Atypische Parkinsonsyndrome: Mobilitätsgewinn durch Physiotherapie
Atypische Parkinson-Syndrome wie die Multisystematrophie (MSA) und die Progressive Supranukleäre Blickparese (PSP) sind neben autonomen Funktionsstörungen auch durch motorische Symptome gekennzeichnet. Ein neues internationales FWF-Projekt unter der Leitung des Neurobiologen Gregor Wenning soll den positiven Effekt einer spezifischen Physiotherapie auf motorischer Defizite bei MSA und PSP belegen, um Mobilität und Lebensqualität zu verbessern.
„Mobilität in atypischen Parkinson-Syndromen“ heißt ein neues internationales, im Rahmen des DACH Lead Agency Verfahrens finanziertes FWF-Projekt, das als randomisierte kontrollierte Multi-Center-Studie mit Beteiligung des Universitätsspitals und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne, sowie der Friedrich-Alexander Universität und des Universitätsklinikums Erlangen, koordiniert von der Medizinischen Universität Innsbruck, über die Bühne gehen soll. Die Finanzierung konnte dank eines erfolgreichen Antrages von Cecilia Raccagni – damals als Neurologin in Innsbruck, inzwischen wieder in Bozen tätig – gesichert werden. Auch die Abteilung für Neurologie Bozen (Chefarzt Francesco Teatini) wird in das Projekt involviert.
BU: Projektkoordinator Gregor Wenning mit Projektmitarbeiterin Victoria Sidoroff.
BU: Das Projektteam Bozen mit Cecilia Raccagni in der Mitte.
Gebündelte Expertise und Pilotstudie
Die Therapiemöglichkeiten für die neurodegenerativen Erkrankungen MSA und PSP sind limitiert und nur symptomatisch wirksam. Das rasche Fortschreiten dieser atypischen Parkinsonsyndrome führt zu erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen und letztlich zum Verlust der Selbständigkeit. „Diese Patientinnen und Patienten haben ein besonders schlechtes Gehvermögen und zeigen eine große Fallneigung. In der klinischen Praxis sehen wir, dass Physiotherapie hier Unterstützung bieten kann und MSA-Patient*innen davon profitieren. Weil es dazu an Daten aus Wirksamkeitsstudien fehlt, gibt es bislang keine Physiotherapie-Guidelines, wie sie etwa für das Parkinsonsyndrom bereits existieren“, weiß MSA-Experte Gregor Wenning, der an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Neurologie bereits seit vielen Jahren zu atypischen Parkinsonsyndromen forscht. Die Federführung der Innsbrucker Neurobiologie bei diesem internationalen Forschungsprojekt basiert auf der langjährigen klinischen und experimentellen Expertise am Standort, die sich nicht zuletzt durch die Initiierung der europäischen MSA-Studiengruppe (EMSA-SG), die Etablierung eines transgenen Mausmodells oder die Einrichtung eines der ersten Kipptischlabore Österreichs auszeichnet. Die Kooperationspartner in Lausanne (David Benninger, Kamiar Aminian) und Erlangen (Jochen Klucken, Björn Eskofier) nehmen hingegen bei der Entwicklung von Systemen zur Bewegungsanalyse und dem sensorbasierten Gangmonitoring eine Vorreiterrolle ein. Eine Pilotstudie zur Rolle der Physiotherapie bei MSA, die im Ganganalyse-Labor (Motion Analysis and Measurement Unit - MAMU) unter der Leitung der Neurologin Cecilia Raccagni – inzwischen im DACH-Team Bozen – in Innsbruck durchgeführt wurde, war es auch, die den Weg zur Realisierung des neuen Forschungsvorhabens geebnet hat. Die Ergebnisse dieser Vorläuferstudie belegen, dass sich die Gangleistung von PatientInnen mit MSA schon nach kurzer Physiotherapie verbessert. „Nun können wir diese Ergebnisse unter doppelblinden Bedingungen und unter Einschluss weiterer PatientInnen aus unserer Kohorte und den Ambulanzen unserer Kooperationspartner in Lausanne und Erlangen wiederholen“, berichtet Projektmitarbeiterin und PhD-Studentin Victoria Sidoroff.
Sensor-basierte Ganganalyse veranschaulicht physiotherapeutisches Potenzial
Mit Unterstützung der leitenden und auf Gangstörungen spezialisierten Physiotherapeutin an der Univ.-Klinik für Neurologie, Gudrun Schönherr, wurde schließlich eine spezifische physiotherapeutische sowie eine Kontroll-Intervention entwickelt. Sensoren im Schuh der PatientInnen liefern dabei klinisch messbare Parameter zur Analyse und Beurteilung der Gangqualität, sodass ein eigenes Protokoll für MSA generiert werden kann. „Die Patientinnen und Patienten werden über zwei Monate beobachtet. In der ersten Woche tragen sie zu Hause einen Sensor im Schuh, der eine ganztägige Aufzeichnung der Aktivität liefert, ehe in der zweiten Woche mit der gezielten Physiotherapie begonnen wird, die dann zwei Wochen lang mit den TherapeutInnen durchgeführt und im Anschluss fünf Wochen lang zu Hause weitergeführt wird. In der achten Woche wird die häuslich Therapie noch einmal mit dem Sensor kontrolliert, ehe Nachkontrolle und finale Visite erfolgen“, erzählt Studienleiter Wenning, der in Innsbruck 20 MSA-, 20 PSP- und zehn ParkinsonpatientInnen in die Untersuchung einschließen kann.
Auf Basis der Sensortechnologie und der spezifischen physiotherapeutischen Intervention soll die Multicenter-Studie erstmals ein verwertbares Feedback zur Wirksamkeit von Physiotherapie für Menschen mit atypischen Parkinsonsyndromen liefern und damit deren Mobilität und Lebensqualität entscheidend verbessern.
(03.12.2020, Text: D. Heidegger, Fotos: AdobeStock-Robert Kneschke, D.Bullock, privat)
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