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Inhalt

 

 Ovarialkarzinom

 Jedes Jahr erkranken in Europa mehr als 65.000 Frauen an einem Ovarialkarzinom, davon sind im Jahr 2012 42.000 Frauen verstorben. Es gibt in der Inzidenz ein Nord-Süd-Gefälle, insgesamt verbleibt aber das Ovarialkarzinom als der fünfthäufigste bösartige Tumor bei Frauen und die vierthäufigste Krebstodesursache. Es gibt derzeit keine empfohlene Früherkennungsmöglichkeit, allerdings treten unspezifische Symptome, wie gastrointestinale Beschwerden, Harndrang, Zunahme des Bauchumfanges, bei einem großen Teil der Patientinnen auch schon frühzeitig auf. Die Familienanamnese ist außerordentlich bedeutsam, da etwa 10% der Patientinnen eine genetische Veranlagung aufweisen, wobei die Veränderungen in den BRCA-1- und -2-Genen am häufigsten sind. Aus diesem Grund sollte Frauen aus Familien mit Brust- und/oder Ovarialkarzinom eine genetische Beratung angeboten werden (1,2).

Beim Ovarialkarzinom werden mehrere histologische Typen unterschieden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einer unterschiedlichen Genese entsprechen. Das endometroide und klarzellige Ovarialkarzinom dürfte im Wesentlichen aus Endometrioseherden bzw. im Rahmen der retrograden Menstruation entstehen. Bei muzinösen Tumoren wird häufig von einer gastrointestinalen Genese ausgegangen. Vor allem die schlecht differenzierten serösen Ovarialkarzinome, die den Großteil der fortgeschrittenen Tumore ausmachen, dürften hingegen von einem Tubenkarzinom ihren Ursprung nehmen. Dies hat in den letzten Jahren zur Hypothese geführt, dass eine prophylaktische Entfernung der Tuben, z.B. im Rahmen der Sterilisation, zu einer Reduktion der Inzidenz des Ovarialkarzinoms führen könnte (3,4).

Operation:

Der erste und entscheidende Behandlungsschritt beim Ovarialkarzinom ist die primäre operative Therapie. Das Ziel dabei ist die Entfernung aller Tumorläsionen im Rahmen einer sogenannten „Debulking Operation“. Das operative Ziel ist, keinen makroskopisch sichtbaren Resttumor zu belassen. Dies bedeutet oftmals komplexe interdisziplinäre Eingriffe mit Resektion von Darm, Milz, Leberteilresektionen, Zwerchfell, Peritoneum, Lymphknoten, usw.. Zahlreiche Analysen belegen, dass spezialisierte Zentren aus diesem Grund auch bessere Ergebnisse in der Behandlung des Ovarialkarzinoms erreichen (5,6).

Neoadjuvante Chemotherapie:

Die neoadjuvante Chemotherapie kann nur bei einem sehr kleinen Teil der Patientinnen mit Ovarialkarzinom, die primär inoperabel oder in einem schlechten Allgemeinzustand sind, empfohlen werden (7,8). Hierzu sind in den letzten Jahren zwei Studien veröffentlicht worden, die zeigten, dass eine vorgeschaltete neoadjuvante Chemotherapie eine bessere Operabilität induziert, bei letztlich gleichen Überlebensraten. Diese Studien wurden allerdings auch heftig kritisiert, insbesondere da die operative Therapie im Rahmen der Primäroperation nicht dem empfohlenen Standard entsprochen hat.

Postoperative Chemotherapie:

Die Intention dieser Therapie ist die Heilung, die derzeit bei 30% der Patientinnen erreichbar ist. Sie besteht aus sechs Zyklen Chemotherapie mit Carboplatin (Generika) und Paclitaxel (Abraxane, Generika), die alle drei Wochen durchgeführt wird. Auf die Chemotherapie wird nur bei frühen Stadien mit hochdifferenzierten Tumoren verzichtet (FIGO IA/IB, G 1: 9,10).

Diese Kombination war nun für über 15 Jahre der klinische Standard und Versuche, durch Zugabe eines dritten Chemotherapeutikums oder aber eine sequentielle Gabe um die Ergebnisse zu verbessern, sind gescheitert.

Die typischen Nebenwirkungen der Kombinationstherapie mit Carboplatin und Paclitaxel sind Blutbildveränderungen, insbesondere Neutropenie und Thrombozytopenie, Alopezie, Nausea und sensorische Polyneuropathie (10-12).

Alternative Verabreichungsformen und dosisdichte Regimes wurden ebenfalls analysiert. Die intraperitoneale Chemotherapie weist klare pharmakokinetische Vorteile auf. Mehrere prospektiv randomisierte Studien haben auch einen klinischen Vorteil, mit Verbesserung des progressionsfreien Überlebens (PFS) gezeigt; das mediane progressionsfreie Überleben wurde von 18 auf 24 Monate verlängert und das Gesamtüberleben (OS) von 50 auf 66 Monate. Allerdings hat diese Behandlung keine weite Verbreitung gefunden, da es zahlreiche Kritikpunkte zu den Studien gegeben hat (13,14). Insbesondere haben sich die beiden Studienarme meist nicht nur durch die intraperitoneale und intravenöse Gabe unterschieden, sondern auch durch Dosierung und Sequenz. Derzeit laufende Untersuchungen sollen die Rolle der intraperitonealen Therapie jedoch klären. Die Effizienz einer dosisdichten Applikation von Paclitaxel, d.h. Erhöhung der Dosierung und wöchentliche Gabe, konnte durch eine japanische Studie beobachtet werden, mit einer Verbesserung von PFS und OS. Das dosisdichte Regime führte zu einer deutlichen Zunahme der Hämatotoxizität mit einem hohen Prozentsatz an Patientinnen, die diese Behandlungsform nicht tolerierten. Darüber hinaus steht eine Bestätigung des günstigen therapeutischen Effektes in nicht-asiatischer Bevölkerung noch aus (15).

Postoperativ zielgerichtete Therapie:

Angiogenese ist ein wichtiger Faktor in der Tumorbiologie des Ovarialkarzinoms. Der vaskular endotheliale Wachstumsfaktor (VEGF) ist ein prognostisch relevanter Parameter und kausal an der Entstehung des Tumoraszites assoziiert. Die Kombination von Carboplatin/Paclitaxel plus Bevacizumab (Avastin) und darüber hinaus noch eine Erhaltungsbehandlung über 12 – 15 Monate hat in zwei unabhängigen Studien zu einer Verbesserung des progressionsfreien Überlebens (10,6 bzw. 17,4 Monate in der Kontrollgruppe und 18,2 bzw. 19,8 Monate in der Bevacizumab-Gruppe) geführt (16,17). Dies hat auch die europäische Zulassungsbehörde bewogen, für die Indikation „fortgeschrittenes Ovarialkarzinom“, definiert ab Stadium IIIb, die Substanz zuzulassen. Der größte Effekt wurde in der sogenannten Hochrisikogruppe beobachtet, das sind Patientinnen mit Fernmetastasen (FIGO IV) oder einer Resttumorgröße >1cm. In einer Interimsanalyse wurde für diese Patientinnengruppe auch das Gesamtüberleben verbessert. Allerdings muss erwähnt werden, dass für die sogenannte Niedrigrisiko-Gruppe die Anzahl der Ereignisse für eine statistische Analyse noch nicht ausreichend sind. Diese Ergebnisse haben dazu geführt, dass in den meisten europäischen Leitlinien, wie z.B. der ESMO (European Society for Medical Oncology), die Hinzugabe von Bevacizumab bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom im Stadium IV und suboptimaler Operation empfohlen wird. Darüber hinaus gibt es eine weitere Studie mit einem Inhibitor der Angiogenese, dem Multikinasehemmer Pazopanib (Votrient), der in der Erhaltungstherapie von Patientinnen mit Ovarialkarzinom zu einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens geführt hat (medianes PFS 12,3 Monate in der Kontrollgruppe und 17,9 Monate in der Pazopanib-Gruppe). Das Nebenwirkungsprofil der zielgerichteten Therapie unterscheidet sich deutlich von der konventionellen Chemotherapie. Bei Bevacizumab ist es in erster Linie die Hypertension, die bei etwa 20% der Patientinnen auftritt. Bei Pazopanib wurde eine höhere Nebenwirkungsrate beobachtet, die auch bei einem Drittel der Patientinnen zu einem Abbruch der Therapie geführt hat. Diese Therapie ist auch lediglich als Monotherapie ohne Kombination mit einem Zytostatikum möglich.

