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EMQN tagt in Innsbruck: Wie zuverlässig sind Gentests?

Am 20. und 21. Februar 2012 trafen sich über 80 ExpertInnen des Europäischen Netzwerks für Qualität in der Molekulargenetik (EMQN) in Innsbruck. Die Frage nach der Qualität von genetischen Analysen und deren Ergebnissen bewegt sich im Spannungsraum zwischen technischem Fortschritt und medizinischer Verantwortlichkeit. Die Etablierung diagnostischer Standards für die Indikation, Analyse und Interpretationvon Gentests wird konkret erarbeitet.

Zehn Jahre nach Abschluss des Humangenomprojektes, das heute die nahezu vollständige Entschlüsselung des menschlichen Erbguts ermöglicht, bietet der Fortschritt auf molekularer Ebene völlig neue Optionen und Möglichkeiten für die Diagnose, Therapie und Prävention von genetischen Krankheiten. Die enormen Entwicklungen im Bereich der Genomics-Technologien und die Ausbreitung von direct-to-consumer-Gentests stellen aber auch traditionelle Qualitätsmanagementmodelle vor neue Herausforderungen.
Vor diesem Hintergrund stellen sich u.a. folgende Fragen:
Inwieweit sind genetischen Untersuchungen „anders" als andere medizinische Analysen?
Wo liegen die Potentiale der Humangenetik und welche Ansprüche sind an die Qualität von Tests und genetischer Beratung zu richten?
Wie sieht die klinische Praxis aus?Wie gut wissen wir heute, was ein genetischer Befund bedeutet?
Wie sehr kann man sich auf die Ergebnisse der Untersuchungen verlassen?
Wie kann die Qualität sichergestellt werden?
Welche Risiken bestehen bei Gentests, die im Internet bestellt werden?

Besonderheiten und Qualitätsaspekte genetischer Laboruntersuchungen
Gentests gehören heute zur Routine der medizinischen Diagnostik, es gibt aber wichtige Merkmale, in denen sie sich von anderen Laboranalysen unterscheiden, und aus denen sich besondere Qualitäts­ansprüche ableiten: Ein bestimmter Gentest wird meist nur ein einziges Mal im Leben einer Person durchgeführt, das Ergebnis kann jedoch lebensbestimmende Folgen sowohl für PatientInnen als auch Familienmitglieder haben. Oft handelt es sich um hochkompexe Einzelanalysen, die zum Teil nur an wenigen Zentren weltweit durchgeführt werden, und deren Interpretation eine hohe ärzt­liche und zell­biologische Kompetenz erfordert. Aufgrund des zunehmenden grenz­über­schreitenden Austauschs von Proben besteht die Notwendigkeit für eine international standardisierte Terminologie. Schließlich sind genetische Untersuchungen immer auch komplexe Begutachtungen, die auf die Beschwerden eines Patienten eingehen und in einen individuellen Befund münden.
Es geht in der Frage nach der Qualität daher nicht nur um die Vermeidung von falsch positiven oder falsch negativen Testergebnissen. Mindestens ebenso wichtig ist die Feststellung der Indikationslage, also der Sinnhaftigkeit eines Tests bei bestimmten klinischen Fragestellungen, sowie die medizinische Bewertung der gewonnenen Befunde.
Der renommierte Humangenetiker Univ.-Prof. Johannes Zschocke, der die Innsbrucker Sektion für Humangenetik leitet und unter dessen diesjährigem Vorsitz das EMQN-Treffen stattfand, beschreibt die essentiellen Schritte einer qualitativ angemessenen genetischen Labordiagnostik:

1. Stellen der richtigen Indikation (welche Frage soll beantwortet werden, welcher Test ist sinnvoll?)
2. Fehlerfreie Laboranalyse (ev. Testwiederholungen zur Fehlervermeidung)
3. Richtiges Lesen der genetischen Information und fachkundige Interpretation
4. Umfassende Beratung zu Perspektiven und Konsequenzen

