Werner Poewe: „Erfolg ist immer eine Teamleistung“
Wenn berufene Professorinnen und Professoren der Medizinischen Universität Innsbruck in den Ruhestand treten, hat man schon Einiges, aber längst nicht alles über sie erfahren. Lesen Sie hier, was Sie immer schon von und über Werner Poewe wissen wollten.
In den nahezu 25 Jahren, in denen Sie an der Spitze der Innsbrucker Universitätsklinik für Neurologie gestanden sind, ist viel passiert. Ist es Ihnen trotzdem möglich, zwei bis drei Dinge hervorzuheben, die Sie wieder so machen würden und auf die Sie besonders stolz sind?
Als Arzt gibt es natürlich immer Dinge, die man nie vergisst. Aber wenn Sie mich jetzt als Klinikdirektor und Ordinarius für Neurologie fragen, bin ich schon sehr stolz, wie gut sich unsere Klinik entwickelt hat, vor allem was wissenschaftliche Leistungsparameter betrifft. Gerade für junge begabte Nachwuchskliniker und -forscher ist die Innsbrucker Neurologie über die Jahre immer attraktiver geworden. Ich möchte dabei nicht unbedingt Einzelereignisse herauspicken. Es hat sich in den fast 25 Jahren sehr viel Erfreuliches getan, etwa unsere Erfolge in der Drittmittel-Einwerbung und in der Publikationsleistung, Auszeichnungen und Preise für Mitarbeiter, Habilitationen und Berufungen auf Professuren oder Primariate , aber auch die Möglichkeit, unser Forschungslabor oder unsere Intensivstation und Schlaganfall-Einheit sowie unser Schlaflabor auszubauen. Worauf ich besonders stolz bin ist, dass die Neurologische Klinik eine ganze Reihe international hochangesehener Arbeitsgruppen vorweisen kann mit jeweils exzellenten Leitungspersönlichkeiten – denken Sie etwa an die Bereiche Schlafmedizin, Schlaganfall, M. Parkinson und Bewegungsstörungen, Multiple Sklerose und Experimentelle Neurologie oder Intensivneurologie, oder, gemeinsam mit der Klinik für Neuroradiologie, die neurologische Bildgebungsforschung, wo wir tatsächlich weltweit wahrgenommen werden. Die Neurologie war über all die Jahre eine sehr produktive Klinik was Publikationen und Drittmitteleinwerbungen und die Bewerbungszahlen um offene Positionen betrifft. Dieses Wachstum war geprägt von einer Kultur mit großer Leistungsbereitschaft, von viel Empathie für unsere Patientinnen und Patienten und auch von viel Kollegialität untereinander – wir blieben von internen Zwistigkeiten verschont. Mein Team hat kontinuierlich Leistung gebracht, das Schiff ist sozusagen auf gutem Kurs.
Gab es nicht auch Dinge, die nicht so rund gelaufen sind? Dinge, die Sie sehr herausgefordert haben?
Es geht nie alles von vorn herein rund. Es ist zum Beispiel aus Sicht der universitären Medizin in Innsbruck noch nicht wirklich geglückt, ein universitäres Neuro-Zentrum so aufzubauen, wie man es sich idealerweise vorstellen würde – also eine enge und teilweise auch räumliche Integration der klinischen und experimentellen, translationalen Neuro-Fächer. Da stößt man an unserem Standort einfach auch an Grenzen des Machbaren. Besonders schmerzhaft ist für mich, dass es trotz entsprechender ernster Ansätze bis heute nicht gelungen ist, eine eigene Abteilung für Neuropathologie zu errichten. Ich hoffe aber, dass es unter dem derzeitigen Rektorat gelingt, wieder Boden gut zu machen.
Was mich über viele Jahre bedrückt hat, war der Mangel an Karriere-Perspektiven für den akademischen Nachwuchs. Es war mir oft nicht möglich, hervorragenden klinischen Wissenschaftlern adäquate Laufbahn-Modelle anzubieten und ich empfinde es als großes Glück, dass trotzdem so viele hervorragende und international anerkannte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem Standort treu geblieben sind. Die Situation ist durch Laufbahnstellen und zuletzt die Ausschreibung von Paragraph 99 Professuren eindeutig in Besserung begriffen, aber es fehlen immer noch die Mittel für eine wirklich adäquate Ausstattung dieser Stellen. Das liegt natürlich daran, dass die österreichische Hochschulmedizin unterfinanziert ist und es wenig Spielraum gibt, substanzielle Beträge für die Forschungsförderung intramural zur Verfügung stellen zu können. Umso erstaunlicher ist unser wissenschaftlicher Output. Dass unser Team an der Neurologie seine hohe wissenschaftliche Produktivität trotz Knappheit in der Forschungs-Finanzierung und einer sehr hohen Dichte klinischer Verpflichtungen halten kann, ist ein Zeichen besonderer Leistungsbereitschaft und erfüllt mich unvermindert mit Staunen und Bewunderung.
