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Interview: 50 Jahre Biostatistik in Innsbruck

Blindes Lernen mit kausalem Denken verbinden - Am 8. November 2019 feiert das Department für Medizinische Statistik, Informatik und Gesundheitsökonomie mit einem Symposium „50 Jahre Biostatistik in Innsbruck“. Aus diesem Anlass spricht Hanno Ulmer, Institutsleiter und Gründungspräsident der Österreichischen Gesellschaft für Epidemiologie (Foto), über fünf Jahrzehnte Biostatistik, Veränderungen und moderne Schwerpunkte dieses Fachgebiets.

 

Was war in den letzten 50 Jahren das Wichtigste im Bereich der Biostatistik?

Einschneidend war die Entwicklung der EDV. Die Einführung von PCs, um die Daten mittels Computer zu bearbeiten. Das hat das Fachgebiet enorm befeuert. Zuvor musste man jede Berechnung händisch durchführen – das ging nur mit kleinen Datensätzen. Heutzutage kann man große Datensätze – Stichwort Big Data – relativ effizient mit statistischer Software bearbeiten. Es gibt eine Vielzahl von Softwarepaketen, die sich entwickelt haben. Früher, Ende der 1960er Jahre ist die erste Statistik-Software aufgekommen. Programme wie SPSS wurden damals auf riesigen Computern, die ganze Räume eingenommen haben, betrieben. Heutzutage kann jeder mit einem Smartphone statistische Berechnungen durchführen.

Stichwort Big-Data: Wie haben sich die Datenmengen, die durch wissenschaftlichen Fortschritt produziert werden können, verändert?

Heutzutage werden an jeder Stelle Daten gesammelt. Wir leben im Informations- und Datenzeitalter. Statistisches Know-How ist mehr gefragt denn je, um diese Fülle an Daten auszuwerten. In der Medizin war die Einführung von kontrollierten, randomisierten klinischen Studien  entscheidend. Die Idee, dass man Arzneimittel in doppelblinden randomisierten Studien statistisch auf ihre Wirksamkeit überprüft, hat sich ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchgesetzt. Das ist das Eine. Das Andere ist, dass auch in der Medizin mittlerweile viele Routine-Daten gesammelt werden. In manchen Bereichen sogar Big Data wenn man z.B. an Gensequenzierungen oder Ähnliches denkt. Eigene Fachgebiete wie die Genetische Epidemiologie oder die Bioinformatik sind entstanden, um diese Daten statistisch auszuwerten. Was früher altbacken Biostatistik und Dokumentation genannt wurde ­ - unser alter Institutsname  -  nennt man heutzutage Data Science. Open Source Programme wie R und Python sind modern. In den USA ist der Data Scientist ein absoluter Trendberuf, der sehr gut bezahlt wird.

Wie wichtig ist es, die Daten zu interpretieren?

Das wird immer mehr zum Thema. Karl Pearson hat mit der Entwicklung von Methoden wie dem Korrelationskoeffizienten die moderne Statistik vor über 100 Jahren begründet. Mit dem Korrelationskoeffizienten kann man Zusammenhänge zwischen zwei Variablen quantifizieren. Hier hat man bald entdeckt, dass dieser Koeffizient ein gefährliches Instrument ist, da Scheinkorrelationen gefunden werden, die durch Drittvariablen erklärt werden können. Mit den großen Datenmengen kommt das Problem wieder sehr intensiv auf. Bei Big Data fehlt meist ein wissenschaftlicher, hypothesengeleiteter Ansatz. Die Gefahr ist groß, dass es zu Fehlschlüssen kommt. Das momentan hochaktuelle Fachgebiet der Causal Inference versucht Antworten zu geben, unter welchen Voraussetzungen statistische Korrelationen als kausal interpretiert werden können. Die klinische Studie, in der der störende Einfluss von Drittvariablen durch die Randomisierung eliminiert wird, ist ein Beispiel dafür. Neuere Methoden, wie das Propensity Score Matching oder das Target Trial Konzept, erlauben kausale Interpretationen auch in observationellen Studien. Kausale Inferenz, insbesondere die statistische Mediationsanalyse, gehört seit einigen Jahren zum Forschungsschwerpunkt unseres Instituts.