Rezidivtherapie bei platinsensitiven Tumoren:

Trotz der Primärtherapie erleben 60-70% der Patientinnen innerhalb der ersten drei Jahre einen Rückfall. Die weitere nunmehr palliative Behandlungsstrategie hängt in erster Linie vom sogenannten „therapiefreien“ Intervall ab. Je länger der Abstand zur letzten platinhältigen Chemotherapie besteht, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Patientin auf eine neuerliche Exposition mit Platin reagiert. Als Grenze gelten sechs Monate therapiefreies Intervall. Für die sogenannten platinsensitiven Rezidive sollte jedoch vorerst auch eine neuerliche operative Therapie erwogen werden (18). Diese kann, sofern eine neuerliche Tumorfreiheit erzielt wird, aufgrund retrospektiver Analysen eine Verbesserung des Gesamtüberlebens erwarten lassen. Prospektiv randomisierte Studien, die die Bedeutung der operativen Therapie in der Rezidivsituation beleuchten, werden derzeit durchgeführt. Für Patientinnen mit platinsensitivem Rezidiv gilt in weiterer Folge eine Chemotherapie auf Platinbasis als indiziert. Es konnte belegt werden, dass eine Kombinationsbehandlung der alleinigen Monotherapie überlegen ist. Für Kombinationen mit Paclitaxel, Gemcitabin (Gemzar, Generika) und pegyliertem liposomalen Doxorubicin (Caelyx, Generika) wurde ein Zugewinn an progressionsfreiem Überleben belegt (medianes PSF für Carboplatin mono 5,8 Monate, für Carboplatin/Gemcitabin 8,6 Monate, für Carboplatin/Paclitaxel 9,4 Monate, für Carboplatin/pegyliertes liposomales Doxorubicin 11,3 Monate: 19-21). Aufgrund der relativ hohen Neurotoxizität durch eine neuerliche Exposition mit Paclitaxel wird den anderen beiden Substanzkombinationen, nämlich Gemcitabin und pegyliertem liposomalen Doxorubicin der Vorzug gegeben. Kürzlich hat eine prospektiv randomisierte Phase III Studie Bevacizumab in der Kombination mit Carboplatin und Gemcitabin untersucht. Auch hier konnte wiederum eine Verlängerung des PFS mit einer erstaunlich hohen Hazard ratio von knapp 0,5 beobachtet werden (medianes PFS für Carboplatin/Gemcitabin 8,4 Monate, Carboplatin/Gemcitabin plus Bevacizumab 12,4 Monate: 22). Auch für diese Indikation gibt es aus diesem Grund eine Zulassung der europäischen Behörde. Für Patientinnen mit einem platinsensitiven Rezidiv und einem krankheitsfreien Intervall von 6 – 12 Monaten kann auch eine Kombination mit pegyliertem liposomalen Doxorubicin und Trabectedin (Yondelis) in Erwägung gezogen werden.

Rezidivtherapie bei platinresistenten Tumoren:

Bei Patientinnen mit platinresistentem Ovarialkarzinomrezidiv ist die Prognose deutlich schlechter und das Hauptziel der Therapie sollte auf die Verbesserung der Lebensqualität und Symptomkontrolle gerichtet werden. Eine wesentliche Beeinflussung des progressionsfreien Überlebens oder gar Gesamtüberlebens ist in dieser Phase nicht mehr realistisch. Für diese Population kann man von einem medianen Gesamtüberleben von weniger als 12 Monaten ausgehen. Derzeit gibt es vier empfohlene Medikamente zur Therapie in dieser Krankheitsphase: Paclitaxel wöchentlich, Topotecan (Hycamtin, Generika), pegyliertes liposomales Doxorubicin und Gemcitabin. Diese haben in Phase III Studien eine Aktivität belegt, mit Ansprechraten von nicht mehr als 15% und einem medianen progressionsfreien Überleben von 3 – 4 Monaten (23,24). Unter Umständen kann eine neuerliche Exposition mit Platin in einem dosisdichten Regime versucht werden. Keine der Substanzen hat jedoch einen Vorteil gegenüber den anderen gezeigt. Die einzige positive Studie war der Vergleich dieser Chemotherapieformen mit der Kombination mit Bevacizumab, bei der wiederum eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens erreicht wurde (medianes PFS in der Chemotherapiegruppe 3,4 Monate, in der Chemotherapie plus Bevacizumab-Gruppe 6,7 Monate). In besonderem Maße konnte durch Kontrolle der Aszitesproduktion und Symptombesserung auch eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden. Allerdings gibt es für diese Indikation des Bevacizumab noch keine Zulassung der EMA (25).

Zusammenfassung:

Die Therapie des Ovarialkarzinoms hat sich mit einer Kombination von aggressiver operativer Therapie, die häufig von interdisziplinären Teams geleistet wird, und Chemotherapie in Kombination mit zielgerichteter Behandlung gewandelt. Zwar konnte die Gesamtheilungsrate nicht verbessert, allerdings das progressionsfreie Überleben und die mediane Überlebenszeit deutlich verlängert werden. Oftmals gelingt es, durch sequentielle Gaben von Zytostatika immer wieder Remissionen zu induzieren und damit eine chronische Krankheit auszulösen. Letztlich bleibt allerdings das Ovarialkarzinom als eine häufige Krebstodesursache zurück und Bestrebungen, die Heilungsraten zu verbessern, sind bisher vergebens geblieben. Aufgrund des Fehlens von Screening-Maßnahmen kann nur durch Prophylaxe die Inzidenz beeinflusst werden. Orale Kontrazeptiva und möglicherweise Entfernung der Tuben könnten langfristig zu einer deutlichen Reduktion der Erkrankungshäufigkeit führen. 

Literatur:
(1)    U.S. Cancer Statistics Working Group; http://www.cdc.gov/uscs
(2)    J Clin Oncol 30,2654,2012
(3)    Int J Gynecol Cancer 20,945,2010
(4)    Histopathology 62,44,2013
(5)    Cancer 115,1234,2009
(6)    NEJM 332,629,1995
(7)    NEJM 363,943,2010
(8)    Oncology 10,942,2011
(9)    Cochrane Database Syst Rev CD004706,2009
(10)  J Natl Cancer Inst 95,1320,2003
(11)  J Clin Oncol 18,3084,2000
(12)  J Clin Oncol 21,3194,2003
(13)  NEJM 354,34,2006
(14)  Int J Gynecol Cancer 17,561,2007
(15)  Lancet 374,1331,2009
(16)  NEJM 365,2473,2011
(17)  NEJM 365,2484,2011
(18)  Int J Gynecol Cancer 21,771,2011
(19)  Lancet 361,2099,2003
(20)  Eur J Cancer Suppl 3,104,2011
(21)  J Clin Oncol 28,3323,2010
(22)  J Clin Oncol 30,2039,2012
(23)  J Clin Oncol 28,3107,2010
(24)  Ann Oncol 22,39,2011
(25)  J Clin Oncol 30, suppl, abstr LBA5002,2012s

 

Ulipristalacetat (Esmya)

L. Wildt, Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Medizinische Universität Innsbruck.

Zur medikamentösen Therapie von Myomen wurde 2012 das Präparat Esmya (Ulipristalacetat 5 mg) mit der folgenden Indikation zugelassen: Zur Behandlung mittlerer und starker Symptome von Gebärmutter-Myomen, für die eine Operation vorgesehen ist. Die Dauer der Behandlung ist auf 3 Monate beschränkt. Myomata Uteri sind die häufigsten gutartigen Tumore der Frau, die sich durch Blutungsstörungen, Unterbauchschmerzen, Sub- und Infertilität manifestieren. Sie treten mit zunehmender Häufigkeit nach dem 30. Lebensjahr auf.