Qualifizierte Beratung vor und nach einer genetischen Untersuchung
Die Koppelung von Diagnose und Beratung ist gerade im Rahmen gendiagnostischer Abklärungen besonders wichtig. Der österreichische Gesetzgeber hat daher für die Durchführung von genetischen Analysen eine Reihe von Vorschriften zur Sicherheit und Wahrung von allgemein geltenden medizinethischen Grundsätzen der getesteten Person erlassen. Das österreichische Gentechnik­gesetz (GTG) schreibt vor, dass vor und nach einer genetischen Analyse eine genetische Beratung erfolgen muss, die durch einen Facharzt für Medizinische Genetik bzw. einen für das Teilgebiet zuständigen Facharzt durchgeführt werden muss. Die betroffene Person muss über das Wesen, die Tragweite und die Aussagekraft der Analyse informiert sein, und hat jederzeit das Recht, auf die Mitteilung des Ergebnisses und der daraus ableitbaren Konsequenzen zu verzichten.

Gen-Tests im Internet
Das Problem der Qualität genetischer Analysen verschärft sich, wenn Gen-Tests direkt an testwillige Personen verkauft werden, wie es bei vielen Internet-Angeboten der Fall ist (direct-to-consumer-Test). Zentrale Anforderungen wie die kompetente, persönliche genetische Beratung durch einen Arzt oder der Schutz von Minderjährigen bzw. nicht Einwilligungsfähigen werden nicht eingehalten, da die Tests vom Betroffenen bzw. „Kunden" selbst ohne ärztlichen Kontakt und ohne Kontrolle der Identität angefordert werden können. Oft ist der behauptete medizinische Nutzen stark übertrieben oder wissenschaftlich nicht belegt. Aus gutem Grund sind solche Tests daher in Österreich untersagt.

Ringversuche zur Qualitätssicherung in der Molekulargenetik
„Die Qualität des Lesens und der Interpretation lässt sich durch sogenannte Ringversuche feststellen und evaluieren", erklärt Univ.-Prof. Johannes Zschocke, der im Europäischen Netzwerk für Qualität in der Molekulargenetik (EMQM) als Österreichs einziger Ringversuchsleiter beteiligt ist. Im Rahmen eines Ringversuchs wird die gleiche DNA-Probe an zahlreiche Labors geschickt, welche die angeforderte Spezialanalyse durch­führen und einen auf die Indikationsstellung ausgerichteten Befund schreiben. Die Ergebnisse werden von den RingversuchsleiterInnen sowohl in Bezug auf die technische Korrektheit als auch auf die Richtigkeit der Interpretation ausgewertet. Die teilnehmenden Labors erhalten ein detailliertes Protokoll, in dem auf Fehler bzw. Ungenauigkeiten hingewiesen wird und Verbesserungsmöglichkeiten erklärt werden. Die Teilnahme an Ringversuchen wird im GTG vorgeschrieben. 

