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Medizin-Nobelpreis 2024: Ein Kommentar von Alexander Hüttenhofer, Sebastian Herzog und Kai Kummer

Am 10. Dezember, dem Todestag von Alfred Nobel, werden traditionell die Nobelpreise in Stockholm verliehen. Victor Ambros, der mit Gary Ruvkun den diesjährigen Nobelpreis für Physiologie und Medizin für wichtige Erkenntnisse zur Genregulation erhält, ist in Innsbruck bestens bekannt. Ein Kommentar von Alexander Hüttenhofer, Sebastian Herzog und Kai Kummer:

Manchmal dauern Medizin-Nobelpreise halt etwas länger - etwa über 30 Jahre...

Bis vor ca. 25 Jahren war in der humanen Genomforschung ein von fast allen beteiligten WissenschaftlerInnen akzeptiertes Bild jenes, dass das humane Genom in erster Linie aus protein-kodierenden Genen bestünde und sogenannte nicht-kodierende RNAs (auch ncRNAs genannt) eher nur einen kleinen Teil der Gene ausmachten. So hatte man in der ersten Sequenz des humanen Genoms, die 2001 publiziert wurde, zwar ca. 20.000 bis 30.000 protein-kodierende Gene gefunden aber nur ca. 700 ncRNA Gene (in erster Linie sogenannte tRNA Gene). Eine der Ausnahmen bildete bis dahin eine im Jahr 1993 vom diesjährigen Nobelpreisträger Victor Ambros identifizierte winzige, nur 21 Nukleotid lange ncRNA, die heute als microRNA lin-4 (abgekürzt lin-4 miRNA) bezeichnet wird. Es wurde dabei von Victor Ambros, der derzeitig an der University of Massachusetts Medical School (USA) lehrt und forscht, bereits Anfang der 90er Jahre gezeigt, dass diese miRNA in Nematoden, i.e. dem C. elegans Wurm, benötigt wird, um die Entwicklung von C. elegans vom 2. zum 3. Larvenstadium überhaupt zu ermöglichen (1). Das Neue dabei war, dass es sich hier nicht um ein protein-kodierendes Gen handelte, sondern dass die lin-4 miRNA selbst  – i.e. auf der Ebene der RNA –  in der Lage war, die Expression der protein-kodierende lin-14 mRNA zu regulieren. Sie wirkt dabei als eine Art „Genschalter“, der komplementär zum 3‘ Ende der lin-14 mRNA ist und der dadurch in der Lage ist, die Expression der lin-14 mRNA in ein Protein herunter zu regulieren. Das wiederum ist für die Entwicklung von C. elegans essentiell.

Zum damaligen Zeitpunkt (i.e. 1993) stellte das eine absolute Besonderheit dar. Es war nicht geklärt, ob es sich um eine Ausnahme, also eine Laune der Natur, handelte, oder ob es mehr von diesen ncRNA Spezies im menschlichen Genom gab. Mittlerweile ist aber klar, dass es mehrere Tausend dieser winzigen miRNAs und auch andere Klassen von ncRNAs nicht nur bei C. elegans, sondern auch beim Menschen gibt, die bei Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen. Sie korrelieren beispielsweise damit, ob Brustkrebs metastasierend wird oder nicht. Somit werden sie heute in der Medizin als Biomarker verwendet. Gleichzeitig können sie aber auch zur Therapie von Erkrankungen herangezogen werden.

Am Institut für Genomik und RNomik hat sich die Arbeitsgruppe von Alexander Hüttenhofer in der Vergangenheit mit der Rolle von ncRNAs und insbesondere auch mit miRNAs beschäftigt, die diese z.B. bei chronischen Nierenerkrankungen (1,2), bei neuronalen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson (3) oder bei viralen Infektionen (4,5) (z.B. EBV, SARS-Cov2) spielen und dabei auch als Biomarker für diese Erkrankungen verwendet werden können. Victor Ambros war  2012 als Sprecher beim Abschluss-Symposium des vom Institut für Genomik und RNomik geleiteten österreichischen Genomforschungspogramms Gen-AU (Projektleiter: Alexander Hüttenhofer) über ncRNAs und deren Rolle bei menschlichen Erkrankungen am Biozentrum in Innsbruck zu Gast.

