und weitergebracht zu haben. Wenn man als Forscher publiziert und zitiert wird, wenn die wissenschaftliche Community auf deine Erkenntnisse zurückgreift, dann ist das eine schöne Anerkennung. Die wirklich großen wissenschaftlichen Durchbrüche gelangen mir in den 80er Jahren als PostDoc am Karolinska Institut gemeinsam mit meinen dortigen Kollegen Jan Lundberg und Tomas Hökfelt. Wir forschten jeden Tag bis in die Nacht hinein, es war ein Jahr voller Dynamik und Erkenntnisse. Aber auch eines mit Folgen für meine Gesundheit, denn ich entwickelte in diesem arbeitsreichen Jahr, in dem ich auch von meiner Familie getrennt war, kardiale Stresssymptome. Auch wenn in dieser Zeit der Grundstein für meine weitere wissenschaftliche Laufbahn gelegt wurde, wusste ich nach meiner Rückkehr: Karriere ja, aber nicht um jeden Preis.

Wie stehen Sie denn zum Scheitern?
Ein Teil meiner Lebensphilosophie ist es auch, zu erkennen, ob ein Projekt zum Ziel führt oder nicht. Ich engagiere mich gern dort, wo ich gehört werde und etwas weiterbringen kann, etwa in internationalen Non-Profit-Organisationen wie der ISN oder im Management-Bereich des HBP. Innerhalb der Uni, etwa im Senat, war die Arbeit mitunter auch unbefriedigend. Das hängt aber wohl mit bestimmten Personen und mit mir selbst zusammen.

Sie haben in Graz Biochemie und Biotechnologie studiert. Wie sind Sie eigentlich zu den Neurowissenschaften gekommen?
Das war reiner Zufall, denn eigentlich wollte ich nach der Diplomarbeit in die Industrie und auch noch eine Dissertation schreiben. Zwei Wochen vor meiner Sponsion wurde mir aber über einen Biochemiker an der TU eine Dissertationsstelle in Pharmakologie vermittelt, nachdem kein anderer Diplomand dafür zur Verfügung stand. Ich interessierte mich als Biotechnologe schon damals für die Pharmakologie, wusste aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass das Pharmakologische Institut von Prof. Fred Lembeck in Graz tatsächlich eines der wenigen international und interdisziplinär gut aufgestellten Institute auf diesem Gebiet war. Natürlich habe ich mir die vorklinischen Teile des peripheren Nervensystems genau angeschaut, habe Vorlesungen besucht und Lehrbücher studiert. Lembeck legte Wert auf die Anwesenheit in seiner Vorlesung. So habe ich im ersten Jahr die komplette Pharmakologie, im zweiten dann einschlägige Pathologien und Innere Medizin gelernt.

Sie sind heute ein viel zitierter Neurowissenschafter, der sich sehr um den wissenschaftlichen Nachwuchs bemüht. Wie sieht aus Ihrer Sicht eine zukunftsgerichtete Ausbildung aus?
Ich bin froh, den Ausbildungsteil im HBP übernommen zu haben, weil ich sehr gern mit jungen Leuten arbeite. Zweifelsfrei muss eine moderne wissenschaftliche Ausbildung in Richtung Interdisziplinarität gehen, so wie im HBP. Neben biochemischem Basiswissen muss demnach auch ein Grundverständnis in Computational Neuroscience und Informatik vermittelt werden, um moderne neurowissenschaftliche Tools verstehen und anwenden zu können.

Sind europäische Unis in dieser Hinsicht gut aufgestellt?
Überhaupt nicht – auch nicht in den USA. Dort beginnen manche Unis erst, interdisziplinäre Curricula aufzustellen. Ich bin überzeugt: Wenn eine Universität diese Ausbildungsanforderung erkennt, hat sie gute Chancen, in zehn Jahren gut aufgestellt zu sein. Aber auch das Bekenntnis zur Internationalität muss in der strategischen Ausrichtung einer Universität verankert sein.

