Neuer Mechanismus der unkontrollierten Zellteilung bei Leukämien
Bei der Tumorentstehung gerät die Regulation der Cyclin-abhängigen Kinasen durcheinander. Das tumorhemmende Protein p27 spielt dabei eine ausschlaggebende Rolle. Heidelinde Jäkel aus dem Team von Ludger Hengst am Institut für Medizinische Biochemie an der Medizinischen Universität Innsbruck hat mit KollegInnen nun erstmals die so genannte Tyrosinphosphorylierung von p27 in einem in vivo Modell blockiert. Statt der erwarteten Tumorresistenz trat überraschenderweise das Gegenteil ein.
Cyclin-abhängige Kinasen (CDKs) funktionieren wie Motoren. Sie treiben die Zellteilung voran und steuern die Übergänge von einer Zellzyklusphase in die nächste. Störungen in der komplexen Regulation der CDK Aktivität können zu unkontrollierter Zellteilung und in der Folge zur Entwicklung von Tumoren führen. Das Protein p27 kann die Aktivität der CDKs inhibieren und die Zellteilung verlangsamen, sofern es in ausreichender Konzentration vorhanden ist. Allerdings kann das Protein auch so verändert werden, dass es einen aktiven CDK Komplex zusammenbaut (assembliert) und so CDKs aktiviert und die Zellteilung vorantreibt. Ein molekularer Schalter für den Wechsel zwischen den Funktionen als Inhibitor oder Aktivator stellt die Tyrosinphosphorylierung von p27 dar.
Ludger Hengst, der Leiter des Instituts für Medizinische Biochemie an der Medizinischen Universität Innsbruck hat vor fast 30 Jahren in der Arbeitsgruppe von Steven I. Reed in San Diego das Protein p27 isoliert und identifiziert. Umso naheliegender ist es, dass sich die Innsbrucker ForscherInnen intensiv mit der Struktur und den Funktionen dieses, als tumor-schützend geltenden Eiweißes beschäftigen. So konnten sie vor einigen Jahren beobachten, dass eine Tyrosinphosphorylierung die Eigenschaften des Proteins fundamental verändert.
In einer im angesehenen Fachjournal Leukemia publizierten Forschungsarbeit untersuchten ForscherInnen um Erstautorin Heidelinde Jäkel anhand eines Mausmodells die Rolle der p27 Tyrosinphosphorylierung in der Entstehung der akuten lymphatischen B-Zell-Leukämie. Hintergrund des Projekts war die Hypothese, die CDK Inhibition zu verstärken und den Abfall der p27-Konzentration zu verhindern, indem die Tyrosinphosphorylierung bei p27 unterbunden wird.
Unter Tyrosinphosphorylierung versteht man eine spezifische Veränderung eines Proteins. Diese entsteht, indem eine sogenannten Tyrosinkinase ein Phosphatmolekül an einen Tyrosinrest eines Proteins anhängt. „Die Phosphorylierung des Tyrosins an der Position 88 im p27 Protein verändert seine Struktur und Funktion grundlegend. Der CDK-Inhibitor und Tumorsuppressor wird zu einem Onkogen umgewandelt“, erklärt Hengst die Ausgangslage. Jäkel und ihre KollegInnen entwickelten ein Modell, indem sie das Tyrosin-88 gegen die nah verwandte Aminosäure Phenylalanin (Y88F) austauschten. „Wir haben ein mutiertes Protein erzeugt, um im Organismus (in vivo) zu prüfen, ob tatsächlich eine Tumorresistenz eintritt, wenn die Tyrosinphosphorylierung unterbunden wird. Es ist aber das Gegenteil eingetroffen“, erläutert Hengst.
Konkret hat das Team im Y88F-Mausmodell eine Leukämie untersucht, die durch die onkogene Tyrosinkinase BCR-ABL verursacht wird. Diese Tyrosinkinase ist außerordentlich aktiv und kann effizient das Tyrosin-88 von p27 phosphorylieren. Bei der Untersuchung stellte sich heraus, dass die Y88F-Maus anfänglich tatsächlich von der Mutation profitierte und sich die Tumorentwicklung verzögert. Dann verringerte sich jedoch die p27-Konzentration. In der Folge schritt die Tumorentwicklung umso rasanter und aggressiver voran. Welcher Mechanismus genau dabei zum Tragen gekommen ist, muss nun in Folgestudien aufgeklärt werden.
„Wir haben erstmals darstellen können, dass das Unterbinden der Tyrosinphosphorylierung von p27 zu einer Reduzierung der p27 Proteinmenge führt. Jetzt müssen wir herausfinden, inwiefern dieser Regulationsmechanismus eine zentrale Rolle bei der Tumorentstehung spielt“, fasst Jäkel den Erkenntnisgewinn ihrer Untersuchung zusammen. Wahrscheinlich gebe es aber einen bisher unbekannten Weg, der dazu führe, dass das p27 Protein in Tumoren verstärkt abgebaut wird. „Bisher können wir uns nicht erklären, warum die p27-Menge plötzlich reduziert ist. Dieser Mechanismus scheint jedoch in verschiedenen Zelltypen vorhanden zu sein und könnte deshalb auch bei anderen Krebsarten eine Rolle spielen. Wenn dieser – bislang unbekannte – Weg immer derselbe ist, dann wäre das bedeutend für neue therapeutische Ansätze vor allem mit den rezent entwickelten CDK4/6-Inhibitoren sowie mit Tyrosinkinaseinhibitoren “, sagt Jäkel.
(Innsbruck, am 19.12. 2022, Text: T. Mair, Bild: Institut für Medizinische Biochemie)
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