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Krebs und COVID-19: „Definitive Impfempfehlung!“

Menschen mit Krebs haben aufgrund ihrer Erkrankung oder ihrer Tumortherapie ein geschwächtes Immunsystem und tragen deshalb ein hohes Risiko, schwer an COVID-19 zu erkranken. Wie es KrebspatientInnen in der Pandemie ergangen ist und ob die neuen COVID-19-Schutzimpfungen auch bei Krebs wirksam und sicher sind, haben wir kurz vor dem Weltkrebstag am 4. Februar unsere Experten Dominik Wolf und Christian Marth gefragt.

Unsere Experten im Interview zum Weltkrebstag:

Dominik Wolf ist Direktor der Univ.-Klinik für Innere Medizin V (Schwerpunkte: Hämatologie und Onkologie) und ausgewiesener Experte auf den Gebieten Immunonkologie, Myeloische Neoplasien und Stammzell-Transplantation.

Christian Marth ist Direktor der Univ.-Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Sprecher des Comprehensive Cancer Centers Innsbruck (CCCI) und forscht seit vielen Jahren zur Therapie von gynäkologischen Tumoren.

Im ersten Lockdown wurden aufgrund nicht wahrgenommener Vorsorgeuntersuchungen weniger Krebsdiagnosen gestellt. Hat sich diese Entwicklung fortgesetzt?

Marth: Während des ersten Lockdown verzeichneten wir eine 50%ige Reduktion bei den Neudiagnosen, das hat sich dann über den Sommer wieder normalisiert, jetzt im dritten Lockdown gibt es etwa 20 Prozent weniger Diagnosen, wobei im April vergangenen Jahres ja auch die Mobilität stark eingeschränkt war und die medizinische Infrastruktur zum Teil nicht zur Verfügung stand. Auch die Angst vor Ansteckung im Krankenhaus spielte wohl eine Rolle, wobei das absolut unbegründet ist, denn Hygiene ist Teil des Klinikalltags. Ich appelliere daher, Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen in jedem Fall wahrzunehmen, denn eine verspätete Diagnose bedeutet meist auch eine schlechtere Prognose. Eine frühe Diagnose ist vor allem bei Karzinomen ohne eindeutige Symptome, wie etwa dem mit einer hohen Mortalität verbundenen Eierstockkrebs, essentiell.

Gab es unter den KrebspatientInnen auch Fälle, die an COVID-19 erkrankten und auch schwere Verläufe hatten?

Marth: Patientinnen und Patienten, die unter einer Krebstherapie stehen, haben etwa ein doppelt so hohes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf, wobei man hier nach Krebsart und Therapie differenzieren muss, wie das Dominik Wolf bestätigen wird. Unter den Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren hatten wir nur sehr wenige COVID-19-Erkrankte bzw. gar keinen schweren Verlauf. Wir wissen, dass Krebspatientinnen und -patienten grundsätzlich gut über Infektionsgefahren aufgeklärt sind und sich sehr vorsichtig verhalten.

Wolf: Wir haben zum Verhalten der Krebspatientinnen und -patienten und wie es ihnen in der ersten Welle der Pandemie erging eine Studie gemacht und waren überrascht, wie resilient sie schon im Frühjahr mit der Situation umgegangen sind. Zu ihrer Grundeinstellung, sich gegenüber der Umwelt und damit auch gegen Infektionen schützen zu wollen, gesellte sich bei vielen auch die Haltung: „Jetzt hab ich schon Krebs, was kann mich da noch umhauen?“ In dieser Lebensqualitätsstudie, die wir gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Innsbrucker Psychiatrie II und der Strahlentherapie durchgeführt haben, können wir auch sehen, dass der in der Regel gut über seine Krankheit informierte Krebspatient die Pandemie-Situation weniger bedrohlich empfand. Bei uns an der Klinik gab es neben Fällen im Pflegebereich und der Ärzteschaft auch mehrere Patienten, die sich im häuslichen Umfeld infiziert haben und dann an COVID-19 erkrankten. Die meisten haben die Infektion auch gut überstanden und wir erfassen diese Patienten in einem gemeinsamen österreichischen Register mit Univ.-Prof. Preusser am AKH Wien und auch in europäischen Registern der European Hematology Association (EHA), um mehr über die Verläufe in großen Patientenkohorten zu lernen.

