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Traumatologie

Unter dem Überbegriff Kopf-Hals-Karzinome (Head and Neck squamous cell carcinoma, HNSCC) werden eine Reihe verschiedener Karzinom-Lokalisationen im Kopf-Hals-Bereich zusammengefasst, die insgesamt zu den häufigsten Krebsarten der Welt zählen; sie sind in der Häufigkeitsstatistik bei den Männern auf Platz 6 und bei den Frauen auf Rang 11 gelistet.

Der zusammenfassende Begriff HNSCC ist relativ ungenau, da er unterschiedliche topographische Regionen vereinheitlicht, in denen Plattenepithelkarzinome (SCC) vorkommen können. Hierunter fallen unter anderem die verschiedenen Subtypen des SCC: orales SCC (Mundhöhlenkarzinom, OSCC), orpharyngeales SCC (OPSCC) und laryngeales SCC (LSCC). Die Klinik für Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie behandelt zu wesentlichen Teilen orale SCC, teilweise auch orpharyngeale SCC, die nahezu 90% aller bösartigen Neubildungen im Mundbereich ausmachen und damit die größte Bedeutung haben. Sie zählen weltweit zu den zwanzig häufigsten malignen Tumoren des Menschen und nehmen demzufolge hinsichtlich Diagnostik und Therapie einen bedeutenden Stellenwert ein. Bei steigender Tendenz berichtet das österreichische Krebsregister für das Jahr 2017 über eine Inzidenz von 1.232 neuen Fällen oraler und oropharyngealer Karzinome bei einer Mortalität von ca. 50%.

Zellen entwickeln sich vom gesunden und damit physiologischen Gewebe zunächst zu prämalignen Stadien. Diese werden histopathologisch in unterschiedliche Grade unterteilt, von einer Dysplasie bis hin zum Carcinoma in situ. Zuletzt kommt es zur vollständigen malignen Entartung in ein invasives Karzinom, das die Neigung zu Metastasierung in regionale Lymphknoten oder auch entfernte Organe und andere Strukturen entwickeln kann. Die Gefahr der Entstehung eines HNSCC steigt mit der Exposition gegenüber kanzerogenen Risikofaktoren wie Tabak- und Alkoholkonsum, vor allem in Kombination. Alkohol allein sensibilisiert die Schleimhäute für kanzerogene Substanzen. Weißliche, nicht abwischbare Veränderungen der Schleimhäute, die als Leukoplakien bezeichnet werden und Nikotin- und Noxenabhängig sein können, sind als fakultative Präkanzerosen mit Ausprägungsabhängigem Entartungsrisiko anzusehen.

Trotz rückläufigem Tabakkonsum treten in den vergangenen Jahren auch vermehrt Kopf-Hals-Tumore auf, die mit „high risik“ Subtypen des humanen Papillomavirus (HPV) (vor allem HPV 16, seltener HPV 18) assoziiert sind.

Obwohl neue Behandlungsmöglichkeiten Eingang in die Diagnostik und Therapie dieser Karzinome gefunden haben, etablierte systematische Strategien modifiziert und deren Einsatzspektrum erweitert wurden und sich damit langfristig die Lebensqualität betroffener Patienten nach Therapie erheblich verbessert hat, besteht für das Mundhöhlenkarzinom (OSCC) Stadienabhängig weiterhin eine beinahe unverändert ungünstige Prognose mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von ungefähr 50-55%.

Die individuelle Prognose Betroffener lässt sich im Einzelfall nur ungenügend abschätzen. Zwar korreliert die Prognose signifikant mit Tumorstadium, Lymphknotenstatus und Lage des Tumors, doch sind diese Parameter im Einzelfall für eine sichere Prognoseabschätzung und damit für die optimale Planung einer multimodalen, also fächerübergreifenden Therapie häufig unzureichend.

Daraus hat sich in den letzten Jahren die immer stärker werdende Notwendigkeit ergeben, zuverlässige und vor allem prädikative Biomarker oder andere genetische Alterationen beim OSCC zu erfassen. Damit soll die Patientenstratifizierung als Grundlage einer Therapieoptimierung, aber auch die Vermeidung eines Overtreatments ermöglicht werden, wie sie bei anderen Tumorentitäten, etwa dem Mammakarzinom, seit vielen Jahren zum Standard gehört. Entscheidungen über die für Betroffene optimale Therapie werden gemeinsam in einem interdisziplinären Tumorboard zusammen mit Nachbarsdisziplinen, vornehmlich der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, der Strahlentherapie und der internistischen Onkologie getroffen. Hierbei geht es neben der effektivsten Behandlungsform auch um die Frage der zu erwartenden Lebensqualität (QoL) nach der angestrebten Therapie. Die QoL wird im Kopf-Hals-Bereich ganz wesentlich durch den Erhalt bzw. die Wiedererlangung der Schluck-, Sprach- und Kaufunktion bestimmt.