Hat diese Leistungsbereitschaft vielleicht atmosphärische Gründe?
Das muss so sein. So wie im Mannschaftssport: Da ist die Spielfreude auch nicht allein durch Geld zu regeln. Wenn ich zu wählen hätte zwischen üppiger Forschungsförderunrg oder Team-Spirit, dann würde ich immer Zweiteres wählen.
Sie waren bereits mehrmals auf der renommierten Liste der weltweit „Highly Cited Researchers“ zu finden, was bedeutet Ihnen so ein Ranking?
Also ich bin schlecht im Verfolgen dieser bibliometrischen Indizes. Meine Position hat genau mit dieser Teamsituation zu tun. Die meisten Publikationen und Erfolge entstehen schließlich im Team. Ich bin gern Primus inter Pares und habe auch keine Angst davor, diese Position mit der Emeritierung abzugeben. Außerdem werde ich ja in einigen Projekten weiterarbeiten, aber nicht immer als Primus. Die Sache macht auch so Spaß.
Apropos Spaß: Wollten Sie schon immer Mediziner und Neurologe werden? Wie sind Sie zum Parkinson Syndrom gekommen?
Es war kurz vor dem Abitur, da entstand der Gedanke. Wie viele Kollegen aus meiner Generation, war ich damals fasziniert von Sigmund Freuds Schriften und seinem Ansatz – der ja ur-neurologisch ist –, dass es für Verhalten einen Grund geben muss im Gehirn. Daher kam der Wunsch, Medizin zu studieren, vorerst allerdings mit der Perspektive Psychiater zu werden. Erst später während des Studiums erkannte ich, dass diese komplexen, verhaltensbestimmenden Mechanismen im Gehirn in der neurologischen Fachrichtung in Reinkultur zu sehen sind, weshalb ich mich schließlich für die Neurologie entschied. Zur Parkinsonerkrankung kam ich dann durch Zufall, wie das oft so passiert, etwa wenn Mentoren einem bestimmte Aufgaben zuweisen. Damals habe ich jedenfalls von meinem Chef die Anweisung bekommen, in die Parkinson-Ambulanz zu gehen und den dortigen Oberarzt zu unterstützen. Wenn man mich in die Kopfschmerz-Ambulanz geschickt hätte, wäre vielleicht die Schmerztherapie mein Spezialgebiet geworden. Es gibt so viel Spannendes in der Neurologie und gerade jetzt explodieren förmlich die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten des Fachs.
Parkinson ist eine degenerative neurologische Erkrankung. Wie teilen Sie das Ihren Patientinnen und Patienten mit bzw. was geben Sie den angehenden Ärztinnen und Ärzten mit auf den Weg?
Chronische Krankheiten zu diagnostizieren und mitzuteilen ist nie ganz einfach. Parkinson ist zwar nicht heilbar, aber gut behandelbar. Allerdings gibt es auch schlimme Varianten von Parkinson, mit deutlich eingeschränkter Therapie-Möglichkeit, zum Beispiel die Multi-System-Atrophie, mit der wir uns an unserer Klinik besonders intensiv beschäftigen. Hier ist es bei der Vermittlung einer Diagnose besonders wichtig, bei der Wahrheit zu bleiben und den Betroffenen gleichzeitig deutlich zu machen, dass Hilfe und Erleichterung möglich sind. Letzteres war auch immer eine wichtige Botschaft an meine Studentinnen und Studenten in der Vorlesung, besonders auch bei den ganz schlimmen Diagnosen wie der ALS.
Ist der Arzt oder der Forscher in Ihnen dominanter?
Ich bin ja in die Medizin gekommen mit dem Wunsch, die Menschen und deren Verhalten zu verstehen. Diese Streben ist mir geblieben, insofern bin ich mehr Arzt. Man könnte natürlich auch sagen, jemand der das versucht, ist ein Wissenschaftler. Ich bin jedenfalls jemand, dem bei überwiegend experimenteller Tätigkeit im Labor etwas Wichtiges fehlen würde – nämlich der Umgang mit neurologisch erkrankten Menschen und das Beobachten und Verstehen der Auswirkungen neurologischer Störungen und Defizite auf die menschliche Existenz. Aber in der Hochschulmedizin gibt es eigentlich keine Trennlinie zwischen Arzt und Wissenschafter und ich war immer überzeugt, dass herausragende klinische Forscher in ihren jeweiligen Fächern auch die besten Ärzte sind.
Was interessiert Sie abseits der Medizin?