KrebspatientInnen zählen aufgrund ihres geschwächten Immunsystems zur Hochrisikogruppe. Gibt es Unterschiede in den Infektionsverläufen?

Wolf: Grundsätzlich richtet sich das Risiko eines schweren Verlaufs nach dem Grad der Immunsuppression durch die jeweilige Therapie, angefangen von der lokalen Strahlentherapie bei einem Lymphom bis hin zur allogenen Stammzelltherapie, die am stärksten immunsuppressiv wirkt, wodurch die Patienten höchst vulnerabel sind. Es gibt auch einen großen Unterschied zwischen hämatologischen Krebsformen – dazu zählen Lymphome, die Chronisch lymphatische Leukämie (CLL) und Myelome – und soliden Tumoren. Hämatologische Patientinnen und Patienten haben ein erheblich erhöhtes Sterberisiko, weil ihre Erkrankung selbst schon aus den Immunzellen kommt und die Therapien deshalb stark immunsupprimierend, sprich gegen B- und T-Zellen gerichtet, sind. Aber auch onkologische Patientinnen und Patienten unter Therapie oder mit fortgeschrittenen Erkrankungen haben ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe. Dank gutem Management und der ausgezeichneten Zusammenarbeit von Hämato-Onkologen und Infektiologen konnten wir das aber gut meistern. Unter den wenigen tödlichen Verläufen waren vor allem ältere hämatologische Patienten mit Begleiterkrankungen. Wir haben in dieser Zeit auch etwas sehr Spannendes gelernt: Medikamente, die wir in der Inneren Medizin und Onkologie einsetzen, zeigen auch bei schweren COVID-19-Verläufen ihre Wirkung. Neben sogenannten JAK-Inhibitoren sind das etwa das Leukämie-Medikament Ibrutinib oder das bei rheumatologischen Erkrankungen eingesetzte Tozilizumab.

Derzeit sind in Europa zwei mRNA-Vakzine zugelassen. Ist die COVID-19-Impfung für KrebspatientInnen zu empfehlen?

Marth: Wir sprechen eine definitive Impfempfehlung aus! Patientinnen und Patienten unter Tumortherapie sind Hochrisikopatienten, die schon in der ersten Phase berücksichtigt werden müssen. Zwar könnte es unter Umständen zu einer schwächeren Immunantwort kommen, durch eine Impf-Wiederholung könnte man aber die Wirkung verstärken. Idealerweise sollte noch vor Beginn der Therapie oder wenige Monate nach Therapieabschluss geimpft werden. Weil Krebspatienten nicht in den Zulassungsstudien eingeschlossen waren, ist es natürlich notwendig, die Impfwirkungen und -nebenwirkungen zu dokumentieren. Diese Daten werden auch von der Europäischen Gesellschaft für medizinische Onkologie erfasst. Wir favorisieren für Krebspatienten mRNA-Vakzine.

Wolf: mRNA-Impfstoffe sind ja in der Onkologie eine höchst innovative und vielversprechende Therapieform, die sich derzeit in klinischer Entwicklung befinden. Das von Christoph Huber* mitbegründete Unternehmen BioNTech ist führend in diesem Feld und entwickelt schon seit vielen Jahre sehr erfolgreich mRNA-Wirkstoffe für die individualisierte Krebstherapie. Es ist eine Jahrhundert-Pionierleistung dieser Menschen, dieses Know-how so schnell in die Impfstoffentwicklung gegen SARS-CoV-2 zu übertragen. Neben all den negativen Nachrichten, den Todesmeldungen und den Folgen für unsere Gesellschaft und die Wirtschaft, hat die Pandemie uns daher auch gezeigt, wie zentral und bedeutend biomedizinische Forschung ist.

 

*Anm.: Der gebürtige Tiroler Christoph Huber, führender Wissenschafter in den Bereichen Immunologie von Tumoren, Gentherapie bösartiger Erkrankungen und der Stammzellbiologie und Stammzelltransplantation, war nach seinem Medizin-Studium in Innsbruck und mehreren Forschungsaufenthalten in Schweden und den USA u.a. Leiter der Knochenmarktransplantationseinheit in Innsbruck und Direktor der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.

(01.02.2021, Interview: D. Heidegger, Foto: Ilja Vietor/Kristian Pfaller))

Links:

Univ.-Klinik für Innere Medizin V (Schwerpunkt: Hämatologie und Internistische Onkologie)

Univ.-Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe

 

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