Die medikamentöse Therapie von Myomata Uteri war bisher unbefriedigend. Zwar wurden GnRH-Analoga (Triptorelin: Decapeptyl; Leuprorelin: Enantone-Gyn) eingesetzt, deren Anwendung ist jedoch mit erheblichen Nebenwirkungen und einem nur temporären Erfolg verbunden, so dass bei Frauen mit abgeschlossener Familienplanung die Hysterektomie immer noch eine häufig eingesetzte Therapieoption darstellt. Noch unbefriedigender ist die Situation bei Patientinnen mit Kinderwunsch oder habituellen Aborten, bei denen die Myomenukleation die einzige effektive Therapie darstellt.

Ulipristalacetat gehört zu der Gruppe der selektiven Progesteronrezeptor-modulatoren (SPRMs: 1). Diese stellen eine neue Klasse von Progesteronrezeptorliganden dar, welche gewebespezifisch agonistische, antagonistische oder gemischt agonistische/antagonistische Wirkung entfalten. Ulipristalacetat hemmt in vitro die Proliferation von Leiomyomazellen und induziert die Apoptose. Dieser Effekt ist anscheinend auf Leiomyomazellen beschränkt und in normalen Myometriumzellen nicht nachweisbar. Dies war der Grund, die Wirkung von Ulipristalacetat in zwei randomisierten doppelblinden internationalen Studien (Pearl I und II) auf Myomata Uteri in symptomatischen Frauen mit verstärkter uteriner Blutung zu untersuchen (2,3). Ursprünglich wurde das Präparat zur postkoitalen Kontrazeption entwickelt und unter dem Namen ellaOne zugelassen (siehe Pharmainfo XXVII/2/2012).

Voraussetzung für den Einschluss in beide Studien waren verstärkte Blutungen, ein vergrößerter Uterus (<16. SSW.), mindestens ein isoliertes Myom >3 cm <10 cm und ein BMI von 18 – 40 kg/qm. In der Pearl I-Studie war eine Anämie von weniger als 10,2 g/dL Hämoglobin Voraussetzung. Primärer Endpunkt in beiden Studien war der Anteil der Patientinnen, bei denen die uterine Blutung nach 13 Wochen kontrolliert war. In der Pearl I-Studie erfolgte die Randomisierung mit 5 oder 10 mg Ulipristalacetat täglich gegen Placebo, in der Pearl II-Studie wurde zusätzlich gegen die monatliche intramuskuläre Injektion von Leuprorelinacetat randomisiert. Kontrolluntersuchungen erfolgten nach dem Abschluss der Studie in der Woche 17, 26 und 38.

In beiden Studien (2,3) kam es nach 13 Wochen zu einer Blutungskontrolle (90 bzw. 91% nach Ulipristal versus 19% mit Placebo und 89% mit Leuprorelin), wobei diese im Durchschnitt schneller als mit Leuprorelin (median time 7 versus 21 Tage mit Leuprorelin) eintrat.

Das Myomgesamtvolumen wurde durch Ulipristal um 20 bzw. 21% reduziert (Placebo: + 3%, Leuprorelin: - 47%). Für die 3 größten Myome war die Reduktion minus 36% für Ulipristal bzw. minus 53% für Leuprorelin: 2,3). Eine Volumenabnahme um 40% reduziert den Durchmesser eines Myoms von z.B. 10 cm auf 8,3 cm. Die Behandlung mit Ulipristal war mit weniger (10% versus 40%) Hitzewallungen verbunden als mit Leuprorelinacetat.

Die Behandlung mit Ulipristal führt zu einer Verdickung des Endometriums, die bei 7 – 11% der Frauen über eine Dicke von 16 mm hinausging und von histologischen Veränderungen begleitet war („cystic hyperplasia“). Nach Ende der Behandlung bildeten sich diese Veränderungen wieder zurück. Ob es bei einer Langzeitbehandlung zu verstärkten Hyperplasien und letztlich zu malignen Veränderungen kommen kann, ist derzeit ungeklärt (siehe EMA, EPAR).

Zusammenfassung: Ulipristal reduziert uterine Blutungen bei Myompatientinnen und reduziert die Myomgröße. Dies kann vor einer Operation nützlich sein, allerdings wird der Durchmesser eines Myoms z.B. von 10 cm nur auf 8,3 cm verringert. Eine über 3 Monate hinausgehende Behandlung im Rahmen eines off label use ist derzeit nicht zu empfehlen, da maligne Veränderungen des Endometriums durch eine Dauertherapie mit dieser Substanz nicht ausgeschlossen werden können. Langzeitstudien zu dieser Frage laufen.

Literatur:
(1)  Drugs 72,1075,2012
(2)  NEJM 366,409,2012
(3)  NEJM 366,421,2012

 

 

Update Durchfall und Rifaximin (Colidimin)

Wir haben in der Pharmainfo XV/1/2000 die Reisediarrhoe besprochen. Trotz des längeren Zeitintervalls sind die meisten Aussagen von damals noch immer gültig (abrufbar im Internet „Pharmainformation“, 1. Eintrag: dort auch noch Zugang über Stichwortsuche). Wir diskutieren hier vor allem für Reisediarrhoe eine neue Substanz und neuere Gesichtspunkte.

Reisediarrhoe

Bei den verursachenden Keimen stehen nach wie vor Escherichia coli (enterotoxische: ETEC und enteroaggregative: EAEC) im Vordergrund, die ca. die Hälfte aller identifizierten Erreger ausmachen. Daneben können je nach geographischer Region invasive Bakterien (wie Campylobacter, Salmonellen oder Shigellen), Staphylokokken und Clostridien (v.a. auf verdorbenen Lebensmitteln), Viren (v.a. Noro- und Rotaviren) sowie Parasiten (v.a. Giardia lamblia, seltener Entamöben) ursächlich eine Reisediarrhoe bedingen (1, 1a).

Der Reisedurchfall mit 3 – 6 wässrigen Stühlen pro Tag klingt meist nach eher dramatischem Beginn innerhalb von 3 – 5 Tagen selbstlimitierend ab. Wenn man also nicht gerade eine ganztägige Busfahrt vor sich hat, ist abzuwarten – insbesondere da viele Diarrhoen schon nach 24 Stunden abklingen – zweckmäßig, wobei ja gleichzeitig eine beschleunigte Ausscheidung von Toxinen und Bakterien aus dem Darm erfolgt.

Behandlung:

Loperamid (Generika, Imodium)

Diese Substanz ist ein synthetisches Opioid, das die Darmmotilität hemmt. Die Wirkung (Abnahme der Stuhlfrequenz) tritt rasch ein und die Durchfalldauer wird insgesamt verkürzt (2-4). Die Anwendungsdauer ist mit zwei Tagen begrenzt, da bei längerem Gebrauch Obstipationen auftreten, die in seltenen Fällen bis zum Ileus gehen. Dies ist insbesondere bei Kindern ein Problem (5), sodass Loperamid für Kinder unter 12 Jahren laut Fachinformation nicht anzuwenden ist. Bei Zeichen von invasiven Infektionen (Blut im Stuhl, Fieber) ist Loperamid kontraindiziert.

Rifaximin (Colidimin)

Diese Substanz haben wir in der Pharmainfo noch nicht besprochen. Es ist ein Antibiotikum mit einem breiten Wirkspektrum (einschließlich der oben genannten Keime außer Viren), das im Darm nur minimal resorbiert wird und daher keine systemischen Wirkungen, bzw. auch Nebenwirkungen entfaltet. Dies bedeutet aber, dass es nur gegen nicht invasive Keime eingesetzt werden kann. Getestet in einer Doppelblindstudie gegenüber Placebo (n = 380) reduziert es die Zeit bis zum letzten ungeformten Stuhl von 60 auf 32 Stunden (6). Verglichen mit Ciprofloxacin (Generika, Ciproxin) hatte es eine vergleichbare Wirkung bei nicht invasiven Keimen, bei invasiven war es erwartungsgemäß schlechter wirksam (7).

