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Das Innenohr im gemeinsamen Fokus von Anatomie, HNO und MED-EL

Wer älter wird, hört oft schlecht. Das kann mit verstärkter sozialer Isolation, kognitivem Abbau bis hin zu Demenz einhergehen. Altersbedingter Hörverlust betrifft rund ein Drittel der Über-65-Jährigen weltweit, die Ursachen sind dennoch wenig erforscht. Welche Rolle eine verminderte Durchblutung im Innenohr spielen könnte, untersucht das FFG-geförderte Projekt VasKo, eine Kooperation der Klinisch-Funktionellen Anatomie und HNO der Med Uni Innsbruck sowie des Medizintechnik-Unternehmens MED-EL.

Klein und schwer zugänglich, umschlossen vom härtesten Knochen im menschlichen Körper, dem Felsenbein: Das Innenohr hält für die medizinische Forschung einige Herausforderungen bereit. Und tatsächlich ist die Studienlage über die altersbedingten Veränderungen von Blutgefäßen im menschlichen Ohr überschaubar. Dabei zeigen Tierstudien an Nagern: Schädigungen der kleinen und großen Blutgefäße sowie chronische Entzündungen der zuführenden Cochleagefäße spielen bei der Entstehung und dem Fortschreiten von altersbedingtem Hörverlust (age related hearing loss – kurz ARHL) eine wichtige Rolle. Hörverlust ist eines der häufigsten Symptome des alternden Körpers: Weltweit hört rund ein Drittel aller Personen, die über 65 Jahre alt sind, nicht mehr gut. Damit einher gehen nicht nur verstärkte soziale Isolation, steigende Gesundheitskosten und abnehmende Arbeitsproduktivität; auch kognitiver Abbau bis hin zu Demenz korrelieren mit ARHL. 

Den Zusammenhang zwischen Veränderungen der Blutgefäße und der Reduktion des Hörvermögens untersucht das Forschungsprojekt „Vascular senescence as a key factor for cochlear health" (VasKo, Projektleitung: Elisabeth Pechriggl). Es ist eine interdisziplinäre Kooperation des Instituts für Klinisch-Funktionelle Anatomie (Direktor: Marko Konschake) und der Univ.-Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (Direktor: Benedikt Hofauer, projektverantwortlich Rudolf Glückert) der Med Uni Innsbruck sowie des Medizintechnik-und Hörtechnologie-Unternehmens MED-EL mit Hauptstandort in Innsbruck. Die Österreichische Förderungsgesellschaft FFG unterstützt das Projekt zur Kartierung der filigranen Strukturen im Innenohr mit rund 275.000 Euro.

BU: Gefäße in einer Hörschnecke: Die seitliche Wand der Cochlea gehört zu den Regionen mit dem dichtesten Gefäßnetz im Körper (Bild: Glückert Rudolf, HNO Innsbruck)

Tiermodelle zeigen: Gestörte Durchblutung führt zu Hörverlust

„Verminderte Hörleistung kann man etwa an der geringeren Anzahl von Haarsinneszellen oder Nervenzellen im Innenohr feststellen,“ erklärt Rudolf Glückert, Leiter des Innenohrlabors an der Univ.-Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der Med Uni. „Wir wollen herausfinden, ob diese mit Veränderungen oder Verminderung der Durchblutung einhergeht und wie hoch der Zusammenhang ist. Diese Daten fehlen noch für den Menschen und das wird möglicherweise völlig unterschätzt,“ so Glückert. Denn man sehe in einigen Tiermodellen von großen Nagetieren: „Wenn es an bestimmten Stellen Durchblutungsstörungen gibt, gibt es auch Hörstörungen.“

Gefäßbaum wird bis in die Nanostruktur dokumentiert

„Zunächst geht es um morphologische Untersuchungen, wir wollen die altersbedingten Änderungen in den Gefäßen der Cochlea erfassen“, erläutert Marko Konschake. Die Cochlea, deren Form an ein Schneckengehäuse erinnert, ist derjenige Teil des Innenohrs, in dem die eigentliche Schallempfindung stattfindet. „Wir werden die Variationen des Innenohrs von 30 geeigneten männlichen und weiblichen KörperspenderInnen dokumentieren, die wir so bald wie möglich post mortem entnehmen, weil ansonsten die Haarsinneszellen degeneriert sind“ erklärt Projektleiterin Elisabeth Pechriggl, stellvertretende Institutsdirektorin und Fachärztin für Anatomie. Der Gefäßbaum des Innenohrs, also sämtliche Blutgefäße werden mit hochauflösenden bildgebenden Verfahren vermessen: zum einen mit Mikro-Computertomographie (Mikro-CT), zum anderen mit Gefäßausgusspräparation („Vascular corrosion casting“).