Ist dieser Anspruch in bestimmten Bereichen der MUI sichtbar?
Dort, wo unsere wirklichen Schwerpunkte liegen, wo es einen hohen Publikationsoutput gibt, sind wir gar nicht so schlecht aufgestellt. Wichtig ist, sich radikal auf bestimmte Schwerpunkte zurückzuziehen und jene Nischen zu füllen, in denen wir konkurrenzfähig sind. Der finanzielle Aspekt ist hier nicht zu unterschätzen, denn die Umsetzung einer Internationalisierungs-Strategie bedarf der Berufung exzellenter ProfessorInnen von außen sowie der Investition in universitäre Cluster – und sie bedarf einer, den Unis wohlgesinnten Landespolitik.

Was wird Sie auch im Ruhestand nicht loslassen?
Allen, die mich fragen, sage ich: Ich habe keine Angst vor dem Ruhestand. Ich kann loslassen, Dinge abschließen, was völlig anderes machen. Natürlich habe ich im Rahmen des HBP die Gelegenheit, an reizvollen Dingen weiterzuarbeiten und zu sehen, wohin sich die Hirnforschung bewegt. Ich freue mich darauf, mit meiner Frau, die ihre Arbeitszeit auch auf die Hälfte reduziert hat, zu reisen, in die Natur zu gehen und Schwammerl zu fotografieren. Und zu Hause spiele ich Klavier und koche leidenschaftlich gerne.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?
Ich würde mit allen Mitteln versuchen, die rein psychologisch ausgerichtete psychiatrische Diagnostik auf eine komplett neue biologische Ebene zu stellen. Das würde die Palette an psychiatrischen Erkrankungen komplett verändern und die Entwicklung einer innovativen Pharmako-Therapie möglich machen. Unsere heutigen Psychopharmaka basieren immer noch auf Wirkprinzipien, die vor 50, 60 Jahren entwickelt wurden. Im Bereich der medical infomatics wird bereits versucht,  mit allen vorhandenen biologischen Daten neue Krankheitsmodelle zu erstellen.

Eine Frage noch: Wie spricht man eigentlich Ihren Nachnamen richtig aus?
Die Betonung bei Saria liegt auf dem ersten „a“. Ein entfernter Verwandter konnte Spuren unseres Namens bis ins Jahr 1618 nach Friaul zurückverfolgen und herausfinden, dass wir aus Griechenland über Oberitalien und Slowenien nach Österreich gekommen sind. Nördlich von Karpathos gibt es die kleine Insel Saria, deren Einwohner im späten Mittelalter aufgrund ständiger Piratenübergriffe fast vollständig die Insel verließen. Die Vorstellung, von Seeräubern abzustammen, gefällt mir gar nicht so schlecht.

Zur Person:
Univ.-Prof. Dipl.-Ing.Dr. Alois Saria studierte an der TU Graz Biochemie und Biotechnologie und ist seit 1987 in Innsbruck tätig. 1997 wurde er zum Professor für Neurochemie berufen. Der gebürtige Steirer hat mehrere Forschungspreise gewonnen und wurde vom „Institute for Scientific Information“ (ISI) zwischen 2002 und 2016 als „Highly Cited Researcher“ (über 12.000 Zitationen) im Bereich Pharmakologie geführt. Im Jahr 2007 erhielt er das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.  Er ist Mitglied in zahlreichen internationalen Gesellschaften, war Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurowissenschaften, Treasurer der Federation of European Neuroscience Societies, Treasurer und Präsident der International Society for Neurochemistry, sowie  erstes nicht US-amerikanisches Mitglied im Finanzkomitee und Mitglied des Neuroscience Training Committee der „Society for Neuroscience“ (SfN), der größten weltweit tätigen Non-Profit Organisation der Neurowissenschaften mit Sitz in den Vereinigten Staaten. Im EU-Flaggschiff „Human Brain Project“ (Volumen 1 Milliarde €) ist der 65-Jährige im Managementteam für die Koordination von Ausbildung und Training des wissenschaftlichen Nachwuchses im Projekt zuständig. Alois Saria tratt mit 1. Oktober 2017 in den Ruhestand. Aus diesem Anlass laden Rektor Wolfgang Fleischhacker und Vizerektorin Christine Bandtlow am 13. Oktober um 10:00 Uhr zu einem Farewell Event mit Gast-Vorträgen in den Hörsaal der Klinik für Psychiatrie ein.

(D. Heidegger)

 

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