Gegenüber Loperamid zeigte eine allerdings nicht geblindete Studie (n = 350) eine schnellere Reduzierung der ungeformten Stühle durch Loperamid versus Rifaximin am ersten Tag, im gesamten Verlauf aber keinen Unterschied (4). Die mittlere Dauer bis zur Beendigung der Durchfälle war für Rifaximin kürzer (48 h) als für Loperamid (70 h). Es ist nicht überraschend, dass am ersten Tag die Hemmung der Peristaltik durch Loperamid sich rasch auswirkt, dann aber die antibakterielle Wirkung von Rifaximin aufholt und den Durchfall im Gesamten etwas stärker reduziert. Als Nebenwirkungen sind gastrointestinale Symptome wie Flatulenz, Übelkeit und Schmerzen beschrieben, die aber auch für die Grunderkrankung typisch sind.

Weitere Indikationen:

Rifaximin ist in Österreich noch für weitere Indikationen zugelassen, wobei die Datenlage unterschiedlich ist. Wir zitieren zu den einzelnen Indikationen rezentere Übersichtsartikel, die eine kritische Bewertung vorgenommen haben. Bei hepatischer Enzephalopathie soll Rifaximin die Ammoniak-Produktion der Darmflora senken und damit die hepatische Enzephalopathie bessern. Für die Prävention von Episoden, aber auch für ihre Therapie sind schwer resorbierbare Disaccharide (Lactulose: Generika, Duphalac, Lactitol: Importal) in primärer Verwendung. Die Wirkung von Rifamixin ist vergleichbar aber nicht besser (8,9), wobei die Verträglichkeit gut ist, aber Langzeitrisiken (bakterielle Resistenzen, Clostridium difficile Infektionen) nicht völlig geklärt sind (8). Rifaximin ist als alternatives Mittel oder auch als Zusatztherapie zu vertreten (8,9).

Für unkomplizierte Divertikulose ist die Standardtherapie faserreiche Kost und Stuhlregulierung (allerdings „there is little evidence to support their use“: 10), ein Zusatz von Rifaximin zur Symptomreduzierung und zur Prävention von Divertikulitis wurde in mehreren Studien, davon viele nicht geblindet, untersucht. Eine Wirkung erscheint möglich (10; „low quality evidence“: 11,12).

Zur Behandlung und Rezidivverhütung bei Clostridium difficile Darminfektionen lassen die vorliegenden Daten einen mit Vancomycin (Generika) vergleichbaren Effekt möglich erscheinen (13-15), aber weitere „aussagekräftige klinische Studien sind dringend notwendig“ (13) um den Stellenwert dieses Antibiotikums in Relation zur Standardtherapie mit Metronidazol (Generika) und Vancomycin, bzw. auch mit Fidaxomicin (Dificlir), das kürzlich für diese Indikation eine europäische Zulassung erhalten hat, zu definieren. Ungeklärt ist, inwieweit eine relativ rasche Resistenzentwicklung bei Rifaximin die Nützlichkeit einschränkt (16).

Beim bakteriellen Überwucherungssyndrom scheint Rifaximin, so wie andere Antibiotika, wirksam zu sein. Auf Grund der mangelnden Qualität der Studien (z.B. kleine Zahlen, meist nicht geblindet) und ihrer kurzen Dauer (13) kann über die Vergleichbarkeit mit anderen Antibiotika und über die Nachhaltigkeit der Wirkung keine sichere Aussage getroffen werden.

Zusammenfassend kann für Rifaximin eine Wirkung und eine entsprechende Indikation bei Reisediarrhoe oder bei hepatischer Enzephalopathie als belegt angesehen werden, bei den anderen Indikationen erscheint eine Wirkung zwar gegeben, die Datenlage ist aber unzureichend um einen Platz in der Therapie zu definieren. Es ist daher nicht überraschend, dass nur die ersteren Indikationen in Ländern mit einer kritischen Zulassung (wie England und USA) registriert sind.

Antibiotika:

Bei invasiven Formen der Reisediarrhoe sind Antibiotika wirksam (17) und das Chinolon Ciprofloxacin (Generika, Ciproxin) ist für diese Indikation auch zugelassen. In Gegenden mit Campylobacter Infektionen ist wegen der Resistenz gegenüber Chinolonen Azithromycin (Generika, Zithromax) vorzuziehen, das auch bei Schwangeren und Kindern gegeben werden kann und generell weniger Nebenwirkungen hat (Pharmainfo XV/1/2000).

Allerdings haben wir berichtet (Pharmainfo XXVII/3/2012), dass dieses Antibiotikum das Risiko kardiovaskulärer Todesfälle erhöht, dies dürfte aber vor allem nur für kardiovaskulär vorbelastete PatientInnen gelten (18).

Obsolete Mittel:

Wie wir schon berichteten (Pharmainfo XV/1/2000) sind Adsorbentien (Tierkohle: Biocarbon, Carbo Medicinalis, Carbosorb, Norit) und Adstringentien (Tannalbin) nicht belegt wirksam (siehe auch World Gastr Org Global Guideline: Diarrhoe 2012). Bei einer Erkrankung, die selbstlimitierend ist, erweckt ihre Einnahme oft den Eindruck einer guten Wirkung. Der alte Grundsatz „post hoc ist nicht unbedingt propter hoc“ gilt auch hier.

Probiotika:

Resultate für diese Mittel bei Reisediarrhoe sind inkonsistent (siehe Pharmainfo XV/1/2000) und eine rezente Metaanalyse (19) von 6 Studien fand keinen Beleg für einen Effekt.

Zusammenfassung für Reisediarrhoe:

Eine primäre Maßnahme ist ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Wenn rasche Hilfe z.B. bei Busreisen notwendig ist, ist Loperamid (maximal für 48 Stunden und nicht für Kinder unter 12 Jahren und bei blutigen Stühlen) schnell wirksam. Bei über 24 Stunden persistierender, nicht invasiver Diarrhoe ist Rifaximin eine therapeutische Option, während invasive Erkrankungen mit blutigen Stühlen und Fieber mit Antibiotika behandelt werden sollten, wobei hier auf regionenspezifische antimikrobielle Resistenzen zu achten ist. Bei über 72 Stunden persistierenden Diarrhoen ist auch an die Möglichkeit einer parasitären Infektion zu denken.

Eine antibiotische Prävention ist nur in Ausnahmefällen (siehe Pharmainfo XV/1/2000) zweckmäßig.

 

Literatur:
(1)   Aliment Pharm Ther 30,187,2009
(1a) NEJM 368,1817,2013
(2)   Drugs 15,33,1978
(3)   Clin Inf Dis 21,341,1995
(4)   Clin Gastroent Hepat 5,451,2007
(5)   PLoS Medicine e98,2007
(6)   Am J Gastroenterol 98,1073,2003
(7)   DTB 81,11,2013
(8)   World J Gastr Pharm Ther 3,62,2012
(9)   World J Gastroent 18,767,2012
(10)  Clin Evid 3,405,2011
(11)  Dis Col Rect 54,1326,2011
(12)  Aliment Pharm Ther 33,902,2011
(13)  Z Gastroent 49,211,2011
(14)  Cochrane Database Syst Rev 2011
(15)  CID 55 (suppl 2) S71,2012
(16)  Antimicr Agents Chemo 57,2690,2013
(17)  Cochrane Review Issue 2,2012
(18)  NEJM 368,1665,2012
(19)  PLoSone 7,e1938,2012
(20)  Medical letter 50,59,2008

 

 Interleukine und ihre Rezeptoren als therapeutische Angriffspunkte

Interleukine sind sezernierte Proteine, welche durch Interaktion mit spezifischen Rezeptoren eine wichtige Rolle in der Kommunikation zwischen Immunzellen spielen. Sie gehören damit, neben anderen für die Regulation immunologischer Prozesse wichtiger Polypeptide und (Glyko-)Proteine (wie Tumor-Nekrose-Faktoren, Interferone und Chemokine) zur Familie der Zytokine.

