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ONCOTYROL-i-med: Gezielte Suche nach Naturstoffen

Der Medizinischen Universität Innsbruck (i-med) ist es ein Anliegen, die hier in Innsbruck erzielten Ergebnisse der Grundlagenforschung schnell und sorgfältig geprüft ans Krankenbett zu bringen. Daher engagiert sie sich in dem großen akademisch-industriellen Forschungsverbund ONCOTYROL Center for Personalized Cancer Medicine. Viele i-med-Wissenschaftler und -Kliniker leiten Forschungsprojekte oder ganze Bereiche in ONCOTYROL. Diese Serie stellt in regelmäßiger Folge i-med/ONCOTYROL-Forschung und deren Ergebnisse vor.

Tumorzellen haben raffinierte Tricks, um dem Zelltod durch Chemotherapeutika zu entgehen. Einer dieser Tricks besteht darin, große Mengen des Zelltod-Hemmers XIAP zu produzieren. Wissenschaftler an der Medizinischen Universität und der Leopold Franzens Universität in Innsbruck entwickeln im Rahmen von ONCOTYROL eine Gegenstrategie. Sie suchen gezielt nach Naturstoffen, die XIAP hemmen. Diese Substanzen sollen helfen, Krebszellen empfindlich gegen niedrige Dosen von Chemotherapeutika zu machen.

Der programmierte Zelltod, die Apoptose, spielt bei allen mehrzelligen Organismen eine entscheidende Rolle, um defekte oder infizierte Zellen loszuwerden. Er wird unter anderem durch sogenannte Caspasen ausgeführt. Das sind Enzyme, die Proteine zerschneiden und somit die Zelle regelrecht in ihre Einzelteile zerlegen. Ihre Gegenspieler sind Zelltod-Hemmer, darunter das Protein XIAP. Es gehört zur Familie der inhibitor of apoptosis proteins (IAP). Diese Eiweißstoffe binden die todbringenden Caspasen, machen sie dadurch unschädlich und markieren sie zum Abbau. Auf diese Weise verhindern sie im gesunden Organismus, dass die Zelle „aus Versehen“, z. B. durch eine fehlerhaft aktivierte Caspase, oder bei nur geringen Schäden „Selbstmord“ begeht.

Tumoren nutzen Notfallsystem des Körpers aus

Tumoren nutzen dieses Notfallsystem des Körpers geschickt für ihre eigenen Zwecke aus: Sie überexprimieren XIAP, das heißt sie produzieren viel zu viel davon. Egal auf welche Weise nun die todbringenden Caspasen aktiviert werden, sie werden von den im Übermaß vorhandenen Zelltod-Hemmern abgefangen und neutralisiert. Immunsystem und Chemotherapeutika haben dadurch große Schwierigkeiten, die Krebszellen in den Tod zu schicken, denn beide sind auf die zerstörende Wirkung der Caspasen angewiesen. Mediziner haben schon vor längerem herausgefunden, dass XIAP in vielen Tumoren im Übermaß vorhanden ist. Diese Tumore sind für Chemotherapeutika weniger empfindlich, so dass die Patienten besonders hohe Dosen der belastenden Medikamente bekommen müssen.

Dagegen wollen Wissenschaftler im Rahmen von Oncotyrol Center for Personalized Medicine nun etwas unternehmen. Priv.-Doz. Dr. Michael Ausserlechner vom Department für Pädiatrie der Medizinischen Universität Innsbruck und Univ. Prof. Hermann Stuppner vom Institut für Pharmazie der Leopold Franzens Universität und ihre Teams suchen in Zusammenarbeit mit Frau Dr. Petra Obexer (Univ.-Klinik für Pädiatrie IV und Tiroler Krebsforschungsinstitut) und Frau Prof. Angelika Vollmar (LMU München) nach Substanzen, die die in Tumorzellen erhöhte Aktivität von XIAP wieder auf ein Normalmaß herunterfahren. Wenn sie erfolgreich sind, könnten Patienten, deren Tumore ein Übermaß an XIAP aufweisen, gezielt mit der neuen Substanz behandelt werden – genau wie es dem Ziel der „personalisierten Medizin“ entspricht.

