„Die Risikofreude beim Skifahren solidarisch hintanstellen“
An der Univ.-Klinik für Orthopädie und Traumatologie der Medizinischen Universität Innsbruck herrscht immer Hochbetrieb. Doch wie zeigt sich die Situation inmitten des Lockdowns? Klinik-Direktor Rohit Arora spricht im Experteninterview über gesperrte Operationssäle, verschobene Eingriffe und darüber, wie FreizeitsportlerInnen dabei helfen können, die Klinik zu entlasten.
ExpertInneninterview zur Öffnung der Pisten:
Der Lockdown wurde verhängt, um die Kliniken zu entlasten. Die Skigebiete durften aber öffnen. Bemerken Sie Auswirkungen an der Klinik?
Rohit Arora: Sobald die Skilifte aufmachen, merken wir das an der Klinik. Das haben wir bereits im vergangenen Jahr erlebt. Insgesamt hatten wir im Jahr 2020 aber deutlich weniger Skiverletzungen, weil weniger TouristInnen im Land waren. Ganz genau hatten wir um 48 Prozent weniger Skiverletzte zu versorgen als 2019. Allerdings verzeichneten wir auch um 38 Prozent mehr Rodelunfälle, vor allem mit Unterschenkel-, Sprunggelenks- und vielen Schnittverletzungen. Wir hatten leider auch PatientenInnen mit Querschnittslähmungen. 2020 stieg die Anzahl der verletzten TourengeherInnen. Die Lifte waren erst ab dem 24. Dezember offen, da haben viele Menschen mit dem Tourengehen angefangen.
Wie zeigt sich die Corona-Situation momentan in Ihrer Klinik?
Arora: Normalerweise haben wir acht Voll-Operationssäle und zwei tagesklinische OPs. Von diesen acht Voll-OPs sind mittlerweile drei gesperrt. Die Überlegung dahinter ist, dass das Pflegepersonal auf anderen Stationen gebraucht wird. Bei uns führt das dazu, dass wir geplante Eingriffe verschieben müssen. Notfälle können wir natürlich versorgen und wir schauen darauf, dass wir PatientInnen, die enorme Schmerzen haben oder deren OPs schon einmal verschoben werden mussten, trotzdem operieren können. Unser Kriterium ist, ob eine Patientin oder ein Patient nach einem geplanten Eingriff womöglich einen Intensivplatz braucht oder nicht. Wir brauchen außerdem ein gewisses freies Kontingent, denn wir können nicht vorhersehen, wann z.B. ein Verkehrsunfall passiert und Schwerstverletzte bei uns eingeliefert werden.
Was können SportlerInnen beitragen, um die Klinik zu entlasten?
Arora: Ich verstehe, dass die Menschen hinaus möchten – und niemand will sich verletzen. Gleichzeitig wissen wir aber, dass die meisten Skiunfälle selbstverschuldet sind. Das hängt mit dem Verhaltensprofil von RisikosportlerInnen zusammen. Schwerstverletzte kommen selten von der Piste, die Unfälle mit Wirbelsäulen- und Kopfverletzungen passieren fast alle im Gelände. Es wäre gut, wenn diese Menschen aktuell ihre Risikofreude beim Sporteln im Sinne der Solidarität hintanstellen würden. Skifahren ja, aber kontrolliert und mit weniger Risikofreude!
Welche konkreten Vorsichtsmaßnahmen empfehlen Sie den WintersportlerInnen?
Arora: SkisportlerInnen sollten Rücksicht auf ihren Trainingszustand nehmen und diesen auch an die äußeren Verhältnisse anpassen. Wir haben untersucht, dass die meisten Unfälle zu Mittag und am späten Nachmittag passieren.