Derzeit sind mindestens 38 Interleukine beschrieben, welche basierend auf Verwandtschaft ihrer Aminosäurensequenz, der Rezeptorstruktur oder funktionellen Kriterien verschiedenen Familien zugeordnet werden können. Allerdings erscheint auch eine Gruppierung entsprechend der Funktion der T-Lymphozyten sinnvoll, welche von den entsprechenden Interleukinen aktiviert werden oder diese produzieren (1). So wirkt IL-12 aktivierend auf die Differenzierung von CD4+ TH-1 Helferzellen, welche eine zentrale Rolle in der Abwehr intrazellulärer Pathogene (z.B. Viren) und von Tumorzellen über Aktivierung zytotoxischer CD8+ T-Lymphozyten spielen und IFN-g als wichtiges Effektor-Zytokin sezernieren. IL-4 ist das Leit-Zytokin von TH-2 Zellen, welche bedeutsam sind für die Abwehr von Helminthen und allergische Reaktionen vermitteln. IL-4 induziert nicht nur TH-2-Zell Expansion und ihre Differenzierung aus naiven CD4+-Vorläuferzellen, sondern stimuliert auch die Bildung von IgE-Antikörpern in B-Lymphozten. TH-2 sezerniertes IL-5 aktiviert Eosinophile. Es ist neben anderen Interleukinen, wie v.a. IL-13, entscheidend an der Pathogenese von TH2-vermittelten Erkrankungen, wie Asthma bronchiale, beteiligt.

Neben anderen T-Helferzellen Subsets sind TH-17 Zellen zunehmend von therapeutischem Interesse. Diesen kommt eine wichtige Rolle in der Immunabwehr von extrazellulären Pathogenen (Bakterien, Pilze) durch Neutrophilenrekrutierung zu. Sie produzieren unter anderem die namensgebende IL-17 Zytokinfamilie mit mehreren Rezeptoren. Die Differenzierung zu TH-17 Zellen wird unter anderem von in Makrophagen und dendritischen Zellen gebildetem IL-23 kontrolliert (2). Die Vernetzung dieser Signalwege erklärt, weshalb die pharmakologische Inhibition sowohl von IL-23 als auch von IL-17 zu ähnlichen therapeutischen Wirkungen (z.B. bei Plaque psoriasis, siehe unten) führt.

Wie andere Zytokine ist die Produktion von Interleukinen nicht auf Leukozyten beschränkt und findet auch in anderen kernhaltigen Zellen (z.B. Fibroblasten, Endothel-, Epithelzellen) statt. Dies gilt insbesondere auch für die wichtigen proinflammatorischen Interleukine IL-1b, IL-6 und für Tumor-Nekrose-Faktoren, welche im Rahmen der Immunabwehr vor allem auch in Makrophagen gebildet werden.

Dieses zunehmende Verständnis der einzelnen Signalkomponenten des Immunsystems und die Möglichkeit zur Herstellung zielgerichteter rekombinanter Proteine (wie von Zytokinen oder spezifischen monoklonalen Antikörpern gegen Zytokine oder ihre Rezeptoren) eröffnet auch neue Therapiekonzepte.

Eine Dysregulation der Aktivität der genannten Lymphozyten-Subsets und Zytokine ist pathogenetisch relevant bei der Entstehung chronischer Entzündungen insbesondere im Rahmen von häufigen Autoimmun- und allergischen Erkrankungen, wie rheumatoider Arthritis, Psoriasis, atopischer Dermatitis, Asthma bronchiale und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Pharmakologische Hemmung oder Stimulation definierter Zytokin-regulierter Signalwege eröffnet daher zahlreiche therapeutische Optionen: 1. Inhibition spezifischer Zytokinwirkungen zur Immunsuppression oder 2. gezielte Stimulation von Zytokinwirkungen zur Tumorbekämpfung. Letztere steht in Form von Aldesleukin (rekombinantes IL-2, Proleukin; Wirkung über T-Zellaktivierung) als Therapieoption beim metastasierenden Nierenzellkarzinom (siehe Pharmainfo XXVIII/4/2013) und metastasierenden malignen Melanom (dafür keine Zulassung in Österreich) zur Verfügung.

Über eine Reihe von anti-Zytokinen haben wir in der Pharmainformation bereits berichtet: darunter über mehrere anti-TNF-a Blocker, den IL-6 Rezeptorblocker Tocilizumab (RoActemra), den IL1-Rezeptorantagonisten Anakinra (Kineret) bei entzündlichen rheumatischen Erkrankungen (Pharmainfo XXIV/3/2009) und den IL-12/IL-23 Blocker Ustekinumab (Stelara, Pharmainfo XXVI/4/2011) bei Psoriasis.

Darüber hinaus ist seit mehreren Jahren der therapeutische monoklonale Antikörper Basiliximab (Simulect) zur Prophylaxe akuter Transplantatabstoßung nach Nierentransplantation in Kombination mit Ciclosporin und Corticosteroiden zugelassen. Dieser Antikörper blockiert durch Bindung an IL-2 Rezeptoren die IL-2 vermittelte Lymphozytenaktivierung, die bei der Abstoßungsreaktion eines allogenen Transplantats eine entscheidende Rolle spielt.

Über rezente Entwicklungen von Arzneimitteln mit inhibitorischen Wirkungen auf Interleukin-vermittelte Prozesse wird hier eingegangen.

Anti-IL-1: Canakinumab (Ilaris) bei akutem Gichtanfall:

Canakinumab ist ein vollständig humaner monoklonaler anti-IL-1b Antikörper, der mit hoher Affinität an humanes IL-1b bindet und damit dessen biologische Aktivität über Agonismus an IL-1 Rezeptoren vermindert. Durch Harnsäurekristalle werden beim akuten Gichtanfall im Gewebe residente Monozyten über einen proinflammatorischen Signalkomplex, das sog. NALP3 Inflammasom, aktiviert und setzen vermehrt IL-1b frei. Dieses induziert in Synoviozyten und anderen Zellen die Bildung von Neutrophilen-aktivierenden Zytokinen und triggert somit die akute Entzündung (3). Aktivierende Mutationen in NALP3 (auch NLRP3 oder Cryopyrin) führen zu seltenen genetischen Erkrankungen, deren Symptome durch vermehrte IL-1b Produktion verursacht werden. Diese werden unter dem Überbegriff CAPS (Cryopyrin-Associated Periodic Syndromes) zusammengefasst. Canakinumab wurde 2009 mit Orphan-Drug-Status zur Behandlung von CAPS zugelassen. Eine Zulassungserweiterung für weitere seltene Erkrankungen mit Beteiligung von IL-1b ist kürzlich erfolgt (systemische idiopathische juvenile Arthritis) und für weitere geplant.

Seit kurzem ist Canakinumab auch für die symptomatische Behandlung von Erwachsenen mit häufigen Gichtanfällen (mindestens 3 Anfälle in den vorangegangenen 12 Monaten) in Europa zugelassen (European Public Assessment Report, www.ema.europa.eu), und zwar bei PatientInnen, bei denen nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) und Colchizin kontraindiziert, nicht verträglich oder nicht ausreichend wirksam sind und für die wiederholte Behandlungszyklen mit Corticosteroiden nicht in Frage kommen. Die Therapie erfolgt als subcutane 150 mg Einzeldosis möglichst bald nach Beginn eines Gichtanfalls.