Welche konkreten Aufgaben kann man dem Institut zuordnen?

Neben der eigenen Forschungstätigkeit ist seit Institutsgründung auch die statistische Beratung eine der wichtigsten Aufgaben des Instituts. Wir werten Studiendaten aus, aber noch wichtiger aus meiner Sicht ist die Beratung in der Planungsphase einer Studie. Aspekte des Studiendesigns, wie etwa die Randomisierung oder die Fallzahlschätzung, gehören in professionelle Hände. Die Frage, „Wie viele PatientInnen werden in einer Studie benötigt um eine Fragestellung zu beantworten?“, ist bei weitem nicht das einzige biostatistische Problem, das bei der Studienplanung zu beantworten ist.  Auch hat die Statistik seit der Gründung der Ethikkommission in den 1980er Jahren dort einen fixen Platz. Die Statistik ist Garantin dafür, dass Studien nach wissenschaftlichen Kriterien durchgeführt werden und kann das Design und die Planung einer klinischen Studie beurteilen.

Statistik ist hier in Innsbruck im Studium Teil der Pflichtlehre.

Seit der Einführung unseres neuen Curriculums ist Statistik Pflichtlehre. Wir sind etwa in den Fächern Medizinische Wissenschaft und Evidence Based Medicine vertreten und bieten eigene Speziallehrveranstaltungen zur Unterstützung von DiplomandInnen und PhDs an.  Wenn man an eigenen wissenschaftlichen Studien arbeitet, ist die statistische Methodik besonders wichtig.

Die moderne medizinische Wissenschaft ist mittlerweile ohne Statistik nicht mehr denkbar. Es hat sich die letzten Jahrzehnte sehr viel getan. Während man vor 30 Jahren noch einen medizinischen Artikel mit relativ einfachen statistischen Methoden schreiben konnte, hat sich mittlerweile die Methodik wesentlich verändert und ist komplizierter geworden. Es ist mittlerweile Standard, dass hochrangige medizinische Fachzeitschriften eigene Statistik-Reviewer beschäftigen, die die Studiendesigns überprüfen. Üblich gewordene On-line Supplemente, die mittlerweile bis zu 100 Seiten stark sind, enthalten praktisch ausschließlich statistische Angaben in Tabellenform.   

Ein weiterer Punkt ist auch, dass Daten transparent zur Verfügung gestellt werden müssen um eine Replizierbarkeit zu gewährleisten. Umso wichtiger ist die saubere, umfangreiche statistische Planung einer Studie, die auch ein professionelles Datenmanagement miteinbezieht. 

Gibt es auch eigene Publikationen?

In den letzten Jahren hat sich die Epidemiologie von Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen zu einem unserer Schwerpunkte entwickelt. Es haben sich Konsortien gebildet, in denen Gesundheitsdaten über viele Länder hinweg gesammelt und aufbereitet werden, um dann beispielsweise Risikofaktoren für Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen zu evaluieren. Einer unserer Schwerpunkte sind dabei metabolische Risikofaktoren, wie Übergewicht, erhöhter Blutdruck, Cholesterin oder Blutzucker. In diesem Bereich haben wir in den letzten Jahren viele Publikationen, in internationaler Zusammenarbeit, in Spitzenjournalen veröffentlicht. Unser Institut ist überhaupt sehr stark international vernetzt – gerade in der Epidemiologie ist es mittlerweile notwendig, große Datensätze zu generieren. Das hat auch dazu geführt, dass wir 2014 die österreichische Gesellschaft für Epidemiologie gegründet haben.

Wie wird sich die Biostatistik weiter entwickeln?

