Vom Labor zum Krankenbett
Anfang Mai tagen in Innsbruck die internationalen Gesellschaften für Kinder- und Jugendrheumatologie und die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Immunologie. Eines der Themen ist der konkrete PatientInnen-Nutzen wissenschaftlicher Grundlagenforschung. Gerade in Innsbruck sind die Voraussetzungen, neue Erkenntnisse aus der Forschung möglichst schnell ans Krankenbett zu bringen, perfekt. Das beweist auch die aktuelle Geschichte einer jungen Patientin.
Das Immunsystem von uns Menschen muss erst lernen, mit Krankheitserregern umzugehen. Dieses Wissen ist in der Bevölkerung bereits verankert. Dass es aber noch ein „zweites“ Immunsystem gibt, ist weniger bekannt.
Komplementsystem als angeborene Verteidigungslinie
Alle Menschen haben von Geburt an ein sogenanntes Komplementsystem. Es ist Teil des angeborenen Immunsystems, das sofort einsatzbereit ist, wenn wir das Licht der Welt erblicken. Es bekämpft eindringende Krankheitserreger sofort und zerstört sie im Idealfall. Schafft es das nicht, dann markiert es diese Erreger, damit andere Verteidigungsmechanismen des Körpers diese gezielt angreifen können.
Dieses Komplementsystem kann aber defekt sein. Einerseits kann es nicht ausreichend funktionieren und andererseits passiert das genaue Gegenteil, dass es nämlich zu gut funktioniert. Man spricht dann von einer überschießenden Immunreaktion und beides kann krank machen. Wie man die „guten“ Eigenschaften des Komplementsystems für PatientInnen nutzen kann, damit beschäftigt sich in Innsbruck sehr erfolgreich eine Forschungsgruppe rund um Doris Wilflingseder, von der Sektion für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Medizinischen Universität Innsbruck: „Wir versuchen, mit Hilfe unserer Forschung die Mechanismen des Komplementsystems zu erfassen. Je besser wir verstehen, was bei der spontanen Immunabwehr passiert oder eben auch falsch läuft, desto besser können wir versuchen, Behandlungsstrategien zu entwickeln.“
Ein erfolgreiches Beispiel für den Einsatz eines Komplementblockers bei PatientInnen stellt der von Reinhard Würzner, einem Kollegen von Wilflingseder, entwickelte Anti-C5-Antikörper dar. Dabei handelt es sich um einen Antikörper, der bei überschießender Immunreaktion des Komplementsystems eingesetzt wird und die dafür verantwortlichen Mechanismen blockiert.
Alejna und der Wolf
Für Alejna war der Anti-C5-Antikörper eine lebensrettende Therapie. Die 18-Jährige leidet an einer seltenen Form von Lupus, dem „Systemischen Lupus“ („Wolf“). Dies ist eine der „Seltenen Erkrankungen“, die rheumatische, chronische Entzündungen des Bindegewebes und mehrerer Organsysteme zur Folge hat. Zunächst war die Krankheit bei Alejna unter Kontrolle, doch dann hat sich ihr Zustand drastisch verschlechtert. Im Rahmen ihres sehr spezifischen Lupus ist es zu einer dauerhaften Überaktivierung des Komplementsystems gekommen, mit einer lebensbedrohlichen Entzündung mehrerer Organe, insbesondere der Nieren und des Darms.
„Im Rahmen eines individuellen Heilversuchs haben wir Alejna mit dem Anti-C5-Antikörper behandelt und konnten so die lebensbedrohliche Entzündung stoppen“, so Jürgen Brunner von der Pädiatrischen Rheumatologie des Departments für Kinder- und Jugendheilkunde. Bei dieser seltenen Form des Lupus ist die Therapie erfolgreich. Eine generelle Heilung des Lupus ist derzeit aber noch nicht möglich. „Teile des Komplementsystems können uns auch als Biomarker bei rheumatischen und immunologischen Erkrankungen dienen“, so Brunner weiter. Diese Biomarker stehen im Interesse der Forschung der Kinderrheumatologie Innsbruck. Zu diesem Zweck besteht eine enge Kooperation zwischen den Arbeitsgruppen von Brunner und Wilfingseder. Die Behandlung bei Alejna zeigte durchschlagenden Erfolg. Heute geht es ihr gut.
Mit diesen und ähnlichen Problemen des Immunsystems und den daraus resultierenden Krankheiten beschäftigen sich etwa 200 ÄrztInnen und NaturwissenschaftlerInnen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland während des Kongresses in Innsbruck.
(J. Schwamberger)
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