Pharmacophor-Modell und Testsystem entwickelt

Prof. Stuppner hat gemeinsam mit Dr. Gerhard Wolber von der Firma Inte:ligand ein Pharmacophor-Modell von XIAP entwickelt. Das ist ein Computermodell, das die bekannte dreidimensionale Struktur von XIAP, bzw. von dem Teil des Proteins, an das die Caspasen binden, nachbildet und mit dem man passende chemische Inhibitoren für dieses Molekül finden kann. Prof. Stuppner hat an seinem Institut eine Daten- und Biobank von 140 000 Naturstoffen aufgebaut. Dabei handelt es sich vor allem um pflanzliche Inhaltstoffe, aber auch Substanzen aus Pilzen, Bakterien und anderen biogenen Quellen sind dabei. Die Datenbank wird mit Hilfe des Pharmacophor-Modells nach Substanzen durchsucht, die XIAP binden und somit inhibieren können.

Unterdessen entwickeln Priv. Doz. Dr. Ausserlechner und Dr. Petra Obexer ein Testsystem, mit dem sie prüfen können, ob die im Computer gefundenen Substanzen tatsächlich an XIAP binden. Sie haben bereits erste Fortschritte erzielt: Es ist ihnen gelungen, die Bindungsstelle von XIAP in löslicher, und somit handhabbarer Form, herzustellen. Diese Bindungsstelle ist eine Hauptkomponente des Testsystems. Der Test soll dann wie folgt funktionieren: Die im Computer gefundene Testsubstanz wird auf die XIAP Bindungsstelle gegeben. Auch eine fluoreszenzmarkierte Prüfsubstanz wird hinzugefügt, von der bekannt ist, dass sie an XIAP bindet. Ist die Bindungsstelle aber bereits von der Testsubstanz blockiert, kann die fluoreszenzmarkierte Prüfsubstanz nicht mehr andocken – und diese Tatsache lässt sich anhand der Wellenlänge des Fluoreszenzlichts erkennen. Dann hat sich die Testsubstanz als „echter“ Treffer bewährt und wird dann an kultivierten Tumorzellen und im Tiermodell getestet. Die Erkenntnisse der ForscherInnen können auch helfen, das Computermodell der Wirklichkeit besser anzupassen und noch genauere Treffer zu liefern.

Einmalig in diesem Projekt ist die Konzentration auf Naturstoffe, um XIAP zu neutralisieren. Dahinter steht die Hoffnung, das bekannte aber noch weitgehend ungenutzte Potential natürlicher Heilpflanzen und anderer Naturstoffe auszuschöpfen und für die personalisierte Krebsmedizin zu nutzen.

Hintergrund ONCOTYROL

ONCOTYROL ist ein Verbund kompetenter Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft zur beschleunigten Entwicklung und Evaluierung individualisierter Krebstherapien, sowie prognostischer und präventiver Methoden. Im Bereich der Wissenschaft stehen die drei Tiroler Universitäten im Zentrum, insbesondere die Medizinische Universität. Die Universitäten arbeiten mit internationalen Wissenschaftspartnern wie der Harvard Medical School zusammen. Auf Seiten der Wirtschaft sind regionale, überregionale und international agierende Konzerne beteiligt. ONCOTYROL wurde im Rahmen des Strukturprogramms COMET der österreichischen Bundesregierung in Innsbruck gegründet und wird mit nationalen und Landesmitteln zu rund 50% gefördert. Gemanagt wird das Großprojekt von der Innsbrucker CEMIT GmbH Center of Excellence in Medicine and IT.

Besondere Bedeutung der Medizinischen Universität

Die i-med ist in allen Bereichen von ONCOTYROL, ob wissenschaftlich oder strategisch, entscheidend beteiligt: Sie ist Gesellschafterin, Konsortialpartnerin, stellt die wissenschaftliche Leitung (Prof. Lukas Huber), stellt drei von fünf Area-Leitern (Prof. Helmut Klocker, Prof. Gottfried Baier und Prof. Günther Gastl) und mehr als die Hälfte aller Projektleiter. Die i-med leitet mehr als die Hälfte der ONCOTYROL-Projekte.