Das Thema unseres Symposiums „50 Jahre Biostatistik in Innsbruck“ bei dem wir auch die Emeritierung unseres langjährigen Institutsvorstandes Karl Peter Pfeiffer feiern, zeigt, wie es vielleicht weitergehen könnte.  Mit Ben Van Calster haben wir einen internationalen Top Experten aus den Niederlanden gewonnen, der zum  Thema „Machine Learning in Medicine“ spricht. Machine Learning ist eigentlich Blindes Lernen, die Gefahr Zusammenhänge und Unterschiede zu entdecken, die nicht kausal sind, ist hier besonders groß. Das heißt, Blindes Lernen muss in irgendeiner Form mit kausalem Denken verbunden werden. Das ist für die Zukunft der Biostatistik eine der großen Herausforderungen und gehört zu den Themen, die wir besonders angehen werden.

Link: Department für Medizinische Statistik, Informatik und Gesundheitsökonomie

Das Gespräch führte David Bullock; Grafik: Katie Bates; Foto: David Bullock


Zur Geschichte des Instituts:

Der wachsenden Bedeutung statistischer Methoden in der medizinischen Forschung wird in Innsbruck bereits im Studienjahr 1968/69 Rechnung getragen. Als erste Einrichtung ihrer Art in Österreich errichtet die damalige Medizinische Fakultät der Universität Innsbruck das Institut für Biostatistik und Dokumentation. Zum ersten Vorstand wird Eugen Olbrich berufen, der bis 1983 in diesem Amt verbleibt. Schon vorher hält Olbrich ab dem Studienjahr 1957/58 die Vorlesung "Einführung in die medizinische Biostatistik". Diese frühe Zeit ist gekennzeichnet durch die wachsenden Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung in der medizinischen Statistik.

Zwei Jahre leitet Krista Sattler interimistisch das Institut, bis 1985 Albrecht Neiß zum neuen Vorstand bestellt wird. Er verantwortet die Einrichtung eines professionellen biometrischen Beratungsbetriebs für die Angehörigen der Medizinischen Fakultät sowie die Gründung des mittlerweile eigenständigen Krebsregisters Tirol. Das Fachgebiet der Medizinischen Informatik wird in Innsbruck etabliert, das Institut entwickelt medizinische Dokumentations- und Informationssysteme und bietet seither EDV-Beratung und Informatik Lehrveranstaltungen an. 1988 findet in Innsbruck die Fachtagung der renommierten International Society of Clinical Biostatistics (ISCB) statt.

In den Jahren 1993 bis 1994 leitet Markus Falk interimistisch das Institut. Der viel beachtete Artikel "Avalanche survival chances" wird in Nature veröffentlicht.

1994 wird Karl Peter Pfeiffer berufen und steht dem Institut bis 2009 vor. Pfeiffer baut den Schwerpunkt Medizinische Informatik konsequent aus und unterstützt die Einrichtung einer Informatik-Fakultät an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck sowie die Gründung der Tiroler Privatuniversität UMIT. Pfeiffer ist auch in die Entwicklung der österreichischen leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung (LKF) federführend eingebunden, ist Mitglied zahlreicher universitärer Kommissionen, nationaler Gremien und internationaler Fachgesellschaften. Darüber hinaus ist er maßgeblich an der Gründung des Kompetenzzentrums für klinische Studien (KKS) beteiligt und begleitet mit seiner Expertise die Einführung des Krankenhausinformationssystems (KIS) an den Universitätskliniken.

Mit der Gründung der Medizinischen Universität Innsbruck 2004 wurde das Institut für Biostatistik und Dokumentation zum Department für Medizinische Statistik, Informatik und Gesundheitsökonomie ausgebaut. Seit 2009 ist Hanno Ulmer interim. Leiter des Departments.

Wie Neiß und Pfeiffer war Ulmer Präsident der Region Österreich-Schweiz (ROeS) der International Biometric Society. Das traditionsreiche biostatistische Seminar wurde 1993 in Innsbruck, 2001 in Mayrhofen und 2013 in Dornbirn abgehalten. Ulmer ist zudem Gründungspräsident der Österreichischen Gesellschaft für Epidemiologie (OeGEpi). Die junge Fachgesellschaft wurde 2014 auf sein Betreiben hin gegründet.

Joachim Masser, Department für Medizinische Statistik, Informatik und Gesundheitsökonomie

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