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Dem Forschertrio Sebastian Schönherr, Lukas Forer und Hansi Weißensteiner vom Institut für Genetische Epidemiologie ist es gelungen, zeitgleich zwei Forschungsarbeiten in dem wichtigen einschlägigen Fachjournal Nucleic Acids Research zu publizieren.

Zwei neue Publikationen, zwei wichtige Online-Tools für genetische Forschung

Dem Forschertrio Sebastian Schönherr, Lukas Forer und Hansi Weißensteiner vom Institut für Genetische Epidemiologie (Direktor: Florian Kronenberg) der Medizinischen Universität Innsbruck ist es gelungen, zeitgleich zwei Forschungsarbeiten in dem wichtigen einschlägigen Fachjournal Nucleic Acids Research zu publizieren. Für die Wissenschaftswelt bringen sie mit bedeutenden Erweiterungen ihrer Webservices für genetische Analysen deutliche Erleichterungen.

Risikoscores sind in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Werkzeug geworden, um das individuelle Krankheitsrisiko, etwa für Herz-Kreislauf-Erkrankungen einschätzen und gegebenenfalls rechtzeitig Präventionsmaßnahmen ergreifen zu können. Um diese Risikomodelle zu erstellen, sind genomweite Assoziationsstudien erforderlich. Die Herausforderung dabei: Es entstehen riesige Datenmengen, die geordnet, analysiert und interpretiert werden müssen. Dasselbe gilt auch für Daten, die aus der Sequenzierung von mitochondrialer DNA (mtDNA) generiert werden. Varianten und Mutationen in mtDNA können genauso krankheitserklärend sein, wie jene in nukleärer DNA. Ein Team von Informatikern am Institut für Genetische Epidemiologie beschäftigt sich seit vielen Jahren damit, benutzerfreundliche Lösungen zur Berechnung und Interpretation der anfallenden Daten zu finden. 2016 haben sie zwei Online-Tools herausgebracht, die sich in der Forschergemeinde mittlerweile als Standard durchgesetzt haben. Jetzt berichtet das Journal Nucleic Acids Research über wesentliche Erweiterungen der Services.

Neue Generation des mtDNA Servers ist live

2016 haben Sebastian Schönherr, Lukas Forer und Hansi Weißensteiner den mtDNA Server erstmals gelauncht und der Wissenschaftsgemeinschaft damit ein Tool an die Hand gegeben, welches ihnen die Auswertung von mitochondrialen DNA-Daten erheblich erleichtert: Der mtDNA Server erstellt kostenlos textuelle und grafische Reports aus den Sequenzierungsdaten. Im Laufe der vergangenen acht Jahre hat sich das Service als Standard für die Auswertung von mitochondrialer DNA (mtDNA) etabliert. In den jetzt veröffentlichten mtDNA Server 2 implementierten die Forscher wichtige Erweiterungen, die häufig nachgefragte zusätzliche Analysen ermöglichen.

Im Gegensatz zur nukleären DNA einer Zelle, die aus rund drei Milliarden Basenpaaren besteht, besitzt das – ausschließlich mütterlicherseits vererbbare - mitochondriale Genom lediglich rund 16.500 Basenpaare. „Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass die daraus generierten Sequenzierungsdaten viel einfacher zu analysieren sind. Im Gegensatz zum nukleären Genom, das in jeder Zelle nur einmal vorhanden ist, können sich in einer Zelle unterschiedlich viele Mitochondrien und damit auch mehrere verschiedene mitochondriale Genome befinden“, erklärt Schönherr, korrespondierender Autor der Innsbrucker Publikation im Fachjournal Nucleic Acids Research.

Wie auch das nukleäre Genom, kann die mtDNA verschiedene Varianten und Mutationen aufweisen – einige davon krankmachend. Nach derzeitigem Wissensstand ist einer unter 4.300 Menschen von einer mtDNA-Störung betroffen. „Mutationen können für monogene Störungen verantwortlich sein. Es gibt auch Mutationen, die einen geringeren Beitrag zu komplexen Krankheiten haben, wie etwa bei der Entstehung von Tumoren oder bei altersbedingten Erkrankungen wie Parkinson. Sehr bekannte mitochondriale Krankheiten durch Punktmutationen sind beispielsweise das MELAS-Syndrom oder die Lebersche Optikusneuropathie (LHON), welche zu Sehverlust in jungen Jahren führt“, schildert Hansi Weißensteiner, der sich mit Lukas Forer die Erstautorschaft teilt. Diese so genannten Punktmutationen, die sich an einer definierten Position des Genoms befinden konnten mithilfe der Erstversion des mtDNA Servers schon bisher identifiziert werden.