Die Zulassung erfolgte aufgrund von 2 ähnlichen randomisierten, doppelblinden, double dummy kontrollierten Phase III Studien mit jeweils ca. 110 PatientInnen pro Behandlungsgruppe (European Public Assessment Report, www.ema.europa.eu). Weniger als 10% waren Frauen; der mittlere BMI betrug 31,5. Untersucht wurde die Überlegenheit einer einmaligen s.c. Gabe von 150 mg Canakinumab im Vergleich zu 40 mg Triamcinolon acetonid i.m. auf zwei co-primäre Zielparameter: Schmerzintensität nach 72 Stunden und Zeit bis zum nächsten Gichtanfall. Eingeschlossen wurden PatientInnen mit akuter Gichtarthritis bei bekannter primärer Gicht innerhalb von 5 Tagen nach Beginn des Anfalls, mit einer Schmerzintensität von 50 mm (Schmerzskala Visual Analog Scale [VAS] 0-100 mm), ≥ 3 Attacken in den letzten 12 Monaten, sowie Kontraindikation, Unverträglichkeit oder Unwirksamkeit einer Therapie mit NSAR und/oder Colchizin. Nach der 12-wöchigen Studiendauer wurden Extensionsstudien über weitere 12 Wochen angeschlossen, in denen neue Anfälle mit derselben Therapie verblindet behandelt wurden. Canakinumab war in beiden Studien in beiden co-primären Endpunkten dem Glucocorticosteroid signifikant überlegen: es reduzierte nach 72 Stunden den Schmerz auf der VAS um ca. 11 mm stärker (ausgehend von ca. 74 mm vor Behandlung auf 25 mm vs. 36 mm) und reduzierte die Häufigkeit des Auftretens neuer Anfälle (hazard ratio 0,38). Bei 65% der eingeschlossenen PatientInnen bestand eine weitere Behandlungsoption mit entweder Colchizin oder NSAR und > 50% der behandelten Personen erhielten keine kausale Harnsäure-senkende Arzneitherapie. In der sehr kleinen Gruppe der PatientInnen mit Harnsäure-senkender Therapie, bei denen Colchizin und NSAR keine Therapieoption war, konnte kein Vorteil von Canakinumab mehr gezeigt werden. Daher wurde die Indikation auf eine last-line Therapieoption bei PatientInnen mit häufigen schwer zu therapierenden Attacken eingeschränkt. Nebenwirkungen waren in der Canakinumabgruppe häufiger. Zum Zeitpunkt der Zulassung lagen Sicherheitsdaten von 253 über 24 Wochen behandelten Personen (31 davon mit zwei oder drei Injektionen) in der Indikation Gichtarthritis und insgesamt 2500 mit Canakinumab in klinischen Studien behandelten Personen vor. Infektionen (keine davon schwer) waren häufiger als in der aktiven Kontrollgruppe (20% vs. 10%). Ebenso wurde bei GichtpatientInnen eine Zunahme der Serumharnsäurekonzentration (unter Harnsäuresenkender Therapie + 0,8 mg%; Abnahme um 0,4 mg% in der Triamcinolongruppe) beobachtet. Dies wurde einer verminderten Entzündungs-induzierten urikosurischen Wirkung zugeschrieben. Blutbildveränderungen (wie Thrombozytopenie und Eosinophilie) waren ebenfalls häufiger. Auf Basis derselben Zulassungsstudien verweigerte die FDA die Zulassung in dieser Indikation. Obwohl sie die Wirksamkeit bestätigte, bewertete sie das Nutzen – Risiko Verhältnis als negativ (FDA Briefing Document, June 21, 2011).

Fazit: Canakinumab stellt für PatientInnen mit häufigen Gichtanfällen eine Therapieoption dar, wenn andere Anfallstherapeutika nicht vertragen werden oder nicht wirksam sind (NSAR, systemische Corticosteroide, Colchizin). Allerdings ist unklar, ob PatientInnen mit ausreichend dosierter Harnsäure-senkender Therapie (sowie Gewichtsreduktion und Ernährungsberatung) von Canakinumab überhaupt in klinisch relevantem Ausmaß profitieren. Daher erscheint eine Anwendung derzeit nur innerhalb klinischer Studien zur Beantwortung dieser Frage sinnvoll.

Gevokizumab  ist ein weiterer Antikörper gegen IL-1b. Er erhielt kürzlich Orphan-Drug-Status der EMA zur Therapie chronischer, nicht-infektiöser Uveitis (EMA/COMP/105735/3013; www.ema.europa.eu).

Anti-IL-17 basierte Therapie als neue Therapiestrategie bei Psoriasis und rheumatoider Arthritis

Derzeit sind mehrere monoklonale Antikörper gegen den IL-17 Signalweg in klinischer Entwicklung in den Indikationen Psoriasis, rheumatoide Arthritis und Spondylitis ankylosans. Dazu gehören die an IL-17A bindenden therapeutischen Antikörper Secukinumab und Ixekizumab, sowie das gegen den IL-17 Rezeptor (IL-17RA) gerichtete Brodalumab.

Aus den bisherigen Phase II Studien zeichnet sich vor allem eine gute Wirksamkeit bei unbehandelten PatientInnen mit mittelschwerer bis schwerer Plaque Psoriasis ab (4-6). Ergebnisse von Phase III Studien werden 2014 erwartet. Phase II Studien bei rheumatoider Arthritis und Psoriasis-Arthritis lassen ebenfalls eine klinische Wirksamkeit erwarten (7).

Interleukin – Inhibitoren in der Behandlung des Asthma bronchiale: anti-IL-4, anti-IL-5 und anti-IL-13

Ein therapeutischer Bedarf besteht derzeit vor allem für PatientInnen, welche mit inhalativen Corticosteroiden und Add-on Therapeutika nicht ausreichend behandelt werden können. Etwa 20% sind unter inhalativer Corticosteroid-basierter Kombinationstherapie nicht ausreichend kontrolliert (8). Die Pathogenese des Asthma bronchiale ist heterogen. Ein pathogenetischer Subtyp bei schwerem Asthma (ca. 30%) ist vor allem durch Corticosteroid-refraktäre eosinophile Inflammation, häufige Exazerbationen mit Notwendigkeit für orale Corticosteroide, irreversibler Atemwegsobstruktion und Nasenpolypen gekennzeichnet.

Asthma bronchiale ist primär durch eine verstärkte TH-2-Zellantwort charakterisiert. Die TH2-Zell Zytokine IL-4, das damit struktur- und funktionsverwandte IL-13, sowie IL-5, IL-3 und IL-9 sind daher maßgeblich für die entzündlichen Veränderungen der Atemwege und die dadurch bedingte "airway hyperresponsiveness" verantwortlich (9). Daraus ergibt sich die Rationale, die Wirkungen dieser Zytokine durch spezifische Biologika zu hemmen. Bestimmte IL-4 Rezeptoren werden sowohl durch IL-4 als auch durch IL-13 aktiviert, sodass durch IL-4 Rezeptor Antikörper der Signalweg beider Zytokine inhibiert werden kann. In PatientInnen (51 pro Behandlungsgruppe) mit moderatem bis schwerem Asthma mit Eosinophilie, unzureichender Kontrolle durch mittlere oder hohe inhalative Corticosteroiddosen plus langwirksame b2-Rezeptoragonisten (LABA) und FEV1 > 50% (predicted) reduzierte Dupilumab (anti-IL-4Ra) die Exazerbationshäufigkeit (primärer Endpunkt) während der 12-wöchigen Behandlung gegenüber Placebo signifikant (6% der Patientinnen mit Exazerbationen in der Verum- vs. 44% in der Placebogruppe) (10). Allerdings wurden ab der 4. Woche LABAs und ab der 6. Woche auch inhalative Corticosteroide abgesetzt, sodass das Ausmaß des therapeutischen Zusatznutzens bei bestehender Standardtherapie derzeit nicht quantifiziert werden kann (8). Auch bleibt unklar, ob PatientInnen ohne ausreichende Therapiekontrolle aber ohne Eosinophilie, welche das größere PatientInnenkollektiv darstellen, von dieser Therapie profitieren. Tatsächlich wurde in einer Placebo-kontrollierten Phase II Studie mit einem weiteren anti-IL-4Ra Antikörper als Add-On bei PatientInnen mit schlechter Asthmakontrolle (ohne Stratifizierung nach Eosinophilie) und unter fortlaufender Standardtherapie keine signifikante Wirkung auf Asthmakontrolle (primärer Endpunkt der Studie) oder Verbesserung des FEV1 beobachtet (11).

Der lediglich gegen IL-13 gerichtete Antikörper Lebrikizumab erhöhte in einer Placebo-kontrollierten Studie bei PatientInnen (ca. 110 pro Gruppe) mit schlecht durch inhalative Corticosteroid – basierte Kombinationstherapie kontrolliertem Asthma das FEV1 (primärer Zielparameter) nach 12 Wochen Behandlung gegenüber Placebo signifikant, aber in klinisch wenig relevantem Ausmaß (+5,5%). Auch bei der Subgruppe der PatientInnen mit Surrogatparametern einer erhöhten TH2-Zellaktivität (einschließlich Eosinophilenzahl im peripheren Blut) war die Wirkung bescheiden (+8,2%). Der anti-IL-13 Antikörper Tralokinumab zeigte in einer Placebo-kontrollierten Phase II Studie nach 13 Wochen in einem ähnlichen PatientInnenkollektiv weder eine signifikante Wirkung auf den primären Zielparameter ACQ-6 (berücksichtigt Asthma-Symptom-Score plus Gebrauchshäufigkeit von Beta2-Agonisten) noch eine Verbesserung des FEV1 (12).