Mich interessieren besonders Geschichte, Literatur und Kunst. Ich halte mich sehr gern in Museen auf, das brauche ich für´s Gehirn. Manchmal finde ich es nahezu beschämend, wieviel Wachzeit, also aktive Gehirnzeit, ich mich mit Neurologie und mit der Verwaltung von Forschung beschäftige, häufig sind das bis zu zwölf Stunden täglich. Doch man muss das Gehirn auch mal durchatmen lassen und Energie tanken, am besten in die Kultur ausweichen, das ist wichtig für die ärztliche und wissenschaftliche Kreativität.
Ab Oktober werden Sie dafür mehr Zeit haben, wird das eine große Umstellung für Sie?
Ich freue mich darauf. Natürlich werde ich weiterhin Patienten sehen, Projekte betreuen, Manuskripte redigieren und Vorträge halten, aber nicht mehr in dieser Dichte. Meine schönste Zeit als Wissenschaftler war die Forschungszeit in London. Das war vor meiner Habilitation, da konnte ich Stunden in der Bibliothek verbringen und mich nur mit meinem Thema beschäftigen. Ich hoffe, dass ein bisschen etwas von diesem Glücksgefühl zurückkommt. Ich freue mich auch darauf, mehr zu reisen, nicht nur ins Ausland, sondern auch im wunderschönen Österreich. Es wird also hoffentlich alles etwas weniger, aber dafür auch intensiver.
Sie können also gut loslassen?
Also bei meinem Amtsantritt war ich fast erschrocken über die fast 25 Jahre, die bis zur Emeritierung vor mir lagen. Andererseits hat mich diese Zeitspanne aber auch enorm beruhigt, da ich nicht alles schon in wenigen Jahren erreichen musste. Meine Freude an der Neurologie, am Umgang mit Patienten, mit Studenten und jungen und weniger jungen Mitarbeitern hat nicht nachgelassen und sogar zugenommen. Das liegt vielleicht auch am älter werden. Diese Dinge möchte ich nicht loslassen, sondern im Rahmen des Möglichen weiterbetreiben. Aber nach der langen Zeit als Direktor lege ich die Klinik-Leitung jetzt wirklich sehr gerne in die Hände von Stefan Kiechl, der für diese Position aus vielen Gründen hervorragend geeignet ist und manches vielleicht sogar besser machen wird als ich. Insofern kann ich gut loslassen.
Was wünschen Sie sich für Ihre Klinik?
Ich wünsche mir, dass das Klima des positiv miteinander Arbeitens weiter aufrecht bleibt, dass die Klinik für Neurologie ein attraktiver Ort für begabten ärztlichen und wissenschaftlichen Nachwuchs bleibt und noch viele Erfolge aus dieser Klinik hervorgehen werden – zum Ruhm der Innsbrucker Universitäts-Medizin, vor allem aber zum Wohl unserer neurologischen Patientinnen und Patienten.
Zur Person:
Werner Poewe wurde 1951 in Kettwig/Ruhr geboren. Nach dem Abitur am Theodor Heuss Gymnasium Kettwig studierte Poewe von 1970 bis 1973 Humanmedizin (Vorklinik) an der Philipps-Universität Marburg/Lahn, das er 1973 an der Medizinischen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck fortsetzte, wo er 1976 mit ausgezeichnetem Erfolg promovierte. Nach seiner Facharztausbildung in Neurologie, folgte ein 15-monatiger Forschungsaufenthalt am Department of Neurology am University College and Middlesex Hospital Medical School, London mit einem Fellowship des British Council. Von 1986 bis 1989 war Poewe Oberarzt an der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck, wo er sich 1987 zum Thema „Langzeitkomplikation der L-Dopa Therapie des M. Parkinson“ habilitierte. Drei Jahre später wurde er als Professor für Klinische Neurologie an die Abteilung für Neurologie am Universitätsklinikum Rudolf Virchow der FU Berlin (bis 1995 Kommissarischer Leiter) berufen, ehe er im Februar 1995 die Leitung der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Innsbruck übernahm. Zu seinen wissenschaftlichen Schwerpunktthemen Parkinson (Klinik, Therapie, Differentialdiagnose), Dystonie und anderen Basalganglienerkrankungen sowie Schlaf, Restless Legs Syndrom und Bewegungsstörungen hat Poewe mehr als 500 Forschungsarbeiten veröffentlicht und zahlreiche klinische Studien geleitet. Der anerkannte Neurowissenschafter, der zu den weltweit meist zitierten Wissenschaftern zählt, fungierte als Präsident mehrerer neurologischer Fachgesellschaften, ist Mit-Herausgeber und Gutachter für einschlägige Fachjournale und Träger renommierter Auszeichnungen. Werner Poewe ist verheiratet und Vater zweier Töchter.
(D. Heidegger)