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sauerstoffbindung

Patent eröffnet neue Forschungswege

Der Physiologe Thomas Haller betrachtet sich als Bricoleur, als Bastler im besten Sinne. Zusammen mit dem jungen Anästhesisten Simon Woyke und dem Biologen Norbert Mair baute er in den hauseigenen Werkstätten ein Gerät, das einem ganzen Forschungsbereich neues Leben einhauchen könnte: Das Trio hat eine Methode entwickelt, um die Sauerstoffbindungskurve effektiv zu messen.

Die Sauerstoffbindungskurve gibt Aufschluss darüber, wie gut das Hämoglobin den über die Lungen aufgenommenen Sauerstoff im Blut bindet und wie schnell bzw. langsam es diesen wieder an das Gewebe abgibt. Dies wiederum lässt Rückschlüsse auf die körperliche Leistungsfähigkeit zu. Denn: Für eine optimale Gewebefunktion ist eine ausreichende Sauerstoffversorgung notwendig. Mit der Information der Sauerstoffbindungskurve könnten viele offene Forschungsfragen beantwortet werden. Doch bisher fehlte es an Methoden, um sie zuverlässig und effizient zu messen.

Dies führte dazu, dass die in den 1970er und 1980er Jahren rege Forschungstätigkeit auf diesem Gebiet zusehends verebbte. Simon Woyke, Thomas Haller und Norbert Mair von der Medizinischen Universität Innsbruck wollten das ändern. „Die Sauerstoffbindungskurve kennt man seit 1905. Sie ist eines der wichtigsten, aber auch eines der am meisten vernachlässigten Themen in der Medizin. Wir wissen zu wenig darüber, wie man die Aufnahme von Sauerstoff in Hämoglobin sowie die Sauerstoffversorgung in Geweben beeinflussen kann und über die Konsequenzen“, sagt Haller, der am Institut für Physiologie die Forschungsgruppe zur „Physiologie von Lungenzellen“ leitet. Mehrere Jahre lang haben Simon Woyke und Thomas Haller getüftelt, gebastelt und verfeinert, bis die ersten Prototypen endlich funktionierten: „Das Ziel war es, mit den im Labor vorhandenen Geräten und Materialien zu arbeiten. So konnten wir relativ kostengünstig eine Methode entwickeln, die nun auch von anderen Forschungsgruppen nachgebaut oder als Add-On etabliert und verwendet werden kann“, erklärt Woyke. Im Oktober 2021 meldeten die Med Uni Innsbruck (75 %) und die Eurac Research in Bozen (25 %), wo Woyke am Institut für Alpine Notfallmedizin bei Hermann Brugger ein Jahr seines PhD-Studiums absolvierte, die Erfindung zum weltweiten Patentverfahren an. Das Ziel der Wissenschafter: Sie möchten die Erforschung der Sauerstoffbindungskurve revitalisieren und ForscherInnen – innerhalb und außerhalb von Med Uni und den Universitätskliniken – motivieren, die Möglichkeiten ihres Geräts und der Methode für experimentelle Studien zu nutzen.

BU: Simon Woyke, Norbert Mair und Thomas Haller (v.l.n.r.) haben gemeinsam ein Gerät entwickelt, mit dem sich die Sauerstoffbindungskurve erstmals effizient messen lässt.

Alles begann im Jahr 2014 mit einer Höhenphysiologie Vorlesung, die Simon Woyke, damals noch Student, bei Thomas Haller vom Institut für Physiologie (Direktorin: Michaela Kress) besuchte. 2017 kam Woyke, der mittlerweile als Assistenzarzt an der Univ.-Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin (Direktorin: Barbara Sinner) tätig ist, auf Haller mit seinem Forschungsvorhaben zu. Er wollte dem so genannten Triple-H Syndrom (Hypoxie, Hyperkapnie, Hypothermie), das im Rahmen einer Lawinenverschüttung auftreten kann, auf den Grund gehen. Eine wichtige Rolle beim Auftreten von Triple-H dürfte die Sauerstoffbindungskurve spielen. Da das einzige bis dahin verfügbare Messgerät aber erstens sehr teuer, und zweitens, aufgrund seines geringen Durchsatzes von wenigen Proben pro Tag für Screenings und groß angelegte Studien ungeeignet erschien, machten er und Haller sich nach einem ausführlichen Literaturstudium daran, ihr eigenes Gerät zu bauen. Wertvolle Unterstützung erhielten sie dabei von den hauseigenen Werkstätten des Instituts für Physiologie, mit Martin Streicher, der die Feinmechanikwerkstatt leitet und Mario Hirsch, dem Chef der Elektronikwerkstatt. Die verwendeten Materialien sind so unkonventionell wie einfach und reichen von high-tech Materialien bis hin zu Rohren, die an der benachbarten Baustelle des Lehr- und Lerngebäudes in der Fritz-Pregl-Straße 3, abfielen.

„2,3-Bisphosphoglycerat (2,3-BPG) ist als einer der Haupteinflussfaktoren zur Interpretation der Sauerstoffbindung notwendig, auch hier mangelte es bisher an brauchbaren Methoden“, erklärt Mair. Hier konnte eine erfolgsversprechende Zusammenarbeit mit Herbert Oberacher (Core Facility Metabolomics am Institut für Gerichtliche Medizin) aufgebaut werden, der eine chromatographisch-massenspektrometrische Methode zur 2,3-BPG-Quantifizierung validieren und etablieren konnte.

Durch stetige Verbesserungsarbeiten, vorangetrieben von Norbert Mair, ist ein bedienungsfreundliches, kostengünstiges Add-On herausgekommen, mit dem man herkömmliche Plattenleser, die in so gut wie jedem medizinischen Labor vorhanden sind, aufrüsten kann. Mit einem Durchsatz von bis zu 1000 Proben pro Tag bzw. 92 pro Durchgang ist es zudem möglich, die Sauerstoffbindungskurven von großen PatientInnengruppen zu erfassen. Anwendungsgebiete in der Forschung würden den drei Wissenschaftern genug einfallen. Sie reichen von Genderaspekten, über die Covid-19-Forschung (mangelhafte Aufnahme von Sauerstoff in die Lunge) bis hin zu pharmakologischen Tests. So könnte man mit der Methode etwa Auswirkungen der Chemotherapie auf die Sauerstoffbindungsfähigkeit der Zellen untersuchen oder Medikamente identifizieren, welche die Sauerstoffbindungskurve und damit die Leistungsfähigkeit – Stichwort: Doping - beeinflussen. Aktuell laufen Projekte in Kooperation mit der Univ.-Klinik für Innere Medizin IV (Nephrologie, Dialyse), dem Renal Research Institut in New York, dem Alpenzoo Innsbruck, dem Institut für alpine Notfallmedizin der Eurac Research in Bozen und der Univ.-Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin.

(Innsbruck, 21.7.2022, Text: T. Mair, Fotos: MUI/Institut für Physiologie, Video: D. Bullock)

Forschungsarbeit:
Woyke, S, Ströhle M, Brugger H, Strapazzon G, Gatterer H, Mair N., Haller T: "High-throughput determination of oxygen dissociation curves in a microplate reader - A novel, quantitative approach", In: Physiological Reports, Aug. 2021, DOI: https://doi.org/10.14814/phy2.14995 

Weitere Links:
Patentantrag
Bericht EURAC Research "Patente Lösung zum Messen der Sauerstoffbindungskurve"
Medienbericht "Einer Kurve auf der Spur" (TopTirol #33/Juli 2022, S.117f.) 

 

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