Intensivmedizin: Der ideale Zeitpunkt für die Nierenersatztherapie
Bei mehr als der Hälfte aller PatientInnen auf Intensivstationen tritt als Komplikation eine akute Nierenschädigung auf. Davon benötigt etwa ein Viertel eine Nierenersatztherapie. Unklar ist, wann der ideale Zeitpunkt dafür gegeben ist. Eine internationale Meta-Analyse der Gemeinsamen Einrichtung für Internistische Notfall- und Intensivmedizin der Medizin Uni Innsbruck, aktuell veröffentlicht im renommierten Fachjournal „Intensive Care Medicine“, soll Klarheit schaffen.
Wie so oft im Leben, hängt vieles vom richtigen Zeitpunkt ab – dies gilt vor allem in der Intensivmedizin. „Bei mehr als der Hälfte aller Patientinnen und Patienten auf Intensivstationen tritt als Komplikation eine akute Nierenschädigung auf. Im weiteren Krankheitsverlauf benötigt davon ein Viertel der Fälle eine Nierenersatztherapie“, weiß Michael Joannidis, Leiter der gemeinsamen Einrichtung für Internistische Notfall- und Intensivmedizin an der Medizin Uni Innsbruck. Unklar sei allerdings der Zeitpunkt, wann eine solche Therapie am besten begonnen werden soll. Zur Klärung dieser Frage läuft im Moment eine große internationale Studie, die STARRT-AKI Studie, mit Michael Joannidis als nationalem Studienkoordinator für Österreich.
Bereits in einer anderen Studie (2017 im Journal „Intensive Care Medicine“ veröffentlicht) hat Joannidis gezeigt, welche Komplikationen hauptsächlich für Nierenschädigungen bei PatientInnen auf Intensivstationen verantwortlich und welche Präventionsmaßnahmen zu empfehlen sind (siehe dazu: https://www.i-med.ac.at/mypoint/news/710668.html ): „Je früher wir wissen, dass ein akutes Nierenversagen droht und was der auslösende Faktor sein könnte, desto rascher können wir gezielt eingreifen“, sagt Joannidis. Zeit spielt in der Intensivmedizin eine zentrale Rolle.
In der aktuellen Studie (Erstautor Sebastian Klein) beschäftigen sich die ForscherInnen mit dem idealen Zeitpunkt, wann gezielt mit einer Nierenersatztherapie (z.B. einer Dialyse) begonnen werden soll bzw. ob diese auch vermieden werden kann. „Ein sofortiger Beginn einer Nierenersatztherapie erfordert natürlich absolute Kriterien wie lebensbedrohliche Komplikationen der akuten Nierenschädigung. Bei Patientinnen und Patienten, welche diese absoluten Kriterien nicht klar erfüllen, ist jedoch noch nicht geklärt, ob diese von einem eher frühen Start der Nierenersatztherapie oder eher von einem abwartenden Vorgehen profitieren“, so Joannidis. Antwort auf diese Frage soll die Meta-Analyse, in welche Daten von weltweit knapp 16.000 kritisch kranken PatientInnen einfließen, geben, um so auch den richtigen Biomarker, der ausreichend Auskunft über die Schädigung der Niere gibt, zu finden.
Der richtige Biomarker
„Unterstützend zum klinischen Gesamteindruck von Patientinnen und Patienten werden klassische Marker der Nierenfunktion verwendet, um einen Eindruck über das Maß der Nierenschädigung zu erhalten. Hierzu zählt zum Beispiel Kreatinin. Diese klassischen Marker geben allerdings nur unzureichend Auskunft darüber, ob ein kritisch kranker Patient, eine kritisch kranke Patientin aufgrund des Ausmaßes der Nierenschädigung eine Nierenersatztherapie benötigt“, meint Erstautor Sebastian Klein. In den vergangenen Jahren wurden im Hinblick auf diese Frage Dutzende neue Marker identifiziert und evaluiert. Viele dieser Biomarker wurden jedoch nur in kleineren Studien mit unterschiedlichen PatientInnenpopulationen untersucht, wodurch eine klare Aussage, über die prädiktive Wertigkeit dieser Marker nur schwer möglich sei, so Joannidis. Dies war der Ansatzpunkt der groß angelegten Meta-Analyse des Teams der Gemeinsamen Einrichtung für Internistische Notfall- und Intensivmedizin.
Um einen Überblick über alle verfügbaren Marker zu ermöglichen, hat die Arbeitsgruppe rund um Michael Joannidis eine systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse erstellt. „In die Arbeit flossen Daten von 63 Studien mit insgesamt 15.928 kritisch kranken Patienten und Patientinnen ein. Insgesamt konnten 63 Biomarker, welche in Blut oder Urin erhoben wurden, analysiert werden“, erklärt Klein. Die Analysen ergaben, dass insbesondere ein Test, der das Produkt der beiden Zellzyklus-Arrest-Marker TIMP-2 und IGFBP-7 ermittelt, eine gute Orientierung für den Beginn einer Nierenersatztherapie gibt, „auch wenn nur relativ wenige Patientinnen und Patienten für diesen analysiert werden konnten“, merkt Klein an. „An der Entwicklung dieses Tests konnte die medizinische Intensivstation der Medizin Uni Innsbruck ebenfalls mitwirken“, fügt Michael Joannidis hinzu und erklärt: „Weitere Marker, die relativ gute Ergebnisse zeigten, waren NGAL (Neutrophil gelatinase-associated Lipocalin) sowie Cystatin C, ein Marker der Nierenfunktion.“
„Die aus dieser Arbeit gewonnen Erkenntnisse stellen eine wichtige Basis für weitere Forschung auf dem Gebiet des akuten Nierenversagens dar und ermöglichen durch eine detaillierte Aufarbeitung der Ergebnisse neue theoretische Ansätze zu gewinnen, um kritisch kranken Patientinnen und Patienten in Zukunft eine maßgeschneiderte Therapie zukommen zu lassen“, sagt Joannidis.
(D. Bullock)
Link zum Paper: „Biomarkers for prediction of renal replacement therapy in acute kidney injury: a systematic review and meta-analysis”
Weitere Links:
https://www.i-med.ac.at/notfallmedizin/team.html
https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00134-015-3934-7
https://ccforum.biomedcentral.com/articles/10.1186/cc12503
Im Bild die AutorInnen der Medizin Uni Innsbruck (v.l.): Georg Lehner, Michael Joannidis, Sebastian Klein, Anna Brandtner, Hanno Ulmer.