Mepolizumab (ein monoklonaler Antikörper gegen IL-5) halbierte in einer multizentrischen Phase II Studie als Add-On zu bestehender Therapie die Anzahl von Exazerbationen (primärer Endpunkt) gegenüber Placebo bei PatientInnen mit schwerem Asthma mit eosinophiler Entzündung (13). Interessanterweise widerspiegelte sich dieser Befund nicht in anderen Markern der Asthmasymptomkontrolle (Asthma Control Questionnaire oder Verbesserung von FEV1). Ein ähnliches Ergebnis wurde mit dem anti-IL-5 Antikörper Reslizumab erhalten (14). Dies deutet auf unterschiedliche pathogenetische Mechanismen für Symptomkontrolle und Exazerbationsrisiko hin, welche durch IL-5 Hemmer (bzw. die eosinophile Entzündungskomponente) unterschiedlich beeinflusst werden.

Die genannten Präparate führten in den meist 12-wöchigen Placebo-kontrollierten Studien zu keinen schweren Studienmedikation-bezogenen Nebenwirkungen. Aussagen zur Sicherheit dieser in Phase III Studien weiter entwickelten Therapieansätze sind zur Zeit noch nicht möglich. Insgesamt liefern diese Ergebnisse aber einen "proof of concept" für die Bedeutung von Interleukinen in der Pathogenese des Asthma bronchiale.

IL-6 und Koronare Herzkrankheit: Basierend auf der Hypothese, dass inflammatorische Prozesse pathogenetisch für die Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen bestimmend sind, werden derzeit antiinflammatorisch wirksame Arzneimittel (einschließlich von Antizytokin-Biologika) in der Sekundärprävention von Myokardinfarkt untersucht. Unterstützt wird diese Hypothese durch die C-reaktives Protein (CRP)-senkende Wirkung von Statinen, aber auch durch rezente genetische Befunde. So konnten zwei prominent publizierte Studien (15,16) einen Zusammenhang zwischen einem Polymorphismus im IL-6 Rezeptorgen und dem Risiko für die Entwicklung von koronarer Herzkrankheit nachweisen. Dieser Polymorphismus führt zu vermehrter Bildung eines löslichen IL-6 Rezeptors auf Kosten membranständiger Rezeptoren. Wie bei der pharmakologischen Hemmung des IL-6 Signaltransfers durch Tocilizumab (RoActemra) (siehe Pharmainfo XXIV/3/2009) kommt es bei Trägern dieses Polymorphismus unter anderem zur Abnahme der Spiegel von CRP und von Fibrinogen, Evidenz für eine verminderte IL-6 Signalwirkung. Ob Tocilizumab kardiovaskulär protektive Wirkungen besitzt, geht aus den existierenden Studien in PatientInnen mit rheumatoider Arthritis oder Morbus Crohn aufgrund der geringen kardiovaskulären Endpunkte nicht hervor. Diese Frage wird jedoch bereits in klinischen Studien untersucht (z.B. NCT01491074). Ebenso laufen bereits zwei große Placebo-kontrollierte Studien mit Canakinumab (anti-IL-1b, siehe oben; CANTOS Studie) bzw. mit niedrig dosiertem Methotrexat (CIRT Studie) bei PostinfarktpatientInnen mit ausgeprägter inflammatorischer Komponente (17).

Literatur:
(1) J Allerg Clin Immunol 127,701,2011
(2) N Engl J Med 366,1251,2012
(3) N Engl J Med 364,443,2011
(4) N Engl J Med 366,1190,2012
(5) N Engl J Med 366,1181,2012
(6) Br J Dermatol 168,402,2013
(7) Ther Adv Musculoskel Dis 5,141,2013
(8) N Engl J Med 368,2511,2013
(9) Nat Rev Drug Discov 11,958,2013
(10) N Engl J Med 368,2455,2013
(11) Am J Resp Crit Care Med 181,788,2010
(12) Eur Resp J 41,330,2013
(13) Lancet 380,651,2012
(14) Am J Resp Crit Care Med 184,1125,2011
(15) Lancet 379,1214,2012
(16) Lancet 379,1205,2012
(17) Curr Athersclerosis Rep 15,295,2013

 

Anfrage zu Drospirenon-haltigen Kontrazeptiva (Yasmin, Yasminelle, Yaz, Yirala, Aliane, Balancette, Danselle, Danseo, Daylina, Eloine, Volina)

Wir haben über diese oralen Kontrazeptiva mehrfach berichtet (Pharmainfo XXVII/4/2012; XXVI/3/2011; XXIV/4/2009; XVIII/2/2003; XVII/4/2002). Zu diesem Thema hat uns dann letztes Jahr Dr. Winfried Köhler aus Obertrum folgende Frage gestellt: „Als Schularzt und gynäkologisch interessierter Praktiker mache ich so manche Pilleneinstellung. Ich verwende fast nie Yasmin, Yaz etc. Stelle ich ein  Mädchen auf ein Präparat der 2. Gestagen-Generation ein und landet sie dann bei einem Frauenarzt in Klinik und Praxis, so wird sie zum überwiegenden Teil auf ein Drospirenonhaltiges Präparat umgestellt. Die Betroffenen meinen dann immer, sie erhalten ein neues, moderneres und besser verträgliches Präparat. Können Sie erklären, warum der wissenschaftliche Stand sich nicht durchsetzt?“

Wir hatten damals in unserer Antwort versprochen, wenn die europäische Behörde zu Drospirenon Präparaten eine Aussage macht, noch einmal auf dieses Thema einzugehen. Die jetzige Diskussion ist generell für Marketing-Strategien für Medikamente, die man als me-too drugs bezeichnen könnte, relevant.

Als Yasmin eingeführt wurde, gab es bereits mehrere bewährte orale Kontrazeptiva am Markt und es war auch bekannt, dass eine niedrige Östrogendosis das bekannte Thromboserisiko dieser Medikamente senkt. Für das „marketing“ eines neuen zusätzlichen Präparats waren spezielle Strategien gefragt. Mit der Propagierung einer „sanften, milden Pille“ (was immer das heißen soll) und dem zugegebenermaßen sehr wirksamen suggestiven Namen Yasmin war ein geschickter Anfang gemacht. Weiters wurden dieser Pille eine geringere Gewichtszunahme und ein vermindertes Aknerisiko zugesprochen. Es sei schon hier betont, dass diese „Vorteile“ nicht ausreichend belegt werden konnten (siehe Pharmainfo XVII/4/2002). Kritische Einwände, dass diese neue Pille noch wenig erprobt sei, wurden bekämpft. Als die Pharmainformation (XVII/4/2002) feststellte, dass das Thromboserisiko für dieses neue Präparat höher sein könnte, wurde mit einer Klagedrohung reagiert. Tatsächlich war damals schon bekannt, dass auch der Gestagenanteil das Thromboserisiko beeinflusst und Gestagene der 3. Generation (Desogestrel, Gestoden) ein fast 2fach höheres Risiko als die der 2. Generation (Levonorgestrel) hatten (siehe Pharmainfo XVII/1/2002). Als dann erste Daten für ein erhöhtes Thromboserisiko auch für Yasmin publiziert wurden, stellte eine Konsensus-Konferenz trotzdem fest, dass dies nicht der Fall sei (Pharmainfo XXVI/3/2011). Diese Konferenz war allerdings von der Firma organisiert und das könnte das Resultat dieses Konsensus erklären. Wie dem auch sei, inzwischen ist die Datenlage eindeutig und ein Referral der europäischen Behörde kam zu folgendem Schluss (11. Okt. 2013, EMA): Die Nutzen/Risiko Rate ist für alle Kontrazeptiva positiv, allerdings sind die Thromboserisiken unterschiedlich: unter Präparaten mit niedrigem Östrogengehalt und Levonorgestrel (Levostrol, Loette, Madonella, Microgynon, Ovranette, Selina, Trinordiol, Xyliette), oder Norgestimat (Cileste, TriCilest, Vivelle) kommt es zu 5 – 7 venösen Thromboembolien pro 10.000 Frauen pro Jahr, während unter Gestoden (Flow, Gynovin, Harmonette, Lenea, Meliane, Minesse, Minulet, Mirelle, Sylgestrel, Triodena, Wave, Yris), Desogestrel (Desofemine, Gracial, Liberel, Marvelon, Mercilon) und Drospirenon (Yasmin, Yasminelle, Yaz, Yirala, Aliane, Balancette, Danselle, Danseo, Daylina, Eloine, Volina) 9 – 12 Fälle auftreten (bei Nichtverwendung oraler Kontrazeptiva 2 Fälle). Es wurde keine Empfehlung abgegeben, welche Präparate daher vorzuziehen sind; die europäische Behörde ist hier lzurückhaltend, nationale Behörden (wie England, Niederlande: siehe Pharmainfo XXVII/4/2012) haben aber Pillen der 3. Generation (Gestagene) als Mittel zweiter Wahl eingestuft. Wenn Medikamente (und das trifft für Gestagen-Pillen der 3. Generation und Drospirenon zu) keine bessere Wirkung haben und auch keine anderen Vorteile besitzen (geringere Gewichtszunahme und Aknerisiko nie ausreichend belegt), hingegen mit einem höheren Risiko belastet sind, werden sie zwangsläufig zu Mitteln zweiter Wahl.