Europäisches Netzwerk für Qualität in der Molekulargenetik - EMQN
EMQN ist eine Non-Profit-Organisation, die sich der Qualitätsförderung von genetischen Tests verschrieben hat. Dazu werden Ringversuche (External Quality Assessment schemes, EQA) durchge­führt, die einerseits die Leistungen der einzelnen Labore überprüfen und andererseits in die Erstellung allgemein gültiger Richtlinien für die entsprechenden Spezialanalysen münden. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur internationalen Harmonisierung professioneller genetischer Labordiagnostik. Mit über 950 eingetragenen Labors aus 52 Ländern ist EMQN heute weltweit der größte Anbieter von gendiagnostischen EQA-Programmen. Die Ringversuche erfassen genetisch bedingte Krankheiten (z.B. familiäre Krebsdispositionen), molekularpathologische Fragestellungen (z.B. genetische Tumor­marker, die für die Behandlung wichtig sind) und neue Techniken (z.B. DNA-Arrays). „Mit der Teilnahme an unseren Ringversuchen erfüllen die Labore essentielle Aspekte der Qualitäts­sicherung genetischer Analysen, da alle Schritte - von der Probenannahme bis zum Befund - berücksichtigt werden", sagt Outi Kamarainen von EMQN. Obwohl und gerade weil Fehler passieren, zeigt sich, dass die Teilnahme an EQA-Programmen die Laborleistungen verbessert. Besonders effektiv sind die Ringversuche für die Erkennung und Korrektur systematischer Fehler, z.B. technischer Defizite. Um den Herausforderungen in technischer wie gesellschaftlicher Hinsicht gerecht zu werden, bietet EMQN innovative Lösungen (etwa EQA für DNA-Sequenzierungsmethoden der nächsten Generation oder für nicht-invasive Pränatal-Diagnostik) an und arbeitet mit gleichgesinnten Organisationen zusammen. EMQN wurde 1998 mit Fördermitteln der Europäischen Union gegründet. Seit 2002 wird das Netzwerk zur Gänze durch Beiträge der teilnehmenden Labore finanziert. EMQN wird durch ein Büro in Manchester, Großbritannien, koordiniert, und wurde durch das United Kingdom Accreditation Service (UKAS) nach dem ISO17043-Standard für EQA-Anbieter akkredidiert.

Zentrum Medizinische Genetik Innsbruck
Humangenetische Beratungen, klinische Untersuchungen und medizinisch indizierte Gentests werden in Innsbruck an der seit 2008 von Univ.-Prof. Johannes Zschocke geführten Sektion für Humangenetik durchgeführt. Die Sektion gehört wissenschaftlich, wie klinisch und labordiagnostisch zu den führenden Instituten in Österreich und nimmt auch in der Qualitätskontrolle der genetischen Diagnostik eine Vorreiterrolle ein. Ein besonderes Interesse von Prof. Zschocke liegt in der molekularen und funktionellen Charakterisierung von angeborenen Stoffwechselkrankheiten. Schwerpunkte des Instituts sind darüber hinaus die klinische und genetische Klärung der Ursachen von Entwicklungsstörungen bei Kindern sowie die molekulargenetische Diagnose von erblichen Krebserkrankungen. Vor wenigen Jahren wurde eine neue genomisch ausgerichtete DNA-Array-Station u.a. als Grundlage für die bessere Diagnostik von erblichen Entwicklungsstörungen und genetischen Syndromen eingerichtet. Mit dem größeren Wissen um genetische Risiken entsteht aber auch ein enormer Beratungsbedarf - gerade bei Untersuchungen mit vorhersagendem (prädiktivem) Charakter, beispielsweise in Familien mit gehäuftem Vorkommen von Darmkrebs, Brustkrebs oder Herzkrankheiten. Einer adäquaten medizinischen Aufklärung und gegebenenfalls psychologischen Beratung wird in Innsbruck durch die ausgezeichnete interdisziplinäre Zusammenarbeit der Humangenetik mit anderen Kliniken wie Pädiatrie, Gynäkologie, Dermatologie, Kardiologie, Chirurgie und Psychologie/Psychiatrie/Psychoonkologie Rechnung getragen.

 

Anhang:

