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CMMRD-Syndrom: Wie häufig ist sehr selten?

Am Institut für Humangenetik beschäftigt sich die Forschungsgruppe von Katharina Wimmer mit dem sehr seltenen CMMRD-Syndrom. Diese genetische Krankheit führt dazu, dass Kinder mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bösartige Tumore entwickeln. Viele der PatientInnen zeigen auch Zeichen der wesentlich häufigeren NF1. Bisher gab es aber nur Schätzungen zur Häufigkeit von CMMRD als Differentialdiagnose zur NF1. Dabei ist diese Frage wichtig für die genetische Beratung und damit auch Frühdiagnose.

Ein Kind pro 2.500 bis 3.000 Geburten hat Neurofibromatose Typ 1, kurz NF1. Bei kleinen Kindern sind die ersten Hinweise auf NF1 meist mehr als fünf so genannte Café-au-lait-Flecken an der Haut. Die klinische Diagnose kann aber häufig erst später gestellt werden, wenn weitere Symptome, wie Neurofibrome, also meist gutartige Tumore an den Nerven(-enden), oder andere dazu kommen. Davor kann der Nachweis der genetischen Veränderung die Diagnose sichern. „Kann die Verdachtsdiagnose NF1 bei einem Kind genetisch nicht bestätigt werden, dann fangen wir an über eine andere Ursache für die Café-au-lait-Flecken nachzudenken“, sagt Katharina Wimmer. Sie ist Leiterin des Diagnostiklabors für erbliche Tumordisposition am Innsbrucker Institut für Humangenetik (Direktor: Johannes Zschocke) und Expertin für NF1-Diagnostik. Theoretisch ist es dann auch möglich, dass ein Kind ein sogenanntes CMMRD-Syndrom hat. CMMRD steht für „Konstitutive Mismatch-Reparatur Defizienz“. Die Betroffenen haben häufig Pigmentierungsveränderungen die an NF1 erinnern, vor allem haben sie aber ein hohes Risiko schon als Kind oder Jugendlicher verschiedenste bösartige Tumore zu entwickeln. Selbst wenn diese gut behandelt werden, bilden sich meist in der Folge weitere Malignome. Die Kinder werden daher ab Diagnosestellung sehr engmaschig gescreent, um vor allem Gehirntumore und Darmkrebs möglichst frühzeitig entdecken und behandeln zu können.

CMMRD: eine sehr seltene Differentialdiagnose der NF1

„Bisher gibt es weltweit nur 250 dokumentierte CMMRD-Fälle und die aller meisten davon wurden diagnostiziert nachdem sie den ersten Tumor entwickelten“, berichtet Katharina Wimmer. Die Humangenetikerin beschäftigt sich seit über zwölf Jahren intensiv mit CMMRD und gründete 2013 mit europäischen KollegInnen das Konsortium „Care for CMMRD“. Das Konsortium erarbeitete jüngst Kriterien wann ein gesundes Kind mit NF1-Zeichen aber ohne nachweisbare NF1-Genmutation auf CMMRD getestet werden sollte. Der Nachweis eines CMMRD-Syndroms würde es erlauben ein Kind noch vor dem Auftreten des ersten Tumors in ein Krebsfrüherkennungsprogramm aufzunehmen. „Aufgrund theoretischer Berechnungen sind wir davon ausgegangen, dass die Wahrscheinlich CMMRD zu haben bei diesen Kindern aber nur bei 0,39 Prozent liegt“, erklärt Wimmer. In Anbetracht dieses geringen Basisrisikos wurde vorgeschlagen nur Kinder mit einem höheren als diesem Basisrisiko auf CMMRD zu testen und dafür Kriterien erstellt. Damit soll sichergestellt werden, dass die Vorteile einer frühen Diagnosestellung die möglichen Nachteile einer CMMRD-Testung aufwiegen. Zur Evaluation dieser Kriterien und vor allem für die genetische Beratung wäre es aber sehr wichtig, verlässliche empirische Zahlen zur Häufigkeit dieser Differentialdiagnose von NF1 zu haben. Im Labor von Katharina Wimmer wurden daher anonymisierte DNA-Proben von über 700 Kindern mit genetisch nicht bestätigtem NF1-Verdacht auf CMMRD untersucht. Die Kooperation mit der Universität von Alabama in Birmingham (USA), an der wesentlich mehr Kinder mit Verdacht auf NF1 aber mit den gleichen hoch-sensitiven NF1-Mutationsanalyseverfahren wie in Innsbruck untersucht werden, erlaubte es auf eine so hohe Probenzahl zurückzugreifen. Mutationen in beiden Kopien (Allelen) eines der vier MMR-Gene (Mismatch-Reparatur-Gene) sind für das rezessive CMMRD-Syndrom verantwortlich. Fehlende Mismatch-Reparatur (MMR-Defizienz) aufgrund dieser Mutationen führt zu Krebs mit sogenannter MSI (Mikrosatelliten-Instabilität). Da die Mutationsanalyse aller vier MMR-Gene eine zu aufwändige Methode wäre, um über 700 Patienten auf CMMRD zu untersuchen, suchte Katharina Wimmer nach einem einfachen aber verlässlichen Schnelltest für CMMRD. An der Newcastle Universität in Großbritannien fand sie Kooperationspartner, die einen MSI-Test entwickelten hatten, der sensitiv genug erschien, um dieses Merkmal nicht nur in DNA aus Tumorgewebe sondern auch in DNA, die aus Blutzellen von CMMRD PatientInnen gewonnen wurde, nachzuweisen. Gemeinsam mit den Forschern aus Newcastle konnte dieser MSI-Test dann auch zu einem sehr sensitiven Schnelltest für CMMRD weiterentwickelt werden. Mit diesem Test wurden nun 735 Patientenproben in Innsbruck analysiert. Anschließend wurde bei allen Proben, die ein positives Resultat für CMMRD zeigten, eine Mutationsanalyse der MMR-Gene durchgeführt. So wurde schließlich bei dreien aller untersuchten Proben, d.h. bei 0,41 Prozent, das CMMRD-Syndrom festgestellt.