Venöse Thromboembolien sind seltene Ereignisse, kann man daher nicht Unterschiede in der Häufigkeit von 5 – 7 gegen 9 – 12 Fälle auf 10.000 Frauenjahre vernachlässigen?

Betrachten wir diese statistischen Zahlen etwas anders. Berechnen wir das Thromboserisiko für 100.000 Frauen in Österreich (in Deutschland verhüteten 2012 über 550.000 Frauen nur mit Drospirenon-Pillen: Arznei-Telegramm 44,103,2013). Wenn diese Frauen Pillen der 2. Generation einnehmen, ist mit 50 – 70 venösen Thromboembolien pro Jahr zu rechnen, mit Pillen der 3. Generation mit 90 – 120. Diese letzteren Pillen verursachen also 40 – 70 zusätzliche Thrombosen. Wenn tödliche Embolien 1% der venösen Thrombosen ausmachen, bedeutet dies in Österreich (und dies gilt bereits für die sicherlich zu niedrig angesetzte Zahl von 100.000 Frauen) einen zusätzlichen (!) Todesfall pro 1 bis 2 Jahre. Ist dies vernachlässigbar – für die Familie, wo eine junge Frau verstirbt, für den Arzt/die Ärztin, die dieser Frau die Pille verschrieben hat? Ein sehr seltener Todesfall ist ein vertretbares Risiko für eine gut wirksame Pille (auch eine Schwangerschaft hat ein Mortalitätsrisiko), wir sprechen aber hier von zusätzlichen Todesfällen, die nicht durch einen erhöhten Nutzen zu rechtfertigen und daher unnotwendig sind.

Zur eingangs gestellten Frage: Warum wurde und wird Yasmin (und andere Pillen der 3. Generation) so viel verschrieben? Geschickte Marketing-Strategie, fehlende und unklare Datenlage am Anfang, zurückhaltende Empfehlung der Behörden, zu wenig kritische und klare Information der VerschreiberInnen sind offensichtliche Ursachen. Solche Mechanismen können bei neuen Präparaten trotz unklarem Risiko zu hohen Verschreibungszahlen führen. Erst nach Jahren können dann vorliegende objektive Daten diese reduzieren: Im Jahr 2012 sank die Verschreibung für Drospirenon- und Desogestrel-Pillen um 20 bis 45% (siehe Schwabe: Arzneiverordnungsreport 2013).

 

Tokolyse

Zwei rezente Entwicklungen seien kurz kommentiert.

Der Nutzen einer Tokolyse zur Hemmung der vorzeitigen Wehentätigkeit ist seit langem umstritten: Schon 1998 (Pharmainfo XIII/3/1998) stellten wir für Betamimetika fest:

„Orale Tokolytika (Betamimetika) sind nicht imstande, zur Frühgeburt führende Kontraktionen über eine Placebowirkung hinaus zu hemmen, diese Therapie ist daher abzulehnen. Mit intravenösen Betamimetika (Terbutalin: Bricanyl Amp., Hexoprenalin: Gynipral Amp.) ist zwar keine Verbesserung der perinatalen Mortalität erzielbar, allerdings kann die Schwangerschaft um 24 bis 48 Stunden prolongiert werden“. Schon letztes Jahr (EMA: 6. Sept. 2013) hat die europäische Behörde festgestellt: Orale Betamimetika haben ein höheres Risiko als Nutzen und sollten daher nicht mehr verwendet werden. In Österreich wurden Gynipral Tabletten (Hexoprenalin) anscheinend in vorauseilender Reaktion bereits vom Markt genommen. Laut EMA sind injizierbare Betamimetika geeignet, um Wehen bis zu 48 Stunden zu unterdrücken, was einen Zeitgewinn für Maßnahmen zum Wohle des Kindes (z.B. Beschleunigung der Lungenreifung) bedeutet. Allerdings sind diese Mittel mit häufigen Nebenwirkungen verbunden, wie Hypotension und Tachykardie und, wenn auch selten, Lungenödem.

Es ist zu begrüßen, wenn die europäische Behörde obsolete Therapien beendet, man würde sich allerdings frühere Entscheidungen wünschen.

Für eine parenterale Tokolyse ist in Österreich auch Atosiban (Tractocile) zugelassen. Erfreulicherweise ist nun diese Substanz auch als Generikum (Atosiban) seit Ende 2013 zugelassen und demnächst in Österreich auf dem Markt.

Atosiban hat eine mit den Betamimetika vergleichbare tokolytische Wirkung (siehe EPAR, EMA 2004), aber geringere Nebenwirkungen. Aber auch für diese Substanz, so wie für Betamimetika, ist eine Verbesserung der „foetal and maternal outcomes“ nicht belegt (EPAR, EMA 2004;1). Ein Nutzen für eine prolongierte Therapie zur Verhinderung von Frühgeburten ist ebenfalls nicht sichergestellt (2).

Für Nifedipin (Generika, Adalat) ist eine mit Betamimetika und Atosiban vergleichbare, womöglich sogar eine bessere tokolytische Wirkung belegt (3), als Nebenwirkung ist Hypotension zu beachten. Allerdings hat dieses Mittel keine Zulassung für diese Indikation.

Zusammenfassend:
Eine kurzzeitige parenterale tokolytische Therapie kann zweckmäßig sein. Atosiban wirkt wie Betamimetika, hat aber weniger Nebenwirkungen. Die Einführung eines Atosiban-Generikums reduziert für diese Therapie nun die Kosten.

Literatur:
(1)  Int J Women’s Health 2,137,2010
(2)  The Cochrane Library 2009,Issue 1
(3)  BMJ 345,c6226,2012

 

Diacerein (Artrolyt,Verboril): Marktrücknahme empfohlen

Zu diesem Medikament zur Behandlung der Osteoarthrose haben wir festgestellt (Pharmainfo XX/2/2005, XXIII/3/2008): „Studien haben widersprüchliche Resultate ergeben. Eine große Studie fand weder für Krankheitssymptomatik noch für Gelenkschäden am Knie einen positiven Effekt. Bis zur Hälfte der PatientInnen hatten als Nebenwirkungen Durchfälle. Die Wirkung dieser Substanz ist also nicht belegt, andererseits hat die Substanz häufig Nebenwirkungen“.

Das PRAC (Pharmacovigilance Risk Assessment Committee) in London hat nun (8/11/2013) die Marktrücknahme empfohlen, da für Diacerein der Nutzen gegenüber den Nebenwirkungen (schwere Diarrhoen und Leberschäden) nicht überwiegt.

Dies ist zu begrüßen, die Marktrücknahme hätte aber auch hier schon früher erfolgen sollen.

 

P.b.b. Erscheinungsort Verlagspostamt 1010 Wien

Montag, 3. März 2014

Pharmainformation

Kontakt:

em.Univ.Prof.Dr.
Hans Winkler 

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