Dogma bestätigt: Nur Mütter vererben mitochondriale DNA
Die rein mütterliche Vererbung der mitochondrialen DNA (mtDNA) beim Menschen ist ein wissenschaftliches Dogma, das in der Vergangenheit immer wieder in Frage gestellt worden ist. Walther Parson vom Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck hat gemeinsam mit Sabine Lutz-Bonengel von der Rechtsmedizin in Freiburg (D) nun gezeigt, wie sogenannte Mega-NUMTs, also nukleare Anteile der mtDNA, zu irreführenden Ergebnissen geführt haben.
Die mitochondriale DNA (mtDNA) wird in mütterlicher Vererbung ohne Einfluss der väterlichen mtDNA weitergegeben. So lautet ein wissenschaftliches Dogma, das allerdings schon in mehreren wissenschaftlichen Arbeiten hinterfragt wurde. Gerade aber für die Gerichtsmedizin ist es wichtig, dass diese Annahme zweifelsfrei richtig ist. „Wenn es bestätigte Beweise gäbe, dass auch Väter mitochondriale DNA vererben können, dann hätte das Auswirkungen für die Interpretation von mitochondrialer DNA in der Forensik“, erklärt der Biologe Walther Parson vom Institut für Gerichtliche Medizin (Direktor: Richard Scheithauer) der Medizinischen Universität Innsbruck. Zuletzt war eine prominent publizierte Studie aus dem Jahr 2018 an Personen, die unter mitochondrialen Erkrankungen litten, zu dem Schluss gekommen, dass nicht nur Mütter, sondern auch Väter an der Vererbung der mitochondrialen DNA beteiligt wären. Schon kurz nach dem Erscheinen des Papers hatte Walther Parson gemeinsam mit seiner Freiburger (D) Kollegin Sabine Lutz-Bonengel Zweifel angemeldet und mögliche Fehlerquellen aufgeführt.
Weitreichende Konsequenzen: mtDNA-Analyse in Haarschäften bringt Sicherheit
Nun haben Sabine Lutz-Bonengel und Walter Parson die Ergebnisse einer interdisziplinären Studie veröffentlicht, in der sie aufzeigen, dass nukleäre Anteile der mtDNA, sogenannte NUMTs (Nuclear MiTochondrial DNA elements), ein irreführendes Ergebnis erzeugt haben. Die Ergebnisse der neuen Studie haben weitreichende Konsequenzen. „Der NUMT Anteil wird als Mischung mit der authentischen mitochondrialen DNA beobachtet und kann somit väterliche Vererbung vortäuschen“, erklärt Parson. In der von Innsbruck, Freiburg und 12 weiteren internationalen Instituten durchgeführten wissenschaftlichen Kooperationsarbeit gelang nun der experimentelle Nachweis der Existenz von sogenannten Mega-NUMTs. Dabei handelt es sich um repetitive Insertionen von vollen Mitogenom-Sequenzen in der Kern-DNA. Diese Mega-NUMTs fanden sich in acht von elf Proben der über die mütterliche Linie miteinander verwandten, gesunden Mitgliedern der untersuchten Familie. Die Insertion wies ca. 50 Sequenzwiederholungen (also insgesamt ca. 820.000 Basenpaare) auf. „Diese Arbeit dokumentiert zum ersten Mal den physischen Beweis von Mega-NUMTs im experimentellen Verfahren und bietet eine plausiblere Erklärung der Ergebnisse von vergangenen Studien, die eine väterliche Vererbung der mtDNA postulierten“, erklärt Parson. „Obwohl Mega-NUMTs, so wie auch mitochondriale Erkrankungen, selten in der Bevölkerung zu sein scheinen, können sie mtDNA Analysen verfälschen und zu irreführenden Befunden in der medizinischen Genetik und Diagnostik führen.“ Die AutorInnen der innovativen Forschungsarbeit bieten allerdings eine einfache Screening-Variante an, die damit zur einer sichereren Befundung beiträgt. Sie schlagen eine Untersuchung von mtDNA in Haarschäften, die in aller Regel keine hochmolekulare Kern-DNA enthalten, vor. „Dadurch kann die Präsenz von Mega-NUMTs im Verdachtsfall einfach und schnell bewiesen werden“, weiß Parson.
Publikation: Lutz-Bonengel S et al (2021), Evidence for multi-copy Mega-NUMTs in the human genome, Nucleic Acids Research (Nucleic Acids Research)
(W. Parson, B. Hoffmann-Ammann, 12.03.2021)
Weitere Informationen:
Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck
Weitere Informationen zum Thema:
https://www.spektrum.de/news/maennliche-mitochondrien-schreiben-lehrbuecher-um/1610296
https://www.the-scientist.com/news-opinion/fathers-can-pass-mitochondrial-dna-to-children-65165