Eltern überschätzen Resilienz ihrer Kinder
Im Rahmen der Post-Covid Kinderstudie, die vom Land Tirol finanziert und von der Medizinischen Universität Innsbruck durchgeführt wird, füllten Tiroler Eltern, Kinder und Jugendliche letzten Herbst insgesamt 953 Fragebögen mit dem Fokus auf Resilienz aus. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Kinder und Jugendlichen weniger resilient empfinden als Eltern annehmen. Ab sofort sind alle Eltern, Kinder und Jugendlichen in Tirol eingeladen, an der nächsten Befragungsrunde teilzunehmen.
„Die Belastungen bei den Kindern und Jugendlichen sind spürbar und schlagen sich im psychischen Befinden nieder. Es geht ihnen nicht gut.“ Kurz und knapp fasst Kathrin Sevecke, Direktorin der Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Ergebnisse der zweiten Erhebung der Post-Covid Kinderstudie zusammen. Die Untersuchung, die bereits während der Pandemie regelmäßig stattfand, kann seit Herbst 2023 dank der Finanzierung durch das Land Tirol bis Dezember 2025 fortgeführt werden. Jetzt startet die nächste Befragungsrunde. Alle Eltern, Kinder und Jugendlichen in Tirol sind eingeladen, den Fragebogen (online oder auf Papier) auszufüllen, egal ob sie bei den vorherigen Befragungen bereits mitgemacht haben, oder nicht.
„Als Gesundheitslandesrätin ist mir die psychische Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ein besonderes Anliegen. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit helfen uns, die Angebotssituation im Land Tirol fundiert zu beleuchten. Die Forschung ist für uns ein wichtiger Partner, daher hat das Land Tirol die Verlängerung der Studie bis Dezember 2025 genehmigt“, sagt Landesrätin Cornelia Hagele.
Nach einer ersten Befragung in der Verlängerungsphase im Herbst 2023, liegt nun die Auswertung der Fragebögen vor, die im September/Oktober 2024 ausgefüllt wurden:
- Insgesamt analysierten die ExpertInnen unter der Leitung von Silvia Exenberger (Klinische und Gesundheitspsychologin) 953 Fragebögen.
- 154 Elternteile von drei- bis sechsjährigen Kindern und 417 Elternteile von Sieben- bis 17-Jährigen beantworteten online und anonymisiert Fragen zu Ängsten, störendem Sozialverhalten, Depression, Trauma und der Resilienz ihres Nachwuchses.
- 298 Kinder (sieben bis zwölf Jahre) und 84 Jugendliche (13 bis 17 Jahre) machten in einem an sie angepassten, ebenfalls anonymisierten Fragebogen Angaben zu Depression, Trauma und Resilienz aus ihrer Sicht.
- 130 Kinder an rund 20 Schulen haben bereits an einer Kurzintervention zur Stärkung der psychischen Widerstandsfähigkeit
Besonders bemerkenswert ist laut Exenberger, wie weit die Wahrnehmungen von Eltern – vorwiegend nahmen Mütter an der Untersuchung teil – und Kindern zum Teil auseinandertriften: So zeigten die Elternberichte hinsichtlich der Störungsbilder für Trauma, Angststörung und Depression keine Geschlechtsunterschiede zwischen Mädchen und Buben. Die Darstellungen der Kinder und Jugendlichen selbst ergaben ein anderes Bild: Mädchen berichteten mehr von Depression als Buben.
Eltern nehmen ihre Kinder als resilienter wahr, als sie sind
Bezeichnend ist aber vor allem die unterschiedliche Einschätzung von Erwachsenen und ihrem Nachwuchs in Bezug auf dessen Resilienz: „Kinder schätzten ihre eigene Resilienz im Mittel niedriger ein, als Eltern. Diese nahmen sich wiederum als fürsorglicher wahr, als die Kinder das empfanden“, schildert Exenberger. Die Kinder/Jugendlichen gaben an, dass ihre Eltern oder nahen Bezugspersonen sie nicht besonders gut kennen würden und sie nicht mit ihnen über ihre Gefühle sprechen könnten. „Vielleicht signalisieren Eltern ihre Unterstützung nicht deutlich genug oder sie nehmen es nicht ausreichend wahr, wenn die Kinder signalisieren, dass sie Unterstützung möchten“, mutmaßt Silvia Exenberger. Es könne helfen, direkt auszusprechen, dass man für die Kinder da ist und zu zeigen, dass man bei Problemen „nicht gleich ausflippt“. „Die Eltern überschätzen ihre Kinder. Die Tatsache, dass sich die Kinder als weniger resilient einschätzen, ist Ausdruck davon, dass sie Belastungen spüren und das Gefühl haben, nicht mit allem zurechtzukommen“, folgert Direktorin Kathrin Sevecke aus den Ergebnissen der Erhebung.
Kinder/Jugendliche, deren Familien in finanziellen Schwierigkeiten steckten, gaben außerdem an, dass sie sich weniger resilient fühlen. Bei höherem Familienwohlstand nahmen sie sich als resilienter wahr. Insgesamt berichteten Mädchen von einer höheren Resilienz. Das deckt sich mit der Wahrnehmung der Eltern, die Mädchen ebenfalls als resilienter einschätzten. Bei den Buben stellten die Eltern – nur sie wurden zu diesem Aspekt befragt – außerdem mehr Störungen im Sozialverhalten fest.
Einfache Maßnahmen stärken Resilienz
„Ein Eckpfeiler von Resilienz ist kreative Problemlösung. Wir führen mit den Kindern der teilnehmenden Schulen eine Einmal-Intervention durch, die Creative Friend heißt und einfach anzuwenden ist. Die Übungen sind auch für Erwachsene sinnvoll“, erklärt Exenberger. Übungsbeispiel: Deine Eltern wollen wegfahren und du sollst mitkommen. Du möchtest aber zu einer Geburtstagsparty gehen. Stelle dir eine Person vor, die du besonders kreativ findest und die Probleme anders angeht als du. Nimm die Perspektive dieser Person ein. Welche Lösungswege findest du? „Es geht darum, ganz schnell kreativ zu reagieren, die gewohnten Wege zu verlassen und einen kognitiven Umweg zu machen“, regt die Expertin an.
Psychische Störungen und Erkrankungen nehmen zu
Klinischen Studien zufolge nehmen die psychischen Störungen und Erkrankungen in der Allgemeinbevölkerung zu. „Damit einher geht ein Anstieg der psychischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Die Belastungen sind da und es gibt derzeit keinen Anlass zur Annahme, dass es zu einem Rückgang kommen sollte“, sagt Sevecke. Wichtig ist ihr, die Pandemie und die damaligen Begleitumstände nicht als alleinige Ursache für die anhaltende Belastung heranzuziehen. „Die Pandemie ist nur ein Faktor von vielen. Es sind Multiprobleme. Der Trend geht zu komplexeren Fällen und langwierigen Krankheitsgeschichten“, so Sevecke. Die Studienlage zeige beispielsweise auch, dass ein hoher Instagram-Konsum mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von Essstörungen und Depressionen einhergeht.
(Innsbruck, 18. März 2025, Text: T. Mair, Foto: MUI/S. Exenberger)
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