Welt-Schlaganfalltag am 29.10: „Der Schlaganfall ist eine seltene Folge der neuen Corona-Infektion“
Schwere Verläufe einer Infektion mit dem neuen Corona-Virus haben vor allem auf die Lunge große Auswirkungen. Doch auch Nerven und Gefäße können betroffen sein. Der Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns hat sich als häufiges neurologisches COVID-19 Symptom bestätigt. Ob SARS-CoV-2 auch das Auftreten von Schlaganfällen begünstigt, haben wir den ausgewiesenen Atherosklerose-Experten und Direktor der Innsbrucker Univ.-Klinik für Neurologie, Stefan Kiechl, gefragt.
Rund 25.000 ÖsterreicherInnen erleiden pro Jahr einen Schlaganfall. Mit der älter werdenden Gesellschaft geht auch ein Anstieg der Schlaganfallhäufigkeit einher. Die Mortalitätsrate ist dank optimierter Akutversorgung in speziellen Schlaganfalleinheiten wie der Stroke Unit in Innsbruck erheblich gesunken. Der international anerkannte Epidemiologe und Schlaganfall-Experte Stefan Kiechl, der die Innsbrucker Univ.-Klinik für Neurologie leitet und das Gefäßforschungszentrum VASCage am Standort etabliert hat, konnte erst kürzlich den hohen Stellenwert einer intensivierten Schlaganfall-Nachsorge für die Genesung der PatientInnen belegen. Ob Atherosklerose-PatientInnen in der aktuellen Pandemie einem besonderen Risiko ausgesetzt sind und ob die Versorgung von Schlaganfall-PatientInnen unter den geltenden Vorsichtsmaßnahmen gesichert ist, beantwortet Stefan Kiechl in diesem Interview.
Herr Kiechl, es gibt Hinweise, dass Grippeviren Schlaganfälle auslösen können. Trifft das auch auf das neue Coronavirus zu?
Ja, wobei dieser Zusammenhang für alle Bakterien und Viren in unterschiedlichem Ausmaß besteht. Für Influenzaviren ist dieser Effekt sehr gut belegt. Umgekehrt hat die Influenzaimpfung sogar die Wirkung, kardiovaskuläre Ereignisse zu verhindern und wird deshalb von den internationalen Fachgesellschaften auch empfohlen, vor allem, wenn man bereits einen Schlaganfall erlitten hat, aber auch zur Primärprävention. Inzwischen wissen wir, dass das neue SARS-Virus eine höhere Potenz hat, Schlaganfälle auszulösen, als das Grippevirus, wenngleich die absoluten Zahlen gering sind. Daten aus New York belegen, dass 1,6 Prozent aller COVID-19 PatientInnen, die aufgrund schwererer Verläufe ins Krankenhaus mussten, einen Schlaganfall erleiden.
Haben Atherosklerose-PatientInnen grundsätzlich ein erhöhtes Risiko für einen schweren Infektionsverlauf?
Definitiv, dazu gibt es gute Daten aus China und USA: Atherosklerose- und Schlaganfall- PatientInnen, die an COVID-19 erkranken, haben etwa doppelt so häufig einen schweren Verlauf wie gefäßgesunde Menschen. Hier spielen zwei Mechanismen eine zentrale Rolle: Einerseits macht das Virus Entzündung im Blut und diese Entzündung aktiviert und schädigt die Gefäßinnenhaut; andererseits aktiviert das Virus die Blutplättchen und die Gerinnungssysteme im Körper, sodass sich Blutgerinnsel bilden. Beide Effekte können in der Folge zu Organschäden und Schlaganfall führen. PatientInnen, die bereits früher einen Schlaganfall erlitten hatten, haben ein höheres Risiko für systemische Entzündung und Gerinnselbildung.
Menschen mit erhöhtem Atherosklerose- und Schlaganfallrisiko werden in der Regel mit Blutdruck- und Blutfettsenkern behandelt. Diese Medikamente stehen jedoch im Verdacht, den Verlauf von COVID-19 ungünstig zu beeinflussen. Was raten Sie Betroffenen?
Mittlerweile gibt es erste randomisiert kontrollierte Studien, die keinen ungünstigen Effekt von blutdrucksenkenden Therapeutika, insbesondere ACE-Hemmer, belegen konnten. Doch hier braucht es weitere Studien. Medikamenten wie Aspirin und Cholesterinsenkern (Statine) wird für den Infektionsverlauf sogar ein günstiger Effekt zugeschrieben, da sie direkt in den Pathomechanismus eingreifen; so kann etwa Aspirin der vermehrten Plättchenaktivierung und Gerinnselbildung durch Coronaviren entgegenwirken. Bei Statinen, die grundsätzlich auch entzündungshemmend wirken, wird angenommen, dass sie über Veränderungen des Cholesterins in der Zellmembran die Vermehrung des Virus hemmen. Für SchlaganfallpatientInnen ist es deshalb wichtig, all diese Medikamente weiter einzunehmen, auch im Fall einer Corona-Infektion.
Welche Auswirkungen hätte es, wenn Menschen mit Schlaganfallsymptomen aus Angst vor einer Ansteckung nicht zum Arzt oder ins Krankenhaus kommen?
Die Thrombolyse und Thrombektomie (Kathederbehandlung), also die Standard-Akuttherapien, sind sehr effektiv. Erfolgt diese Behandlung nicht, kann dies zu schweren und dauerhaften Behinderungen führen. Wir wissen aus China, dass landesweit bis zu 50 Prozent der SchlaganfallpatientInnen während des Lockdowns keine Standardbehandlung erhalten haben. Dadurch ist ein größerer Schaden entstanden, als durch COVID-19. Auch in Europa hat es Einschränkungen gegeben, etwa in Italien, wo viele Stroke Units in Intensivstationen für COVID-19 PatientInnen umgewandelt wurden, sodass SchlaganfallpatientInnen dort nicht mehr betreut werden konnten. Erste Daten aus unserem Bundesministerium besagen, dass die Anzahl der an Stroke Units behandelten SchlaganfallpatientInnen in Österreich während des Lockdowns nicht zurückgegangen ist. Wenn sich diese Daten in einer genauen Aufarbeitung bestätigen, würde das bedeuten, dass das Schlaganfallversorgungssystem in Österreich – das als eines der besten in Europa gilt – auch in der Krise prinzipiell gut funktioniert hat und das Bewusstsein für Schlaganfallsymptome bei den ÖsterreicherInnen fest verankert ist. Wie sich die Schlaganfallsituation in den vergangenen Monaten landesweit im Detail entwickelt hat, werden wir in einer bereits beantragten Studie untersuchen.
Was raten Sie PatientInnen mit einem ausgewiesenen Risiko-Profil für die kommende Wintersaison?
Verschriebene Medikamente weiter nehmen, Grippeimpfung machen, auf Bewegung und gesunde Ernährung schauen, Vorsorge wahrnehmen und bei Schlaganfallsymptomen sofort die Rettung rufen. Keine Angst vor dem Arztbesuch und dem Krankenhaus – es hat sich herausgestellt, dass das Infektionsrisiko in Krankenhäusern sehr gering ist.
(27.10.2020, Text: D. Heidegger, Bilder: AdobeStock, MUI/Vandory)
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