Dazu wird zunächst das Felsenbein präpariert. In einem Teil der Präparate wird dann von Romed Hörmann, Mitarbeiter der Klinisch-Funktionellen Anatomie, eine Lösung injiziert, damit die Gefäße in der Bildgebung im Mikro-CT leichter vom Knochen zu unterscheiden sind. Derzeit wird getestet, welche Kontrastmittel sich am besten für die Injektion eignen. Nach der Bildgebung wird das Präparat mit Fräsen weiter verkleinert bis letztlich nur das Gehörorgan selbst mit den verbliebenen Gefäßen übrigbleibt. Es wird entkalkt, dann folgen im Labor histologische Schnitte.

BU: Das Bild zeigt einen Gefäßausguss nach der von Romed Hörmann entwickelten Methode. Dura mater beschreibt die Harte Hirnhaut, welche die Schädelhöhle auskleidet. Mit KH ist die Kleinhirnarterie der linken Seite markiert und mit HN der Hörnerv (Foto: R. Hörmann)

Innenohr-Spezialist Glückert, der durch frühere Projekte schon viel Erfahrung in der Arbeit mit dem Mikro-CT und im Umgang mit großen Datensätzen gesammelt hat, erklärt: „Wir dringen mit unseren weiteren Analysen bis in die Nanostruktur mithilfe der Elektronenmikroskopie vor, wir können Veränderungen in den kleinsten Kompartimenten der Gefäße erkennen. Dafür brauchen wir die höchsten Auflösungen sowie spezielle Software, um den gesamten Gefäßbaum überhaupt kartieren zu können.“ So kann der Gefäßbaum bis in die kleinsten Kapillaren dargestellt und ausgewertet werden. „Die Kooperation zwischen Klinisch-Funktioneller Anatomie und HNO besteht schon seit langer Zeit, wir arbeiten sehr gut und gerne zusammen“, betonen Pechriggl und Glückert. Auch mit MED-EL gab es bereits erfolgreiche Kooperationen.

Forschungsförderung für Kooperation von Wissenschaft und Unternehmen

Gefördert wir das Projekt durch das Bridge-Programm der FFG, das die Implementierung von Forschung in die Industrie zum Ziel hat. Es unterstützt Grundlagenforschung, die allerdings bereits eine Verwertungsperspektive erkennen lässt und in aktiver Zusammenarbeit mit einer Firma erfolgt, die auch ein Drittel der Fördersumme trägt. Das ist im Fall von VasKo das Medizintechnik-Unternehmen MED-EL, das unter anderem auf Cochlea-Implantate und generell das Thema Hörverlust spezialisiert ist.

„Bei diesen Projekten soll von Beginn an eine Brücke von universitären Einrichtungen und Unternehmen gespannt werden“, erklärt Werner Lindentaler, Director of Research – Emerging Applications bei MED-EL. „Altersbedingter Hörverlust betrifft die ganze Gesellschaft. Man weiß aus der Forschung, dass frühzeitiger Hörverlust mit verminderter Aufnahmefähigkeit einhergeht und dass dadurch gerade für Männer das Risiko für Demenz und Alzheimer steigt. Wir rechnen im Fall dieses Projekts nicht mit der baldigen Entwicklung von neuen Produkten. Es geht zunächst darum, Wissen über den alternden Gefäßzustand zu schaffen, um therapeutische Maßnahmen zu planen.“

Gleichzeitig weist Lindentaler darauf hin, dass praktische Erkenntnisse auch im Zuge von Grundlagenforschung jederzeit möglich sind: „Wenn es während der Einsetzung eines Cochlea-Implantats zu Blutungen im Innenohr kommt, dann führt das erwiesenermaßen zu schlechteren Hörergebnissen. Wenn man aber weiß, wie die Gefäße im Detail verlaufen, kann man eventuell die Elektrodeneinführmethode anpassen, sodass man möglichst keine Blutgefäße verletzt. Eventuell können wir auch herausfinden, ob eine Elektrostimulation mithilfe eines Cochlea-Implantats oder pharmakologische Behandlung sinnvoll sein könnte, um die Durchblutung des Innenohrs gleich von Beginn an zu fördern. So könnte der Heilungsprozess nach dem Implantat eines CIs gefördert werden beziehungsweise die Gehörerhaltung besser gelingen.“

Langfristig könne man die Erkenntnisse des Forschungsprojekts für die Vorsorge und Therapie, zum Beispiel für die Verzögerung von Hörverlust, berücksichtigen, so die Projektverantwortlichen. Wobei es pharmakologisch nicht einfach sei, das Innenohr zu behandeln, gibt Rudolf Glückert zu bedenken: „Es gibt im Ohr eine Blut-Labyrinth-Schranke, die Gefäße sind sehr abgeschottet. Man kann lokal mit minimalinvasiven Eingriffen in die Cochlea vordringen, aber man muss natürlich vorher wissen, ob das Sinn ergibt, ob es älteren Menschen helfen oder generell der Vorbeugung dienen würde.“ Genau für diese Beurteilung fehlen die Daten – wenn das Projekt VasKo voraussichtlich bis September 2026 abgeschlossen ist, soll das anders sein.

 

(Innsbruck, am 04.09.2024, Text: P. Volgger, Fotos: MUI/D. Bullock, HNO/R. Glückert, KFA/R. Hörmann)

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