Neurodegeneration im Schlaf mit Artificial Intelligence frühzeitig entdecken
Die Detektion einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung kann entscheidend für ein frühes Eingreifen in neurodegenerative Prozesse sein, welche auf lange Sicht in einen Mb. Parkinson, Demenz mit Lewy Körperchen oder selten auch in MSA münden können. Birgit Högl von der Univ.-Klinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Innsbruck leitet mit Matteo Cesari das europäische Projekt BRAVA. Ausgestattet mit einer EU-Förderung von ca.1,2 Mio. Euro entwickeln sie eine innovative Technologie.
Die isolierte REM-Schlaf-Verhaltensstörung* (RBD) gilt als sehr früher Vorbote von Alpha-Synucleinopathien wie Morbus Parkinson, Multisystematrophie (MSA) oder Demenz mit Lewy-Körpern (DLB). Die Schlafforschungsgruppe um Birgit Högl von der Univ.-Klinik für Neurologie (Direktor: Stefan Kiechl) an der Medizinischen Universität Innsbruck widmet sich seit rund 20 Jahren der Erforschung von Bewegungen im Schlaf im allgemeinen und RBD im Besonderen, und hat mit ihrer Expertise in diesem Bereich internationale Anerkennung erworben. Eine hochdotierte #ERA PerMed Förderung ermöglicht es den Innsbrucker WissenschafterInnen nun, mit dem Projekt „Behaviours in REM sleep: personalised Automatic 3D Video Analysis as novel tool to detect alphasynucleinopathies“ (BRAVA) einen Meilenstein in der frühen und zuverlässigen Diagnose der REM-Schlaf-Verhaltensstörung zu setzen.
Unter der Federführung von Birgit Högl und dem Biomedizinischem Ingenieur Matteo Cesari arbeiten in BRAVA SchlafforscherInnen der herausragendsten Zentren Europas – in Barcelona, Bologna, Innsbruck, Kassel und Paris - an der Entwicklung eines innovativen Tools, das unter Einbeziehung von Künstlicher Intelligenz die Detektion der REM-Schlaf-Verhaltensstörung immens erleichtern soll. Das Austrian Institute of Technology (AIT) ist als Technik-Consultant ebenfalls mit an Bord.
„Das Projekt baut auf unsere Erfahrung bezüglich der REM-Schlaf-Verhaltensstörung, die Erfahrung der Projektpartner und ein neues Tool zur Erkennung von motorischen Störungen mittels 3D Video mit Time-of-Flight-Measurement“, erklärt Högl. Dabei handle es sich um ein neuartiges Verfahren zur Erkennung und Vermessung von Bewegungen im Schlaf, welches in der BRAVA-Studie erstmals außerhalb Österreichs bei REM-Schlaf-Verhaltensstörung eingesetzt und verfeinert werden soll. „Das Ziel ist, dass das Verfahren künftig als @home-Tool diagnostisch benutzt werden kann“, schildert Cesari.
Im Zuge des BRAVA-Projekt werden die SchlafmedizinerInnen aller beteiligten Zentren den Schlaf von insgesamt ca 300 ProbandInnen (davon rund 100 mit diagnostizierter REM-Schlaf-Verhaltensstörung) mittels Polysomnografie und 3D Video überwachen. Jede einzelne noch so kleine Zuckung, die im Video aufgezeichnet wird, wird händisch markiert. Eine Mammutaufgabe, die in Anbetracht der mindestens 1000 Bewegungen pro Betroffenem pro Nacht, enorm zeitaufwändig ist. Hier kommen Artificial Intelligence und Machine Learning ins Spiel: Anhand der manuellen Markierungen soll die Sofware für die 3D Kamera zusehends lernen, Bewegungssignale zu erkennen und diese selbst zu diskriminieren. „Die Kamera soll zum Schluss nicht nur zwischen gesund und krank unterscheiden können, sondern auch zwischen RBD und anderen motorischen Schlafstörungen. Sie soll nicht nur bei gesunden 20-Jährigen funktionieren, sondern auch in komplexen klinischen Situationen bei multimorbiden Patientinnen und Patienten“, erläutert Högl die anspruchsvollen Ziele.
Möglicherweise sei es daher mit nur einem Algorithmus nicht getan. „Wir hatten lange Zeit den Eindruck, dass Frauen weniger betroffen sind als Männer, wahrscheinlich sind ihre Bewegungen im Schlaf aber nur weniger stark ausgeprägt. Wir wollen uns auch die Gender-Komponente anschauen und herausfinden, wie sich Schlafbewegungen von Männern und Frauen unterscheiden. Um das getrennt auswerten zu können, brauchen wir vielleicht einen zweiten Algorithmus“, so die Schlafexpertin.