Neu ist, dass nun auch Homoplasmien und Heteroplasmien nicht nur in Form von Punktmutationen sondern auch als Indels (Insertionen und Deletionen) mit dem mtDNA Server 2 detektiert werden. „Wenn derselbe Basenaustausch über alle mtDNA Moleküle hinweg eine bestimmte Variante aufweist, dann spricht man von einer Homoplasmie. Wenn nur ein gewisser Teil von all den sequenzierten mtDNA Molekülen eine Variante beinhaltet, dann ist von Heteroplasmie die Rede. Wir stellen den Benutzerinnen und Benutzern nun einen Service zur Verfügung, mit dem sie unterschiedliche Veränderungen im Genom zuverlässig automatisiert entdecken können und die notwendigen Qualitätskontrollen bereits inkludiert sind“, so Weißensteiner. Die aktualisierte Applikation vereinfacht es den WissenschafterInnen vieler Disziplinen – von der Grundlagenforschung bis in die Klinik – viele neue Zusammenhänge zwischen mitochondrialer DNA und Krankheit zu bestimmen.

Weißensteiner, Forer und Schönherr haben das Service für alle WissenschafterInnen aufgebaut, darunter auch KollegInnen an der Medizinischen Universität Innsbruck, die rege zu mitonchondrialer DNA forschen. Daten bis zu einer definierten Größe können auf den Server, der sich an der Med Uni befindet, hochgeladen und rasch verarbeitet werden. Für sehr große Datensätze – die UK Biobank hat beispielsweise 500.000 ProbandInnen inkludiert, die amerikanische „All Of Us“-Studie plant, eine Million TeilnehmerInnen einzuschließen – besteht die Möglichkeit, die Applikation herunterzuladen und die Daten lokal analysieren zu lassen. Der Datenschutz ist selbstverständlich gewährleistet: „Wir behalten die Input-Daten nur so lange, wie für die Berechnung benötigt wird, danach werden sie automatisch gelöscht. Die BenutzerInnen haben sieben Tage Zeit, um sich die Ergebnisse herunterzuladen. Dann werden auch diese gelöscht. Der Quellcode ist öffentlich zugänglich. Es kann also jeder sehen, dass wir nichts speichern“, erklärt Lukas Forer.

BU: Sebastian Schönherr, Hansi Weißensteiner und Lukas Forer haben das Webservice mtDNA Server aufgebaut und jetzt mit wichtigen Updates zu mtDNA Server 2 erweitert.

Michigan Imputation Server integriert Risikoscores

In der zweiten nun ebenfalls im Journal Nucleic Acids Research publizierten Arbeit haben sich Lukas Forer und Sebastian Schönherr vom Institut für Genetische Epidemiologie mit ihren langjährigen Partnern an der University of Michigan erneut mit Genotyp Imputation beschäftigt, welche die Durchführung genomweiter Assoziationsstudien maßgeblich erleichtert. „Wir haben im Jahr 2016 gemeinsam einen Webservice gestartet. Es reichen Bruchteile eines Genoms, die unser Service dann mit Referenzdaten zum ganzen Genom auffüllt. Es ist damit nicht mehr nötig, das gesamte Genom teuer zu sequenzieren“, sagt Forer. Der Michigan Imputation Server hat inzwischen über 100 Millionen Genome imputiert, er wurde von 11.000 Usern verwendet, die Hauptpublikation dazu ist schon mehr als 3.000-mal zitiert worden. „Er hat sich zum Standard Tool zur Vorbereitung für genomweite Assoziationsstudien entwickelt und dazu geführt, dass sehr viele Varianten gefunden wurden. Allerdings konnte man damit auch immer nur einen Bruchteil eines Phänotyps, einer Krankheit oder eines Krankheitsrisikos erklären“, führt Forer weiter aus. Beispiel Körpergröße: Es gibt einen Score, der 1,5 Millionen Varianten enthält, die für sich jeweils nur einen Bruchteil der Größe erklären. Fasst man alle Varianten zusammen, erklärt das Ergebnis bereits rund 40 Prozent der Varianz für die Körpergröße einer europäischen Population.