Erbgut:
Man kann sich das Erbgut des Menschen als eine Sammlung von zwei mal 23 (insgesamt 46) Büchern vorstellen, die als Chromosomen in den Zellkernen vorliegen und die Erbinformation enthalten. Von jedem der 23 Chromosomen gibt es also zwei Exemplare, von denen man eines von der Mutter und eines vom Vater geerbt hat, und von denen man jeweils eines wieder an ein Kind weitergibt. Die Gene sind quasi die Anleitungen oder Rezepte in diesen Büchern, welche die Information für bestimmte Funktionen der Zelle enthalten. Insgesamt hat der Mensch etwas mehr als 20.000 verschiedene Gene. Der genetische Text, die DNA (Desoxyribonukleinsäure, auch DNS genannt) verwendet vier verschiedene chemische „Buchstaben“ (Nukleotide) A, C, G und T. Ein einfacher Chromosomensatz besteht aus mehr als 3 Milliarden solcher Nukleotide. Als Mutation bezeichnet Veränderungen im genetischen Text, die die normale Information eines Gens verändern oder entfernen. Viele Erbkrankheiten werden durch Mutationen in einzelnen Genen verursacht, bei anderen Erbkrankheiten können ganze Chromosomen oder kleine Chromosomenstücke verändert sein.

Humangenetik:
Die Humangenetik  ist die Lehre von den Mechanismen und Prinzipien, mittels derer die Erbinformation Gesundheit und Krankheit des Menschen beeinflusst. Mit Hilfe von Chromosomenanalysen oder molekulargenetischen Untersuchungen (Gentests) kann man Veränderungen im Erbgut nachweisen und dadurch Hinweise auf die Ursache von bereits vorliegenden Krankheiten oder Informationen über zukünftige Krankheitsrisiken bekommen. Es ist aber oft schwierig vorherzusagen, was eine genetische Veränderung für die betroffene Person wirklich bedeutet. Oft lassen sich nur veränderte Risiken für eine bestimmte Erkrankung angeben. Aufgabe der medizinischen Genetik ist es, diese Zusammenhänge zu verstehen bzw. im Einzelfall durch komplexe genetische Laboruntersuchungen abzuklären und den betroffenen Personen zu erklären. In Österreich ist die Durchführung von genetischen Untersuchungen im Gentechnikgesetz (GTG) geregelt. Das GTG schreibt auch der Qualifikation des Laborleiters eine zentrale Rolle für die Qualitätssicherung zu und beschreibt explizit die erforderlichen fachlichen Voraussetzungen.

Facharzt Medizinische Genetik:
Die Humangenetik ist ein eigenständiges Fach mit eigenem Facharzt für Medizinische Genetik. Eines der Spezialgebiete ist die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen dem Genotyp (der Erbinformation) und dem Phänotyp (dem klinischen Erschei­nungsbild). Die Humangenetik erfüllt insofern eine besondere Brückenfunktion zwischen klinischer PatientInnenversor­gung, naturwissenschaftlicher Forschung und Labordiagnostik. Einerseits besteht die zentrale klinische Aufgabe der Human­genetik darin, seltene erbliche Krankheiten, beispielsweise bei Kindern mit Entwicklungsstörungen, richtig zu diagnostizieren und durch gezielte Laboruntersuchungen zu bestätigen. Nicht selten ergeben sich daraus auch Informationen für die Therapie oder für Früherkennungsmaßnahmen. Durch moderne humangenetische Methoden lassen sich auch bislang unverstandene Krank­heits­ bilder klären, was zu einer besseren Einordnung des klinischen Bildes und oft auch zu neuen Therapien führt. Mit der Abklärung genetischer Risiken besteht aber auch ein enormer Beratungsbedarf. Gerade bei Untersuchungen mit vorhersagendem (prädiktivem) Charakter, beispielsweise in Familien mit gehäuftem Vorkommen z.B. von Krebs oder Herz­krankheiten oder bei genetischen Spezialanalysen in einer Schwangerschaft, sollte unbedingt eine ergebnisoffene (non-direktive) standardisierte, fachärztliche humangenetische Beratung erfolgen. Dadurch erhalten die Betroffenen das Wissen und die Möglichkeiten, selber zu entscheiden, wie sie mit einem genetischen Risiko umgehen wollen.

(dh)     

Links:                                                                            

EMQN
Sektion für Humangenetik
Humangenetische Beratungs- und Untersuchungsstelle
Zentrale Liste Ringversuche:

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