Der offizielle Startschuss für BRAVA fällt am 1. April 2022. Dann wird auch mit der Rekrutierung von ProbandInnen begonnen. Gesucht werden dafür PatientInnen mit einer – mittels Polysomnografie im Schlaflabor – gesicherten Diagnose sowie gesunde ProbandInnen.
#ERA PerMed ist ein hochkompetitives Forschungsförderungsprogramm für personalisierte Medizin im Rahmen der Horizon2020-Initiative der Europäischen Kommission. Als eines von 22 Forschungsvorhaben unter 217 Anträgen wird das Projekt „BRAVA – Behaviours in REM sleep: personalised automatic 3D video analysis as novel tool to detect alphasynucleinopathies“ in den kommenden drei Jahren mit ca. 1,2 Mio. Euro gefördert. Davon werden rund 300.000 Euro über den FWF ausgeschüttet und gehen nach Innsbruck.
*REM-Schlaf-Verhaltensstörung:
Menschen, die von REM-Schlaf-Verhaltensstörung betroffen sind, haben sehr lebhafte Träume, meist mit negativem Inhalt. Im Gegensatz zu Menschen mit gesundem Traumschlaf sind die Muskeln von Betroffenen im Traum nicht gelähmt, d.h. sie bewegen sich zu den Träumen, schlagen mitunter um sich, was ein beträchtliches Verletzungsrisiko für die PatientInnen und deren PartnerInnen birgt. ExpertInnen schätzen, dass 1 bis 1,5 Prozent der Bevölkerung – den Hauptteil machen Männer ab 50 Jahren aus – von einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung betroffen sind. Von einer hohen Dunkelziffer ist auszugehen, zumal für eine exakte Diagnose eine Video-Polysomnografie im Schlaflabor erforderlich ist. Über 80 Prozent der PatientInnen entwickeln im Laufe der Zeit eine Alpha-Synucleinopathie.
(Innsbruck, am 18.3.2022, Text: T. Mair, Foto: D. Bullock, Grafik: Schlaflabor, Univ.-Klinik für Neurologie)
Steckbriefe:
Birgit Högl leitet seit 1999 das Schlaflabor an der Univ.-Klinik für Neurologie (Direktor: Stefan Kiechl). Die Neurologin ist eine weltweit anerkannte Expertin für verschiedenste Schlafstörungen, wie das Restless-Legs-Syndrom (RLS) oder die REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD). 2019 wurde Högl zur Präsidentin der Welt-Schlaf-Gesellschaft (World Sleep Society) ernannt, der sie bis März 2022 vorsteht. Zuvor war sie bereits zweimal Präsidentin der Österreichischen Schlafgesellschaft, Präsidentin der EURLSSG (European Restless Legs Syndrome Study Group), und hatte bzw hat zahlreiche weitere Vorstandspositionen in internationalen Fachgesellschaften.
Matteo Cesari ist biomedizinischer Ingenieur und forscht seit 2019 als Postoc im Schlaflabor der Univ.-Klinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Innsbruck zu Schlafuntersuchungen mithilfe von Artificial Intelligence und Machine Learning. Während seines PhD an der Technical University of Denmark entwickelte der gebürtige Italiener neue Methoden zur Identifikation von PatientInnen mit REM-Schlaf-Verhaltensstörung.
Forschungsarbeiten:
Das Forschungsteam des Schlaflabors der Neurologie hat bisher bereits mehr als 300 Publikationen zum Thema veröffentlicht, z.B.
CESARI, Matteo et. al.: Automatic 3D Video Analysis of Upper and Lower Body Movements to Identify Isolated REM Sleep Behavior Disorder: A Pilot Study. In: Annu. Int. Conf. IEEE Eng. Med. Biol. Soc, Nov. 2021, DOI: 10.1109/EMBC46164.2021.9630011; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34892726/
WASER, Markus et. al.: Automated 3D video analysis of lower limb movements during REM sleep: a new diagnostic tool for isolated REM sleep behavior disorder. In: Sleep, Nov. 2000, DOI: 10.1093/sleep/zsaa100, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32573731/
Weitere Links:
Schlaflabor, Univ.-Klinik für Neurologie
Projektbeschreibung FWF