Wichtige Erkenntnis für genetische Beratung: Wahrscheinlichkeit liegt bei 0,4 Prozent

„Unsere theoretischen Berechnungen haben sich damit bestätigt und die Kriterien des Konsortiums beruhen auf richtigen Annahmen“ sagt Wimmer. Zwei der drei identifizierten CMMRD-PatientInnen aus der Studie hatten sogenannte „Gründer-Mutationen“. Bei Gründer-Mutationen handelt es sich um genetische Veränderungen, die in isolierten Populationen entstanden sind und sich in diesen stark verbreiten konnten. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Diagnose CMMRD die NF1-Zeichen bei einem Kind ohne NF1-Mutation erklärt, ist daher höher, wenn die Eltern aus Bevölkerungen, wie der isländischen oder der franco-kanadischen in Quebec, stammen, in denen es bekannte häufig vorkommende Gründer-Mutationen in einem der MMR-Gene gibt. Auch diese Erkenntnis der Studie, die vom FWF finanziert wurde und im renommierten US-amerikanischen „Genetics in Medicine“ Journal veröffentlicht wurde, sollte in die Entscheidung, ob eine CMMRD Testung angeboten und durchgeführt wird, einfließen. Sie ist also wichtig für die genetische Beratung der Eltern. Obwohl die Diagnose CMMRD bei einem Kind für die gesamte Familie belastend ist, verbindet Wimmer eine Diagnose noch vor dem Auftreten des ersten Tumors, mit der Hoffnung bösartige Tumoren früher zu erkennen und damit auch besser zu behandeln zu können.“ Nicht zuletzt dienen uns die nun vorliegenden Ergebnisse als Grundlage, anhand derer wir nun die im Konsortium erarbeiteten Kriterien auf Sensitivität überprüfen können“, fasst Katharina Wimmer zusammen. Sie und ihre KollegInnen, die sich weltweit für die Aufklärung über das CMMRD Syndrom einsetzen, sind also in ihren Bemühungen entscheidende Schritte weitergekommen.

Artikel:

AutorInnen: Juan A. Perez-Valencia*, Richard Gallon*, Yunjia Chen, Jakob Koch, Markus Keller, Klaus Oberhuber, Alicia Gomes, Johannes Zschocke, John Burn, Michael Jackson, Mauro Santibanez-Koref, Ludwine Messiaen, Katharina Wimmer§.

*equally contributing first authors, §corresponding author

Constitutional mismatch repair deficiency is the diagnosis in 0.41% of pathogenic NF1/SPRED1 variant negative children suspected of sporadic neurofibromatosis type 1

(B. Hoffmann-Ammann, 01.09.2020)

Weitere Informationen:

Humangenetik Innsbruck: Erbliche Tumordispositionen

Institut für Humangenetik

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