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Denkfalten im Zellkern

„Beim Denken faltet sich der Zellkern von Nervenzellen ein, um die für das Denken notwendige Organisationsstruktur im Zellkern zu verwenden“, sagt Georg Dechant, Direktor der Gemeinsamen Einrichtung für Neurowissenschaften an der Medizinischen Universität Innsbruck. Gemeinsam mit seinem Team hat er diesen Mechanismus entdeckt, der zum besseren Verständnis der molekularen Grundlagen kognitiver Leistungen beiträgt.

Das menschliche Gehirn besteht aus rund 100 Milliarden Nervenzellen, die schon bei der Geburt angelegt werden und ein Leben lang ihre Funktionen ausüben müssen. „Ebenso lange muss der Zellkern seine Aufgabe erfüllen“, sagt Georg Dechant, Direktor der Gemeinsamen Einrichtung für Neurowissenschaften an der Medizinischen Universität Innsbruck. Galt lange Zeit den Synapsen, Dendriten und Axonen das Hauptaugenmerk neurowissenschaftlicher Forschung, rückt nun auch dieser „unbesungene Held der Neurowissenschaft“, so Dechant, in den Fokus wissenschaftlicher Arbeiten. „Was im Zellkern passiert, wird von den Synapsen bestimmt. Was der Zellkern daraus macht, bestimmt wiederum die Synapsen“, verdeutlicht Dechant. Eine komplexe Angelegenheit bei über 100.000 Synapsen, die eine einzige Nervenzelle ausbilden kann. Dechant verwendet daher für den Zellkern das Bild einer „bestens ausgestatteten Werkstatt mit rund 18.000 Genen als Werkzeugen“. Damit diese Werkstatt ein Leben lang durchgehend arbeiten kann, bedarf es einer perfekten Organisation, um das passende Werkzeug in dem Moment, in dem es gebraucht wird, schnell zur Hand zu haben und anschließend wieder wegzupacken. „Dafür benötigt es spezielle Mechanismen, die wahrscheinlich nervenzell-spezifisch sind“, sagt Dechant. Einen solchen Mechanismus hat der Forscher nun gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Galina Apostolova und in Zusammenarbeit mit ZellbiologInnen der Medizinischen Universität Innsbruck um David Teis und BiochemikerInnen der Universität Innsbruck um Eduard Stefan entdeckt.

Wechselwirkung zweier Proteine

Die Innsbrucker ForscherInnen untersuchten dabei im Mausmodell die Wechselwirkung zwischen den zwei Proteinen SATB2 und LEMD2. Als Transkriptionsfaktor bindet Special AT-rich sequence binding protein 2, kurz SATB2, an die Erbsubstanz DNA und bestimmt deren Auffaltung im Zellkern. Exprimiert wird SATB2 im Gehirn vor allem im Hippocampus und in der Großhirnrinde, dort wo Gedächtnis gebildet oder abgespeichert wird. Dechant und Apostolova konnten in einigen früheren Arbeiten zeigen, dass SATB2 in Zusammenhang mit Gedächtnisbildung, menschlicher Intelligenz und Schizophrenie steht. Dazu wurden – in Kooperation mit HumangenetikerInnen der Universität Galway in Irland –verschiedene Gruppen menschlicher Individuen in genomweiten Assoziationsstudien untersucht. LEM domain-containing protein 2 (LEMD2) wiederum ist ein Protein der inneren Zellkernmembran. Die neue Innsbrucker Studie zeigt nun, dass von LEMD2-regulierte Gene ebenfalls eine Rolle bei kognitiven Fähigkeiten und Schizophrenie spielen. Wie das Zusammenspiel genau funktioniert, publizierten die WissenschafterInnen im Dezember 2020 im renommierten Fachmagazin The EMBO Journal.

Einfalten des Zellkerns

„Man kann sich LEMD2 als eine Art Haken vorstellen, der an der inneren Zellkernmembran angebracht ist“, sagt Dechant. Nach einer starken synaptischen Aktivität kommt es zur Wechselwirkung zwischen SATB2 und LEMD2. „SATB2 wird gemeinsam mit DNA an dem Haken LEMD2 aufgehängt.“ Der Haken löst sich dabei nicht von der Zellkernmembran, sondern wird in Richtung Zellkerninneres gezogen – und dabei faltet sich der Zellkern ein. Ein essenzieller Vorgang im Zusammenhang mit der Regulierung sogenannter IEGs (Immediate early genes). „IEGs haben wichtige Funktionen nach besonders starker Aktivität von Nervenzellen, etwa beim Denken oder bei Gedächtnisbildung“, erklärt Dechant: „Unsere Studie zeigt, dass sich bei solchen kognitiven Vorgängen der Zellkern einfaltet, wohl um die für das korrekte Ablesen von Genen notwendige Organisationsstruktur im Zellkern zu verwenden.“ In der Studie konnte sein Team zeigen, dass insbesondere die Regulation von IEGs nicht korrekt stattfindet, wenn die Aufhängung von Genen an der Wand des Zellkerns nicht funktioniert. „Wir haben sowohl SATB2 als auch LEMD2 eliminiert, in beiden Fällen konnten IEGs nicht wie normal reguliert werden.“

Die grundlegende Forschungsarbeit trägt dazu bei, die höheren Gehirnfunktionen besser zu verstehen. „Unsere Erkenntnisse sind auch wichtig für die Molekulare Psychiatrie“, betont Dechant. Viele psychische Krankheiten seien in ihrer „molekularen Ursächlichkeit“ noch nicht verstanden, bei Genomstudien zu diesen Erkrankungen stoße man aber immer wieder unvermutet auf „Gene wie das SATB2-Gen“. „Je besser wir die Gehirnfunktionen und die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen verstehen, desto präziser können wir nach neuen psychiatrischen Therapien suchen. Dabei müssen wir den Blick auf die ganze Zelle, speziell auch auf den Zellkern richten“, schließt Dechant.

(18.12.2020, Text: A. Hauser, Bilder: Georg Dechant, Gemeinsame Einrichtung für Neurowissenschaften)

Links:

SATB2‐LEMD2 interaction links nuclear shape plasticity to regulation of cognition‐related genes
Patrick Feurle et al, EMBO J (2020)e103701

Gemeinsame Einrichtung für Neurowissenschaften

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