BU: Abschluss-Symposium Gen-Au 2012: (v.l.) Norbert Polacek, Universität Bern, Zlatko Trajanoski, Medizinische Universität Innsbruck, Victor Ambros, University of Massachusetts Medical School (USA), Burkhart Rost, TU München und Alexander Hüttenhofer, Medizinische Universität Innsbruck (Foto: Ludger Hengst)

Neben dem Institut für Genomik und RNomik arbeiten derzeit noch weitere Arbeitsgruppen an der Medizinischen Universität Innsbruck an der Rolle von ncRNAs. Seit etwa zehn Jahren stehen ncRNAs auch im Fokus der experimentellen und klinischen Schmerzforschung in dem von der EU geförderten ncRNAPain-Konsortium um Michaela Kress am Institut für Physiologie. Ihr Team untersucht die Rolle von ncRNAs beim neuropathischen Schmerz (6), der Nervenregeneration sowie der Differenzierung humaner Nozizeptoren aus induzierbaren pluripotenten Stammzellen (7). miRNAs und ihre Regulation im Gehirn stehen im Mittelpunkt der Arbeiten von Kai Kummer (8). In der Arbeitsgruppe von Sebastian Herzog geht es v.a. um die Frage, wie miRNA generell entstehen, welche Rolle sie im Immunsystem spielen, und warum die fehlerhafte Expression einzelner miRNAs zur Krebsentstehung beitragen kann (9,10).

(Innsbruck, 28.11.2024, Kommentar: Alexander Hüttenhofer (ehem. Direktor, Institut für Genomik und RNomik), Kai Kummer (Institut für Physiologie), Sebastian Herzog (Institut für Entwicklungsimmunologie), Fotos: A. Hüttenhofer, L. Hengst)

(1) Lee, R.C., Feinbaum, R.L., and Ambros, V. (1993) The C. elegans heterochronic gene lin-4 encodes small RNAs with antisense complementarity to lin-14. Cell, 75: 843-854.

(2)  R. Khurana, G. Ranches, S. Schafferer, M. Lukasser, M. Rudnicki, G. Mayer, et al. (2017): Identification of urinary exosomal noncoding RNAs as novel biomarkers in chronic kidney disease. RNA,  New York, Vol. 23 Issue 2, 142-152.

(3)  G. Ranches, M. Zeidler, R. Kessler, M. Hoelzl, M. W. Hess, J. Vosper, et al. (2022): Exosomal mitochondrial tRNAs and miRNAs as potential predictors of inflammation in renal proximal tubular epithelial cells, Molecular Therapy - Nucleic Acids, Vol. 28, 794-813.

(4) R. Gstir, S. Schafferer, M. Scheideler, M. Misslinger, M. Griehl, N. Daschil, et al. (2014).:Generation of a neuro-specific microarray reveals novel differentially expressed noncoding RNAs in mouse models for neurodegenerative diseases, RNA (New York, N.Y.) Vol. 20 Issue 12, 1929 - 1943.

(5) J. Mrázek, S. B. Kreutmayer, F. A. Grässer, N. Polacek and A. Hüttenhofer (2007): Subtractive hybridization identifies novel differentially expressed ncRNA species in EBV-infected human B cells, Nucleic Acids Research, Vol. 35 Issue 10, 73-e73.

(6) Kalpachidou T, Kummer KK, Kress M.(2020): Non-coding RNAs in neuropathic pain., Neuronal Signal., Apr;4(1): NS20190099.

(7) https://nociceptra.streamlit.app

(8) Zeidler M, Hüttenhofer A, Kress M, Kummer KK (2020): Intragenic MicroRNAs Autoregulate Their Host Genes in Both Direct and Indirect Ways-A Cross-Species Analysis, Cells, Jan 17;9(1):232.

(9) K. Hutter, M. Lohmüller, A. Jukic, F. Eichin, S. Avci, V. Labi, et al. (2020): SAFB2 Enables the Processing of Suboptimal Stem-Loop Structures in Clustered Primary miRNA Transcripts, Mol Cell.,Vol. 78 Issue 5 Pages 876-889.

(10) K. Hutter, T. Rülicke, T.G. Szabo, L. Andersen, A. Villunger and S. Herzog (2022): The miR-15a/16-1 and miR-15b/16-2 clusters regulate early B cell development by limiting IL-7 receptor expression, Front Immunol., Vol. 13:967914.

 

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