Die Konzentrationsfähigkeit sinkt, die Müdigkeit steigt. Viele wollen ihre Tageskarte ausnutzen und bis zur letzten Liftfahrt fahren. Besser wäre es, wenn man es nach drei, vier Stunden gut sein lässt. Generell gilt, dass die Ausrüstung regelmäßig überprüft werden soll. Das ist im Lockdown gar nicht so einfach und wir haben immer wieder PatientInnen, die ihre Skibindung zuletzt vor zwei Jahren einstellen ließen. Zwar sind die Skihütten jetzt geschlossen, viele haben aber selber Alkohol dabei. Das endet nicht immer gut, zumal die Leute draußen auch schnell unterkühlen.
Gibt es Menschen, denen Sie derzeit vom Skifahren eher abraten würden?
Arora: PatientInnen, die eine Prothese haben, möchte ich unbedingt ans Herz legen, nur dann Skifahren zu gehen, wenn sie sich sehr sicher fühlen und eisige Pisten zu meiden. Bei Frakturen mit implantierten Prothesen, ist der Blutverlust größer und eventuell muss eine lockere Prothese ausgetauscht werden, die Operation dauert daher länger. Diese Betroffenen müssen anschließend häufiger auf der Intensivstation versorgt werden.
Ist der fehlende Helm noch ein Thema?
Arora: Nein. Mittlerweile tragen alle einen Helm, beim Skifahren und beim Rodeln. Das hat sich toll durchgesetzt und die Schädel-Hirn-Traumata sind drastisch gesunken. Die häufigsten Verletzungen beim Skifahren sind Knieverletzungen, Bandrupturen, Unterschenkel-, Sprunggelenks-, Schulter-, und erst dann Kopfverletzungen. Wir haben auch jedes Jahr viele Wirbelsäulenverletzungen.
Würde hier ein Rückenprotektor schützen?
Arora: Beim Rodeln und in der Half-Pipe ist es durchaus sinnvoll, einen Protektor zu tragen. Bei den RodlerInnen haben wir aber gesehen: Bei denjenigen, die Protektoren haben, sitzen sie selten richtig, sie sind zu klein oder zu groß und rutschen. Wenn man einen Protektor benutzt, dann muss er passen. Viele sitzen auch einer falschen Sicherheitsvorstellung auf und glauben, dass ihnen mit Protektor nichts mehr passieren kann. Das stimmt nicht. Gerade beim Skifahren kann es trotz Protektor zu Kompressionsverletzungen in der Wirbelsäule kommen, weil die Kraftübertragung bei Stürzen aus der Höhe von den Beinen ausgeht. Wir haben es auch immer wieder mit Sollbruchstellen, die zwischen Helm und Protektorrand liegen, zu tun. Außerdem: Beim Skifahren fällt kaum jemand auf den Rücken, sondern eher auf die Seite. Ein Hobby-Skifahrer profitiert weniger vom Protektor.
Gibt es neue Entwicklungen im Bereich der Sportforschung an Ihrer Klinik?
Arora: Wir möchten die Forschung hierzu künftig forcieren. Geplant ist ein Projekt mit einer Mechatronik-Skibindung. Dafür werden Sensoren in den Skischuh eingelegt, welche die gesamte Kniebewegung und die Reaktionszeit registrieren. Diese Sensoren sind mit der Bindung verbunden. Damit kann man virtuell Skiunfälle simulieren und die Bindung so einstellen, dass sie bei bestimmten Bewegungen früher aufspringt. Wir erhoffen uns dadurch Erkenntnisse zur Prävention. Viele Handverletzungen, Unterschenkelfrakturen und so genannte Skischuhrandbrüche entstehen durch Rotation, weil die Bindung nicht rechtzeitig aufgeht.
Steckbrief: Rohit Arora hat bereits sein Medizinstudium in Innsbruck absolviert. Er ist Facharzt für Unfallchirurgie, Orthopädie sowie Traumatologie und hat sich in seiner Laufbahn vor allem auf die Hand- und Ellbogenchirurgie spezialisiert. Seit Oktober 2020 ist er Direktor der Univ.-Klinik für Orthopädie und Traumatologie, wobei er die Unfallchirurgie bereits seit März 2019 interimistisch geleitet hat.
(06.12.2021, das Gespräch führte Theresa Mair, Videointerview: David Bullock, Titelbild: AdobeStock)