Hier kommt die aktuelle Publikation ins Spiel. In den vergangenen Jahren hat das Team daran gearbeitet, den Michigan Imputation Server mit einer bestehenden Datenbank zusammenzuschalten, die bereits mehr als 4.000 Modelle für genetische Risikoscores aus assoziationsweiten Genomstudien enthält, um damit polygene Risikoscores für eine Vielzahl an Krankheiten zu berechnen.  „Es ist uns gelungen, dass wir diese Daten in einer wirklich sehr effizienten Art und Weise prozessieren können und alle 4.000 Scores standardisiert zurückbekommt, sodass man Rückschlüsse auf das individuelle genetische Risiko für eine Person ziehen kann“, sagt Schönherr. Die Erweiterung des Michigan Imputation Servers um die Berechnung polygener Risikoscores ist ein Schritt hin zur personalisierten Medizin und Verbesserung der Prävention. „Wenn man damit Personen mit einem genetischen Krankheitsrisiko, beispielsweise für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes besser identifizieren kann, ist es möglich früher mit Behandlungen zu starten oder mit Lifestyle-Änderungen entgegenzuwirken“, schildert Forer.

In künftigen Projekten werde es dann auch darum gehen, die bestehenden Scores zu validieren und ihre Aussagekräftigkeit zu überprüfen. Denn noch sei nicht gesichert, dass Risikomodelle, die in anderen Weltregionen und Ländern angewandt werden, etwa in Großbritannien oder den USA, aufgrund genetischer Unterschiede in den Populationen auch in Österreich zutreffend sind.  „Wir haben in den vergangenen Jahren vor allem mit Simon Schnaiter vom Institut von Humangenetik bereits damit angefangen. Derzeit läuft ein Pilotprojekt für Brustkrebs, in dem wir einerseits schauen, wie gut bereits bekannte Modelle funktionieren und andererseits, wie man sie später als zusätzliches Diagnostikverfahren in den klinischen Alltag integrieren könnte. Die bisherigen Ergebnisse bei Brustkrebs weisen darauf hin, dass der Score gut funktioniert. Bei anderen Erkrankungen haben wir aber auch schon gesehen, dass der Populationseffekt so stark ist, dass bestehende Modelle quasi keinen Nutzen bringen“, gibt Forer einen Ausblick auf weitere Arbeiten.

Das vorhandene Wissen über polygene Risikoscores wird in diesem Semester übrigens erstmals in einem innovativen Lehrkonzept, geleitet von Judith Lechner (Life Science Praktikum 3), im vierten Semester des Humanmedizin-Studiums integriert: https://inside.i-med.ac.at/online/wbLv.wbShowLVDetail?pStpSpNr=895003&pSpracheNr=1

(Innsbruck, am 27. Mai 2024, Text: T. Mair, Fotos: David Bullock)

Forschungsarbeiten:

Forer L, Taliun D, LeFaive J, Smith AV, Boughton AP, Coassin S, Lamina C, Kronenberg F, Fuchsberger C, Schönherr S. Imputation Server PGS: an automated approach to calculate polygenic risk scores on imputation servers. Nucleic Acids Res. 2024 May 6:gkae331. doi: 10.1093/nar/gkae331. Epub ahead of print. PMID: 38709879. https://doi.org/10.1093/nar/gkae331

Weissensteiner H, Forer L, Kronenberg F, Schönherr S. mtDNA-Server 2: advancing mitochondrial DNA analysis through highly parallelized data processing and interactive analytics. Nucleic Acids Res. 2024 May 6:gkae296. doi: 10.1093/nar/gkae296. Epub ahead of print. PMID: 38709886. https://doi.org/10.1093/nar/gkae296

Links:
Michigan Imputation Server 
mtDNA-Server 2 (Mitoverse Platform) 
Institut für Genetische Epidemiologie

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