Im Falle der vollständigen Resektabilität sollten Kopf-Hals-Karzinome nach wie vor aufgrund der damit verbundenen besseren Prognose primär chirurgisch entfernt werden. Hierfür gibt es klare und sinnvolle Vorgaben nach Leitlinien. Die notwendigerweise entstehenden Resektionsdefekte an Schleimhäuten, Muskulatur und Knochen führen zu funktionellen und auch ästhetischen Einschränkungen. Daher wird in den meisten Fällen eine sofortige Wiederherstellung mit körpereigenem Gewebe angestrebt. Die Bandbreite an zur Verfügung stehenden Transplantaten ist groß. Hier hat in den vergangenen 20 Jahren eine enorme Entwicklung stattgefunden, die es zum Beispiel unter Zuhilfenahme des 3D-Druckes ermöglicht, aufwendige Rekonstruktionen, die aus mehreren Gewebeanteilen bestehen (Komposit-Transplantate) bis hin zur sofortigen Versorgung mit Zahnimplantaten extrem präzise vorzuplanen, wodurch bei gleichzeitiger Qualitätssteigerung Operationszeiten deutlich verkürzt werden. Auf der anderen Seite folgt die Klinik für Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie dem Prinzip der minimalen Invasivität, sodass auch Rekonstruktionsverfahren zum Einsatz kommen, die bei Patientinnen und Patienten bei der Entnahme eines Transplantates praktisch keinen Schaden bzw. Defekt hinterlassen.

Diese werden als Perforator-Transplantate bezeichnet und eignen sich für Defekte an der Zunge, dem Mundboden oder Gaumen. Durch ebenjene Transplantate wird die für die Sprache und das Schlucken essentielle Zungenfunktion vollständig wiedererlangt, ohne dass Nebenwirkungen aufgrund der Transplantatentnahme in Kauf genommen werden müssen. Während Mundhöhlenkarzinome von der Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie in der Regel alleine behandelt werden, erfolgt die Behandlung größerer Karzinome, die mehrere Etagen oder vornehmlich den Oropharynx betreffen, oft in Kollaboration mit der Klinik für HNO.

Zukünftig erfordert die demographische Entwicklung unserer Bevölkerung zumindest teilweise ein Umdenken im Hinblick auf die optimale Therapie. Die im höheren Alter verminderte Belastungsfähigkeit führt dazu, dass wir wie auch andere Kliniken und Institute zum einen an der möglichst präzisen und individuellen Einschätzung der Betroffenen und ihrer Erkrankungen mittels prädikativer Biomarker und unterschiedlicher Scores, zum anderen an Therapien, die einen schonenden Ersatz oder eine Ergänzung zur chirurgischen Therapie darstellen, arbeiten. Während Bestrahlung und/oder Chemotherapie zwar effektiv sein können, sind sie gerade bei älteren Patienten als belastend anzusehen.

Ein bösartiger Tumor ist über zahlreiche Ansätze in der Lage, sich dem Immunsystem zu entziehen. Dies geschieht zusammengefasst aus einer Kombination aus Mangel an T-Zellen-Aktivierung und T-Zellen-Erkennung. Letztendlich schafft ein solider Tumor wie ein Kopf-Hals-Karzinom ein immunsuppressives Umfeld. Basierend auf diesen Erkenntnissen bietet die seit Vorliegen der CheckMate 141 Studie (2018) auch bei metastasierten und rezidivierten Kopf-Hals-Karzinomen zugelassene Immuncheckpointblockade erstmals bei dieser Tumorentität eine Alternative, die sich auch dauerhaft als Monotherapie bei chronischen Tumorpatientinnen und -patienten als klinisch wirksam erwiesen hat.

Trotzdem gilt es nun, Kombinationsmöglichkeiten zu identifizieren, die das Ansprechen und Überleben vor allem fortgeschrittener Tumore weiter signifikant verbessern. Ein Ziel besteht darin, immunologisch „kalte“ Tumore mit unterschiedlichen Substanzen in einen inflammatorischen, „heißen“ Zustand zu überführen. Besonders hoffnungsvoll erscheint dabei die Kombination mit onkolytischen Viren, da diese die Eigenschaft besitzen, das repressive Immun-Mikromilieu eines Tumors zu durchbrechen, indem sie inflammatorische Zytokine und Neo-Antigene freisetzen. Onkolytische Viren haben in Kombination mit etablierten Therapien den Vorteil, dass sie zur Re-Sensibilisierung einer Chemo- und Radiotherapie führen, pathologische Gefäßbildungen beeinflussen, die Virusverteilung im Tumor verbessern, die Verstärkung der viralen Replikation fördern und pro-apoptotische Funktionen sowie verstärkte anti-antiangiogenetische Effekte aufweisen.

Das Potential gerade dieser Kombinationstherapie konnte bereits in klinischen Studien am Gliom und malignen Melanom sehr eindrucksvoll belegt werden. Erste Vorarbeiten haben auch bereits beim Kopf-Hals-Karzinom hoffnungsvolle Daten ergeben.