Kombination zweier neuer Biomarker optimiert Prognose und Therapie von MS
Der Verlauf der chronisch entzündlichen Nervenerkrankung Multiple Sklerose kann sehr unterschiedlich sein. Individualisierte Therapien für MS Erkrankte bedürfen einer frühzeitigen und präzisen Vorhersage der zukünftigen Krankheitsaktivität. Dies wird durch die Kombination verschiedener Biomarker ermöglicht, wie eine Studie des Neuroimmunologen Harald Hegen an der Univ.-Klinik für Neurologie zeigt.
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine häufige neurologische Erkrankung im jungen Erwachsenenalter. Entzündliche Veränderungen im zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) können zu individuell sehr variablen Beschwerden mit Lähmungen, Sensibilitätsdefiziten, Sehstörungen, Gleichgewichtsproblemen, Gehbehinderung sowie kognitiven Beeinträchtigungen führen. Typischerweise treten diese Symptome in Form sogenannter Krankheitsschübe auf. Letztlich besteht das Risiko, dadurch bereits im jungen Lebensalter eine bleibende Behinderung zu erleiden.
Frühe Prognose ermöglicht personalisierte Therapie
„Wann der nächste Krankheitsschub auftritt, variiert zwischen den betroffenen PatientInnen stark und reicht von mehreren Schüben pro Jahr bis hin zu jahrelang stabilen Phasen“, weiß der Neuroimmunologe Harald Hegen von der Universitätsklinik für Neurologie (Direktor: Stefan Kiechl). Fortschritte der letzten Jahre in der Entwicklung von krankheitsmodifizierenden Therapien ermöglichen mittlerweile eine effektive Verhinderung von Krankheitsschüben. „Diese Therapien unterscheiden sich nicht nur in ihrer Effektivität, sondern auch in möglichen Nebenwirkungen und Risiken. Eine treffsichere Vorhersage der zukünftigen Krankheitsaktivität ist von großer Bedeutung, um eine vernünftige Nutzen/Risiko-Abwägung vornehmen zu können, vor Einleitung einer für die einzelne Patientin, den einzelnen Patienten maßgeschneiderten Therapie“, so Hegen.
Harald Hegen, der seit vielen Jahren sowohl in der Forschung wie auch in der klinischen Betreuung mit dem Schwerpunkt MS tätig ist, konnte vor kurzem gemeinsam mit KollegInnen, ein in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) nachweisbares Protein – die sog. κ-freien Leichtketten (κ-FLC, kappa free light chains) – als Biomarker für die Prognose früher MS-Aktivität identifizieren. In einem internationalen Consensus Meeting, das von der neuroimmunologischen Arbeitsgruppe (Leiter: Florian Deisenhammer) mit Unterstützung des ECTRIMS (European Committee for Treatment and Research in MS) in Wien veranstaltet wurde, konnte der Nutzen von κ-FLC als Biomarker bei MS bestätigt werden.
Biomarker-Kombination sagt MS-Aktivität treffsicher voraus
„Neben dem von uns etablierten Entzündungsmarker κ-FLC gibt es in der MS Forschung einen weiteren, sehr vielversprechenden Biomarker, nämlich Serum Neurofilament Light (sNfL), das nach einer neuroxonalen Schädigung aus Nervenzellen freigesetzt wird. Erstmals haben wir die Fragestellung adressiert, ob die Kombination dieser beiden Biomarker die Vorhersagekraft von MS Krankheitsaktivität weiter verbessert“, erklärt Hegen.
In die durch einen Grant der Österreichischen Multiple Sklerose Gesellschaft geförderte, in Kooperation mit der Leopold-Franzens-Universität (Department für Statistik: J. Walde) durchgeführte und im Fachjournal eBioMedicine veröffentlichte Innsbrucker Studie wurden 86 PatientInnen mit MS im Frühstadium eingeschlossen und über vier Jahre nachbeobachtet. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Kombination dieser beiden Biomarker eine noch differenziertere Risikoeinschätzung für die zukünftige Krankheitsaktivität erlaubt. So ist im Fall hoher Werte bei κ-FLC Index wie auch sNfL Z Score der nächste Schub mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Jahres zu erwarten; während bei normalen Werten beider Biomarker ein Schub in den nächsten zwölf Monaten unwahrscheinlich ist“, berichtet Hegen.
Mit einer derart treffsicheren Vorhersage der zukünftigen Krankheitsaktivität soll es möglich sein, aus dem inzwischen breiten Angebot an unterschiedlichen krankheitsmodifizierenden Therapien die individuell passende auszuwählen. „Mit dem prognostischen Potenzial durch die Kombination beider Biomarker wird die Nutzen-Risiko-Abwägung der verschiedenen Immuntherapien um ein Vielfaches vereinfacht“, betont Hegen. Mit Spannung werden die Ergebnisse einer prospektiven, multizentrischen Studie unter Innsbrucker Leitung zur Bestätigung dieser Ergebnisse erwartet.
(23.05.2023, Text: D. Heidegger, Bild: D. Bullock)
Links:
Kappa free light chain and neurofilament light independently predict early multiple sclerosis disease activity—a cohort study. Harald Hegen et al., eBioMedicine, Published: April 19, 2023, VOLUME 91, 104573, MAY 2023
https://doi.org/10.1016/j.ebiom.2023.104573
Cerebrospinal fluid kappa free light chains for the diagnosis of multiple sclerosis: A consensus statement. Harald Hegen et al. Mult Scler. 2023 Feb;29(2):182-195
https://doi.org/10.1177/1352458522113421
Department für Statistik, Leopold-Franzens-Universität