Erstmalig beschrieben: Was macht mitochondriale DNA im Zellkern?
Ein Team um Alexander Hüttenhofer gelang die erstmalige Beschreibung einer Funktion von mitochondrialer DNA im Zellkern: Die ForscherInnen zeigten, dass bestimmte RNA-Gene die Boten-RNA (mRNA) mit Splicing, einem wichtigen Schritt der Weiterverarbeitung der Ribonukleinsäure (RNA), regulieren. Die Vorgänge sind Schatten aus den Ursprüngen der Evolution. Veröffentlicht im renommierten Fachjournal Genome Biology.
Nach der sogenannten Endosymbionten-Theorie entstanden eukaryotische Zellen mit Kern, dazu zählen auch humane Zellen, aus einer Vorläuferzelle, die sich durch Aufnahme von Bakterien zu den heutigen Mitochondrien entwickelte. Das heißt, dass sich Mitochondrien aus eigenständigen prokaryotischen Lebewesen, also Lebewesen ohne Zellkern, entwickelt haben. Im Zuge des Evolutionsprozesses sind diese Einzeller eine Symbiose mit einer anderen Zelle, einer Wirtszelle, eingegangen. Dies wird z.B. dadurch belegt, dass Mitochondrien und Bakterien, was Transkription und Translation von Genen anbelangt, ähnlicher zu Bakterien als zum entsprechenden nukleären Genom der Zelle sind. Mitochondrien haben dabei von ihrem bakteriellen Vorläufer ein eigenes minimales mitochondriales Genom behalten, welches für bestimmte Proteine der Atmungskette zur ATP-Synthase, einem Enzymkomplex in der inneren Mitochondrienmembran sowie 22 Transfer-RNAs (tRNA) und ribosomalen RNAs verantwortlich ist. Das entspricht jedoch nur ca. 1 Prozent der Proteine, die für die Funktion der Mitochondrien benötigt werden. Die Gene für die restlichen 99 Prozent der mitochondrialen Proteine wurden offensichtlich im Laufe der Evolution über die mitochondriale DNA in das Kerngenom „ausgelagert“ und werden daher im Kern transkribiert, im Zytoplasma in Proteine translatiert und anschließend in Mitochondrien mit Hilfe sogenannter Signalsequenzen importiert.
Publizierte Studie
Interessanterweise ist diese in den Tiefen der Evolution festgesetzten „Auslagerung“ von bakterieller/mitochondrialer DNA in den Zellkern heute immer noch sichtbar. So findet sich sogenannte numtDNA (=nuklear mitochondrial DNA) im Zellkern von humanen Zellen und anderen Eukaryoten, die eine Duplikation großer Teile der mitochondrialen DNA im Kerngenom darstellt. Bisher war aber nicht bekannt, ob und welche Funktionen diese mitochondrialen Gensequenzen im Kerngenom der Zelle haben.
Die mitochondrialen Genom-Duplikationen enthalten dabei nicht nur Proteingene der Atmungskette, sondern auch mitochondriale tRNA Homologe. Diese wurden ursprünglich aufgrund ihrer großen Ähnlichkeit zu mitochondrialen tRNAs als mitochondriale tRNA-„Lookalikes“ bezeichnet. In der Studie, die nun von der Arbeitsgruppe um Alexander Hüttenhofer, Leiter des Instituts für Genomik und RNomik, im renommierten Fachjournal Genome Biology veröffentlicht wurde, wurden über 700 Gene für diese tRNA Lookalikes im humanen Genom identifiziert. Die Lokalisation dieser mitochondrialen tRNA Lookalike Gene wurde dabei entweder in intergenen Bereichen, d.h. zwischen Proteingenen, oder in intronischen Sequenzen von Genen beobachtet; für letztere wurde daher von der Arbeitsgruppe der Begriff nimtRNAs geprägt (d.h.: nuclear intronic mitochondrial-derived tRNAs). Auffallend war dabei, dass diese nimtRNAs eine sehr hohe Konservierung ihrer tRNA Sekundärstruktur (der sogenannten Kleeblattstruktur) aufwiesen, was auf eine evolutionär konservierte Funktion hindeutete.
Der Nachweis
Der Erstautor der Studie, PhD Student Simon Hoser aus der Arbeitsgruppe, konnte nun zusammen mit Kollaborationspartnern innerhalb des Innsbrucker Biozentrums (Institut für Klinische Biochemie: Herbert Lindner, Leopold Kremser; Institut für Molekularbiologie: Matthias Misslinger; Institut für Pathophysiologie: Stephan Geley) und außerhalb eine Funktion für diese nimtRNAs in Introns von Kerngenen nachweisen. Er konnte dabei zeigen, dass die Anwesenheit der Intron-lokalisierten nimtRNAs das Herausspleißen des entsprechenden Introns in der prä-mRNA stimulierten, was abhängig von der Zahl der nimtRNA Gene war, welche im Intron inseriert waren: Mehr nimtRNAs führten dabei zu einer entsprechenden Steigerung des Spleißens. Auch konnte Simon Hoser nachweisen, dass über das Vorhandensein der nimtRNAs ein sogenanntes alternatives Spleißen von Kern-Genen reguliert werden konnte.
Erstmalig
Die vorliegende Studie in Genome Biology hat damit nicht nur zum ersten Mal eine biologische Funktion von ursprünglich aus dem Mitochondriengenom stammenden DNA Sequenzen im humanen Kerngenom gezeigt, sondern gleichzeitig auch erstmals einen genetischen Mechanismus aufgedeckt, wie mitochondriale tRNA Gene, welche im Mitochondrium an der Proteinsynthese beteiligt sind im Laufe der Evolution im Kerngenom in eine völlig neue Funktion, d.h. in der Regulierung des Spleißens von prä-mRNAs „adaptiert“ wurden. Die vorliegende Studie zeigt damit auch, dass in der Evolution von Genomen oftmals nicht Gene völlig „neu“ erfunden werden, sondern dass sich Genome bereits bekannter Gene bedienen und diese aber dann in eine neue Funktion umwandeln können, wie im Falle der nimtRNAs jetzt beschrieben.
Das Innsbrucker Team:
Institut für Genomik und RNomink: Maximilian Gamper, Simon M. Hoser (Erstautor – im Bild rechts), Alexander Hüttenhofer (Korrespondierender Autor – im Bild links), Andreas Meindl, Melanie Ploner
Institut für Molekularbiologie: Matthias Misslinger
Institut für Klinische Biochemie: Leopold Kremser, Herbert Lindner
Institut für Pathophysiologie: Stephan Geley
Titelseite von Genome Biology, Ausgabe 8. Dezember 2020
Links:
Institut für Genomik und RNomik
(Alexander Hüttenhofer; Mitarbeit und Foto: D. Bullock)