Parkinson: Sturzprophylaxe durch Blutdruck-Überwachung?
Der Alltag von Menschen mit Parkinson wird oft von Stürzen und damit einhergehenden Verletzungen beeinträchtigt. In zahlreichen Studien wird die klassische orthostatische Hypotonie (spontaner Blutdruckabfall) mit der erhöhten Sturzgefahr in Zusammenhang gebracht. In einer neuen retrospektiven Untersuchung lenken ForscherInnen der Univ.-Klinik für Neurologie den Fokus nun auch auf die transiente, also vorübergehende orthostatische Hypotonie.
In Österreich leben derzeit rund 30.000 Menschen mit einem Parkinson-Syndrom, rund 2.000 davon in Tirol. Die langsam fortschreitende Erkrankung des zentralen Nervensystems führt zur Störung der Bewegungsabläufe, oft auch zu Depressionen und kann bislang nur symptomatisch behandelt werden. Zu den zentralen Symptomen zählen allgemeine Bewegungsarmut, Muskelsteifheit, Ruhe-Zittern sowie Gang- und Gleichgewichtsstörungen, die sich im weiteren Verlauf verstärken.
Die klassische orthostatische Hypotonie (OH), die im Zuge der Mitbeteiligung des autonomen Nervensystems bei Parkinson auftritt, führt in vielen Fällen zu Ohnmacht und Stürzen und präsentiert sich als Abfall des systolischen Blutdrucks um mindestens 20 mmHg oder des diastolischen Blutdrucks um mindestens 10 mmHg im Stehen innerhalb von drei Minuten nach dem Aufstehen im Vergleich zu den Ruhewerten im Liegen. Fällt der Blutdruck beim Aufstehen dramatisch ab und normalisiert sich dann innerhalb nur einer Minute wieder, spricht man von der transienten, also vorübergehenden orthostatischen Hypotonie – eine Form von Kreislaufstörung, die auch bei jungen, gesunden Menschen vorkommt und nach den neuesten Erkenntnissen aus dem Kipptisch-Labor der Univ.-Klinik für Neurologie (Direktor: Stefan Kiechl) auch bei ParkinsonpatientInnen zum Sturzgeschehen beiträgt.
Frühe Dysregulation als Sturzprädiktor
In einer rezenten, im Fachjournal Neurology publizierten Studie haben die NeurobiologInnen Gregor Wenning und Alessandra Fanciulli – beide forschen an der Univ.-Klinik für Neurologie (Direktor: Stefan Kiechl) bereits seit vielen Jahren zu Parkinson und MSA (Multisystematrophie) – den Fokus von der klassischen OH auf die transiente Form gelegt. „Die Stärke unserer Studie ist ihre große Fallzahl. Wir sind ein Parkinsonzentrum, in dem sehr viele Patienten behandelt werden, Dokumentation und Datenlage sind dementsprechend gut“, so Gregor Wenning. Die Daten, die seit 2007 bei Routine-Untersuchungen im Kipptisch-Labor gesammelt wurden, waren es auch, die nun die retrospektive Untersuchung von 173 ParkinsonpatientInnen sowie einer gleich großen Kontrollgruppe möglich machten. „Die transiente orthostatische Hypotonie ist mit der Blutdruckmanschette nicht messbar. Im Kipptisch-Labor werden mittels Manschette um den Finger die Herzfrequenz und den Blutdruck kontinuierlich gemessen und zwar genau in dem Moment, wenn die Probandin oder der Proband vom Liegen aufsteht, also im Rahmen der ersten Minute“, erklärt Alessandra Fanciulli. Die retrospektive Analyse dieser Daten ergab nun, dass die transiente OH etwa gleich häufig vorkommt wie die klassische OH. Hier lässt sich also ein Zusammenhang mit der Neurodegeneration der autonomen Nervenfasern, wie sie bei Parkinson Patienten auftritt, vermuten.
Eine Kontrolle dieser spontanen Blutdruckfälle sei bei der klassischen wie auch bei der vorübergehenden OH sinnvoll und können dazu beitragen, Stürze zu verhindern. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass jene therapeutischen Maßnahmen, die bei klassischer orthostatischer Hypotonie angewendet wurden, auch bei vorübergehender orthostatischer Hypotonie im Sinne einer Sturzprophylaxe wirksam sind", so Fanciulli.
Hintergrundinformation
Im Kipptisch-Labor der Univ.-Klinik für Neurologie liegt der Fokus auf kardiovaskulärer Dysautonomie, also Kreislaufstörungen, wie spontane Blutdruckabfälle und plötzlich einsetzende, kurz andauernde Bewusstlosigkeit (Synkopen), die durch Fehlfunktionen im autonomen Nervensystem entstehen. Mit ihrer Expertise konnte Alessandra Fanciulli bereits an den Europäischen Synkopen-Leitlinien und gemeinsam mit Gregor Wenning auch an der bislang fehlenden Definition von „Hypertonie im Liegen“ mitarbeiten.
(12.10.2020, Text und Foto: D. Heidegger)
Links:
Association of transient orthostatic hypotension with falls and syncope in patients with Parkinson’s disease. Neurology, September 16, 2020.