Wichtiges Covid-19-Forschungsprojekt startet in Tirol: Klinischer Verlauf und Langzeitfolgen in der Bevölkerung stehen im Fokus
Welche gesundheitlichen Langzeitfolgen hat eine Covid-19-Infektion? Um diese Frage zu beantworten, wurden bereits erste Forschungsprojekte gestartet. Meist werden in diese Studien PatientInnen nach einem Aufenthalt im Krankenhaus eingeschlossen. Ein interdisziplinäres Team an der Innsbrucker Universitätsklinik will jetzt mehr über das Spektrum der Symptome und den Verlauf der Erkrankung sowie über mögliche Langzeitfolgen in der Gesamtbevölkerung herausfinden.
Personen ab 16 Jahren, wohnhaft in Tirol, die in den vergangenen Monaten positiv auf SARS-Cov-2 getestet wurden, sind aufgerufen, an einer wissenschaftlichen Online-Umfrage teilzunehmen. Ziel ist es, mehr Informationen über den Krankheitsverlauf, Genesungsprozess und den Gesundheitsstatus nach einer abgelaufenen Covid-19-Infektion zu erfassen. Auch Betroffene, die keine Symptome hatten, aber mittels eines positiven PCR-Tests identifiziert oder bei denen Antikörper nachgewiesen wurden, werden ausdrücklich gebeten, an der Umfrage teilzunehmen. Rund 30 Minuten dauert das Ausfüllen des Online-Fragebogens, auf den Schutz der personenbezogenen Daten wird besonders geachtet. Die Auswertung erfolgt anonym und streng vertraulich.
Mehr Informationen: „Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben“
„Wir brauchen ein möglichst umfassendes Bild über die klinische Präsentation und den Verlauf von Covid-19-Infektionen in Tirol“, erklärt Infektions-Experte Günter Weiss. „Insgesamt sind der Ablauf der akuten Infektion, der Weg zur Diagnose und die Phase der Gesundung mit ihren vielfältigen Aspekten in der Tiroler Bevölkerung noch kaum untersucht. Wir müssen lernen, mit diesem Virus zu leben, daher ist es wichtig, jetzt mehr Informationen zu sammeln, um dadurch auch das künftige Management dieser Infektion zu verbessern.“ Der Direktor der Innsbrucker Univ.-Klinik für Innere Medizin II an der Medizinischen Universität Innsbruck hofft daher auf die Mithilfe der Tiroler Bevölkerung und eine rege Beteiligung.
Genesen heißt nicht immer gesund
„Auch wenn Patientinnen und Patienten behördlich als genesen gelten, bedeutet dies noch nicht, dass die Gesundheit wieder völlig hergestellt ist“, erklärt Judith Löffler-Ragg. Die leitende Oberärztin und Expertin für Lungenerkrankungen hat bereits viele PatientInnen nach einer Sars-Cov-2-Infektion mit stationärer Behandlung nachuntersucht. „Beschwerden wie beispielsweise Abgeschlagenheit, Kurzatmigkeit oder Husten können über Wochen bestehen bleiben.“ Immer wieder gibt es Fallberichte von einzelnen schweren Verläufen. So wird befürchtet, dass Erkrankungen wie Embolien oder ein Herzinfarkt auch Wochen nach einer leichten Infektion gehäuft auftreten könnten. „Durch diese Einzelberichte könnte es unter Umständen zu einer Verzerrung kommen, daher wollen wir ein möglichst umfassendes und systematisch erfasstes Gesamtbild aus der Bevölkerung erhalten.“ Löffler-Ragg hat daher mit einem interdisziplinären Team aus den Bereichen Infektiologie, Pneumologie, Innere Medizin, Neurologie, Allgemeinmedizin, Psychiatrie, Dermatologie, Pädiatrie und Rehabilitation das Projekt „Gesundheit nach Covid-19 in Tirol“ initiiert. ÄrztInnen der Landessanitätsdirektion, das Land Tirol und die Ärztekammer unterstützen das Vorhaben.
Neurologische Langzeitschäden? Fakten schaffen versus Vermutungen anstellen
Aus vielen wissenschaftlichen Berichten ist bekannt, dass neurologische Symptome während der COVID-19 Erkrankung auftreten können. Neben Kopfschmerzen und Muskelschmerzen wird auch von schwerwiegenden neurologischen Komplikationen, unter anderem Schlaganfällen und Gehirnentzündungen, bei schwer kranken PatientInnen berichtet. „Es gilt nun herauszufinden, ob diese Erkrankungen wirklich spezifisch für die Sars-Cov-2 Infektion sind und somit häufiger als bei anderen Virusinfektionen auftreten.“ Auffallend ist, dass bis zu 40 Prozent der Personen mit einer Covid-19-Infektion von Geruchs- und Geschmacksstörungen betroffen sind. „In dieser Umfrage wollen wir unter anderem wissen, ob dies in der Tiroler Bevölkerung auch so war und wie lange diese Beeinträchtigungen anhalten“, erklärt Raimund Helbok, Oberarzt an der Univ.-Klinik für Neurologie (Direktor: Stefan Kiechl), der aus seinem klinischen Alltag im Bereich der neurologischen Intensivmedizin auch viele schwere Verläufe kennt. „Die direkte Schädigung des Nervensystems durch das Virus dürfte zum Glück selten sein, mehr handelt es sich um die Auswirkungen von einer Entzündungs- und/oder Immunreaktion im Rahmen der Infektion.“ So wurden auch immunologisch bedingte Entzündungen des Nervensystems, wie das Guillain-Barré-Syndrom, bei COVID-19 PatientInnen beobachtet. „Wir wollen durch diese Umfrage nicht beunruhigen, sondern das Spektrum der Erkrankung genau untersuchen. Nur so wird es gelingen, auch die Häufigkeit von neurologischen Langzeitfolgen in der Tiroler Bevölkerung festzustellen.“ Mit diesen Ergebnissen soll mehr Klarheit über die Auswirkung der Covid-Infektion geschaffen werden, um den zum Teil kursierenden Vermutungen entgegengetreten zu können.
Hier geht’s zur Umfrage: http://covid19-tirol.at
(30.09.2020, B. Hoffmann-Ammann)